37. Tag der Heimat
So bunt ist Deggendorf geworden

18.09.2023 | Stand 18.09.2023, 9:21 Uhr
Lutz-Dieter Behrendt

Die Stadt Deggendorf hat zum 37. Mal den Tag der Heimat begangen. Dazu waren die Heimatvertriebenen, Zuwanderer und alle Interessierten in den Historischen Saal des Alten Rathauses eingeladen. Dort sprach der wissenschaftliche Mitarbeiter des Stadtarchivs Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt über „Von der alten zu einer neuen Heimat in Deggendorf“.

Oberbürgermeister Dr. Christian Moser verwies in seiner Begrüßung auf die Aktualität des diesjährigen Gedenktags. Der Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine mit den täglichen Meldungen über die Leiden der ukrainischen Bevölkerung wecke gerade bei den Heimatvertriebenen schmerzliche Erinnerungen an die Erlebnisse des Heimatverlusts im Gefolge des Zweiten Weltkriegs. „Unsere Hoffnung, dass sich so etwas in Europa nicht wiederholt, hat uns leider getrogen. Unsere Solidarität und Hilfsbereitschaft gilt daher den ukrainischen Flüchtlingen.“

Doppelt so viele Einwohner nach dem Zweiten Weltkrieg



Den Festvortrag „Von der alten zu einer neuen Heimat in Deggendorf“ hielt Professor Dr. Lutz-Dieter Behrendt, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deggendorfer Stadtarchivs. Deggendorf hat heute einen Ausländeranteil von 20,6 Prozent, stellte er fest. Fast ein Drittel der Stadtbewohner (30,2 Prozent) hat einen Migrationshintergrund.

Die Zuwanderung in früheren Jahrhunderten war durch strenge Bürgeraufnahmebedingungen begrenzt. Die Einwanderer kamen vor allem aus Süddeutschland, Österreich (einschließlich Südtirol), Böhmen und Italien. Einige der ältesten Deggendorfer Familienunternehmen (Krauth, Markmiller, Scherl) wurden von Zuwanderern begründet. Im 19. Jahrhundert kam es durch verstärkte Zuwanderung zum ersten Mal zu einer Verdoppelung der Bevölkerungszahl auf über 6000 in der Stadt. Seit 1841 wurde auch Protestanten und Ende des Jahrhunderts einigen Juden die Einwanderung in die vormals rein katholische Stadt gewährt.

Zuwanderer bereichern Stadt wirtschaftlich, kulturell und sozial



Völlig neue Dimensionen erreichte die Zuwanderung im Gefolge des Zweiten Weltkrieges. Hatte 1939 Deggendorf 11767 Einwohner, waren es am 9. Juni 1945 mit 22885 doppelt so viele. Davon gehörten 12712 zur einheimischen Bevölkerung. Hinzu kamen 4074 Umquartierte (Evakuierte und Flüchtlinge), 5065 Ausländer und 1034 Verwundete und Kranke in den Lazaretten ohne Nationalitätsangabe. Der riesige Bevölkerungszustrom bedeutete Überbevölkerung der Stadt, was mit Unannehmlichkeiten verbunden war. Das führte zu großer Unzufriedenheit und die aus den Ostgebieten Geflüchteten und Vertriebenen wurden nicht immer mit offenen Armen aufgenommen. Dennoch ist ihre dauerhafte Integration – 1959 wurde ihr Anteil an der Stadtbevölkerung auf 22,5 Prozent beziffert – gelungen. Sie stellten eine wirtschaftliche, kulturelle und soziale Bereicherung der Stadt dar. 1949 bestanden zum Beispiel 186 Betriebe von Heimatvertriebenen.

In den folgenden Jahrzehnten kam es zu neuen Einwandererwellen in die Stadt. Zuerst kamen die Gastarbeiter, vorwiegend Türken, von denen viele ihre Familien nachholten und heute in zweiter und dritter Generation in Deggendorf leben.

Eine zweite, völlig anders geartete Zuwandererwelle waren die so genannten Spätaussiedler aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten, die zwar deutsche Wurzeln hatten, aber die deutsche Sprache oft nur mangelhaft beherrschten. Sie verstärkten – wie vorher schon die Flüchtlinge aus den vormals deutschen Ostgebieten – die evangelische Gemeinde.

Heute sind 17 verschiedene Religionsgemeinschaften vertreten



Eine weitere Gruppe von Neubürgern sind die aus dem ehemaligen Jugoslawien Stammenden, seit 1992 durch die Balkankriege aus ihrer Heimat vertrieben (Bosnier, Kosovaren, Kroaten, Serben, Mazedonier und andere). Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kamen auch zahlreiche Übersiedler aus anderen osteuropäischen Ländern. Der zahlenmäßigen Stärke nach geordnet stammen sie aus Rumänien, Polen, Ungarn, Tschechien, Bulgarien und aus der Slowakei. Es folgten die Kriegsflüchtlinge aus Syrien und Afghanistan und andere Flüchtlinge aus Asien und Afrika, darunter besonders viele Inder, Iraner und Ägypter.

Die jüngste Zuwandererwelle verkörpern die durch den Angriffskrieg Putins aus ihrer Heimat vertriebenen Ukrainer. Zurzeit sind 653 in Deggendorf gemeldet.

Durch die Zuwanderungen ist Deggendorf wesentlich bunter geworden, so Behrendt. Die ausländischen Studenten der TH Deggendorf, die zwar keine ständigen Bewohner Deggendorfs sind, deren Zahl aber kontinuierlich wächst, erhöhen die Internationalität und Weltoffenheit der Stadt. Auch in religiöser Hinsicht ist Deggendorf bunter geworden: 17 verschiedene Religionsgemeinschaften tauchen in der Statistik auf. Nur noch die knappe Hälfte der Einwohner bekennt sich zur römisch-katholischen Kirche, die 18084 Gläubige zählt. Das sind 47,3 Prozent der Stadtbevölkerung. 3881 Personen sind evangelisch (10,1 Prozent). Ein hoher Anteil der Deggendorfer gehört heute dem islamischen Glauben an.

Integration ist ein ständiger, zweiseitiger Prozess



Professor Behrendt betonte, dass die Integration der Neubürger eine ständige Aufgabe ist, die ein zweiseitiger Prozess, ein Aufeinander-Zugehen sein muss. Die Zuwanderer müssen sich auf die Gegebenheiten ihres neuen Wohnorts einstellen. Umgekehrt müssen auch die Deggendorfer sich für die Bedingungen interessieren, unter denen die Zuwanderer in ihren Herkunftsländern lebten. Der Erwerb der deutschen Sprache, ohne die Muttersprache aufgeben zu müssen, ist eine Voraussetzung für die Eingliederung in den Arbeitsprozess und das öffentliche Leben.

Jeder Bürger, jede Bürgerin kann im tagtäglichen Umgang mit den Menschen aus anderen Ländern zu deren Integration beitragen, erklärte der Referent. Es gebe vielfältige Möglichkeiten der Hilfestellung, die Vertrauen schaffen. So haben mehrere Deggendorfer und Deggendorferinnen Wohnungen für die ukrainischen Flüchtlinge zur Verfügung gestellt. Handwerksmeister bieten Lehrstellen für Migranten an. Rentnerinnen wirken als Lesepatinnen für Grundschulkinder.

Die Vereine spielen eine wichtige Rolle bei der Integration



Die Stadt Deggendorf und ihre gesellschaftlichen Kräfte, die Vereine, die Kirchen und Parteien und ganz besonders die Kindergärten und Schulen, in denen der Anteil des Schüler mit Migrationshintergrund hoch ist und oft über 20 Nationalitäten vertreten sind, tun viel für die Eingliederung der vielen Zuwanderer. Eine wichtige Rolle spielen laut Behrendt Vereine, in denen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zusammenarbeiten, so in den 40er Jahren der Neubürgerbund, von 1984 bis 2007 der Internationale Freundschaftskreis und heute der Interkulturelle Verein Mostik, das Netzwerk für kulturelle Vielfalt oder seit 2022 der Verein Koliiibri.

Zusammenfassend betonte Professor Behrendt: Zuwanderung war und ist bei allen Problemen, die lösbar sind, ein Gewinn für die Stadt.

Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von der Stadtkapelle. Bei einem anschließenden Stehempfang im Foyer wurde der Gedankenaustausch über das Thema fortgesetzt.