Reise-Reportage
Von Seetangbooten und einsamen Dörfern im Centro de Portugal

27.01.2024 | Stand 27.01.2024, 5:00 Uhr

Die Moliceiros genannten Boote dienten in der Lagune von Aveiro einst dem Transport von Waren und Sammeln von Seetang. Heute sind sie das touristische Wahrzeichen der Region – und festigen Aveiros Ruf als „Venedig von Portugal“. − Fotos: Rast

Portugals Küste bietet viel mehr als die Felsen an der Algarve. In der Lagune von Aveiro lässt sich mit den Booten der Seetangsammler die reiche Geschichte der Region erfahren. Und in den Magic Mountains des Centro de Portugal erwachsen vergessene Dörfer zu neuem Leben.

Die elektrischen Motorsägen liegen unberührt auf der Werkbank. José Rito greift lieber zur altmodischen Gestellsäge, die von bloßer Muskelkraft bewegt wird. Mit diesem Werkzeug haben schon seine Vorväter gearbeitet. Die Sägespäne spritzen. Die 15,7 Meter langen und 2,6 Meter breiten Boote werden aus Pinienholz gefertigt. Der Portugiese José Rito ist mit Militärhosen, T-Shirt sowie einem roten Käppi bekleidet und bezeichnet sich stolz als „construtor naval“. Schiffsbauer ist rund um die Lagune von Aveiro bis heute ein angesehener Beruf. Einst hing das wirtschaftliche Wohl der Region an diesen Kähnen, mit denen sich bis zu fünf Tonnen Last befördern lassen. Die Einheimischen nennen sie Moliceiros. Mit diesem Bootstyp mit flachem Boden wurde einst Seegras und Seetang (molico) gesammelt. Beides diente als Dünger und ließ die Pflanzen auf den Feldern besser wachsen.

Farbenfrohe erotische Motive auf den Booten

Auch die küstennah tätigen Fischer waren mit den Moliceiros unterwegs. Die ganze Gegend war einst durch Wasserstraßen erschlossen, die bis weit ins Landesinnere reichten. Mit den Moliceiros wurden landwirtschaftliche Produkte, Tiere, Holz, Ziegel, Vieh, Salz und nicht zuletzt Menschen und Wissen transportiert.

An Bug und Heck weisen die Boote ein farbenfrohes Dekor auf. Die Bilder vorne zeigen gerne erotische Motive kombiniert mit Volksweisheiten. Die Darstellungen hinten drehen sich mehr um die Volksfrömmigkeit und Arbeit. Die reiche Bildsprache auf den Booten hat sogar schon Forscher beschäftigt.

All das erfährt man im Museo do Monte Branco. Der Ausstellung ist die kleine Werft angeschlossen, in der José Rito alte Boote repariert und neue baut. Denn zu seiner Freude erleben die kleinen Schiffe derzeit eine große Renaissance. Besucher nutzen sie für fröhliche Ausflüge. Die Boote sind zum touristischen Wahrzeichen und Aushängeschild geworden. Die Stadt Aveiro mit ihren kleinen bunten Häusern und ihrem System von Kanälen hat sich sogar einen Ruf als das „Venedig von Portugal“ erworben. In der Lagune vermischen sich Salz- und Süßwasser, ein idealer Lebensraum für Aale.

Einst Armenspeise, heute Delikatesse: 90 Euro für ein Kilogramm Aal

Einst galten die Fische aus den schlammigen Gewässern als Arme-Leute-Essen. Heute sind die Aale zur Delikatesse mutiert, das Kilogramm kostet etwa 90 Euro. In der Fischerkneipe Casa Alcina neben einem kleinen Hafen wird der Aal traditionell serviert: kurz frittiert mit Brot und Weißwein. Die betagte Seniorchefin Alcina Lopes hat schon zehntausende der Tiere fachgerecht gewaschen und ausgenommen. Ihr Rücken ist von der vielen Arbeit rund geworden, aber sie berichtet glücklich, dass sie täglich noch immer bis zu 90 Aale küchenfertig macht.

Dass die Verarbeitung und der Verkauf des Fischs schon immer Frauensache war, erschließt sich bei einem Besuch im Museo Municipal in Murtosa. In dem Ort wurde 1942 ein Erzeugerverband gegründet. Auslöser war die Versorgung italienischer Truppen mit Aal, der in großen Eichenfässern mit Öl, Essig, Nelken, Lorbeerblättern, Salz und Knoblauch haltbar gemacht wurde.

Sardinen ohne Haut und Gräten eingedost

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in dem Portugal neutral geblieben war, wurde in Maschinen investiert, um auch andere Fische einzudosen und zu exportieren. Im modernen Stadtmuseum von Murtosa wurde die Fabrikation mit den alten Anlagen nachgestellt. Unter dem Markennamen Comur wurden „Portugiesische Sardinen ohne Haut und Gräten“ auch nach Deutschland verkauft. In der Fabrik arbeiteten etwa 30 Frauen. Sie hatten damit erstmals die Möglichkeit, in der abgelegenen Gegend ihr eigenes Geld zu verdienen. Für sie war es der Aufbruch in die Moderne.

Aldeia da Pena: Wo sich Wolf und Ziege gute Nacht sagen

Auf die Zukunft von Aldeia da Pena hätte bis Mitte der 1990er-Jahre niemand auch nur einen einzigen portugiesischen Escudo gewettet. Das Dorf in einem abgelegenen Bergtal hatte nur noch zwölf Einwohner, darunter ein Kind. Das Fernsehen berichtete damals über den Weiler als einen der vergessensten Orte Portugals. Aldeia da Pena liegt in einem tief eingeschnittenen Tal, ist nur über eine meist einspurig ausgebaute Straße erreichbar. Sie führt in Serpentinen hinab, die Spitzkehren sind eng, die Abgründe, an denen man entlangfährt, sind angsteinflößend. Ansonsten erreicht man das Dorf nur zu Fuß oder mit dem Mountainbike. Aldeia da Pena liegt in einer Gebirgsregion, die sich Magic Mountains nennt. Doch die Magie dieses Ortes erschloss sich früher kaum jemandem. Dafür blühten die Legenden, die sich die Alten am Feuer flüsternd erzählten: von gefährlichen Riesenschlangen und Untoten, die sich auf verbotenen Gebirgspfaden ihre Opfer suchten.

Dennoch eröffnete ein unverbesserlicher Optimist in Aldeia da Pena eine Gaststätte. Das bedeutete die Wende für das sterbende Dorf. Denn immer mehr Reisende in der Region Centro de Portugal verließen die Stätten des Massentourismus, sie suchten Ruhe, Einsamkeit, Originalität und Unverfälschtheit. Damit kann Aldeia da Pena aufwarten. Es ist heute eine der Zwischenstationen mehrtägiger Wanderungen oder Mountainbike-Touren durch die Magic Mountains. Die Route nennt sich „Ziege und Wolf“. Inzwischen gibt es im Dorf ein zweites Lokal, einer schlichten Unterkunft für Übernachtungsgäste soll eine zweite folgen. Aldeia da Pena ist ein Beispiel dafür, dass der oft kritisierte Tourismus segensreiche Folgen entwickeln kann.

Alte Schieferdörfer locken neue Bewohner an

Insgesamt gibt es in der Region Centro de Portugal 27 derartige Schieferdörfer, von denen zehn touristisch erschlossen wurden. Es sind meist winzige Weiler, deren uralte Häuser aus Mauern und Dächern bestehen, die ganz aus Schieferplatten gefertigt wurden. Längst leben dort nicht mehr nur die alteingesessenen Familien. Zuzügler renovierten die verfallenen Katen der Kleinbauern, bauten komfortable Pensionen und Restaurants, in denen eine Küche basierend auf deftigen lokalen Spezialitäten angeboten wird.

In der unberührten Natur ringsum tummeln sich Rehe und Wildschweine. Im Lousa-Gebirge wurden sogar über 1000 Hirsche gezählt. Man begegnet neugierigen Ziegen, ein ebenso großer wie zutraulicher Hütehund schließt sich uns vorübergehend an – auch weil er erschnuppert hat, dass wir Proviant mit uns führen. Doch der Schutz der Nutztiere ist unumgänglich, denn der Wanderpfad ist nicht ohne Grund auch nach dem Wolf benannt. Lobo, wie er auf Portugiesisch heißt, durchstreift in beträchtlichen Populationen den einsamen Landstrich.

Kleiner Wallfahrtsort mitten in der Einsamkeit

Diese Einsamkeit war es, die der Legende nach vor langer Zeit den Heiligen Macarius auf den im zwölften Jahrhundert nach ihm benannten Berg oberhalb von Aldeia da Pena lockte. Heute stehen dort zwei später gebaute Kapellen aus Schiefer, die an den Heiligen erinnern und einen kleinen Wallfahrtsort bilden.

Die christliche Stätte lässt sich von Vouzela aus in etwa 40 Minuten Fahrt erreichen. Die in einem malerischen Tal gelegene Kleinstadt ist einen Abstecher wert, vor allem wegen zweier sehr unterschiedlicher Brückenbauwerke, die in Sichtweite zueinander stehen. Die Ponte Romana stammt zwar wahrscheinlich nicht aus der Römerzeit und dürfte eines späteren Datums sein. Sie zeigt aber, dass der Ort mindestens seit dem elften Jahrhundert besiedelt ist.

Alte Eisenbahnbrücke weist Wanderern und Mountainbikern den Weg

Im Jahr 1913 gesellte sich eine gewaltige Eisenbahnbrücke hinzu, welche die beiden Seiten des Tals und Vouzela mit der weiten Welt verband. Die Strecke wurde 1990 stillgelegt, weil infolge des Wirtschaftsaufschwungs nach der Nelkenrevolution 1974, bei der die faschistische Diktatur ein Ende nahm, immer mehr Menschen aufs Auto umstiegen. Heute erinnert in Vouzela nur noch eine schwarze Dampflokomotive am Ende der Brücke an selige Eisenbahnzeiten. Das Führerhaus lässt sich besteigen und die Nostalgie dieser Technikepoche erspüren. Die Schienen wurden herausgerissen, das ehemalige Gleisbett dient nun Wanderern und Mountainbikern als willkommener Weg.

Fährt man von Vouzela hinauf in die Magic Mountains, fällt das gut ausgebaute Straßennetz auf der Höhe der Berge auf. Es dient auch der Erschließung Hunderter Windkraftanlagen. Sie stehen oberhalb der Baumgrenze. Die Rotoren drehen sich auch auf den kargen Gipfeln rund um Aldeia da Pena – das einst gottverlassene Schieferdorf hat in mehrfacher Hinsicht wieder eine Zukunft.


INFORMATIONEN

Das Centro de Portugal erstreckt sich auf rund 270 Kilometern zwischen Porto im Norden sowie Lissabon im Süden und reicht im Osten bis an die spanische Grenze. In der Region gibt es vier Naturparks, fünf Naturreservate und zwei Schutzgebiete. Von den Surfstränden am Atlantik bis zum höchsten Punkt der Serra da Estrela sind es 1993 Höhenmeter.

ÜBERNACHTEN & ESSEN
So vielseitig wie das Land sind auch die Hotels:
•Das Tijosa Eco House liegt nahe Ovar direkt an der Lagune von Aveiro, wo Flamingos und Reiher leben. Das Ensemble und die Zimmer wurden von mehreren Designern gestaltet, so dass kein Raum wie der andere aussieht. Unter anderem im Veranstaltungsprogramm: Yoga mit Meeresblick.

•Das Hotel Casa das Ameias in Vouzela ist eine faszinierende Verbindung aus den Grundmauern eines reichen Bürgerhauses aus dem 16. Jahrhundert und moderner Sichtbeton-Ästhetik. Das ganze Gebäude – von der Tiefgarage bis zur Hochzeitssuite mit freistehender Badewanne – ist mit teilweise wertvollen Antiquitäten geschmückt beziehungsweise möbliert. Die Eigentümer-Familie zählt zu Portugals bedeutendsten Antiquitätenhändlern.

•Das Valverde Santar Hotel in Santar verfügt über 21 luxuriös ausgestattete Zimmer und Suiten in einem Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert. Das restaurierte aristokratische Gebäude liegt in einer Gartenlandschaft mit Weinbergen und einer eigenen Kellerei, die Dao-Weine von hoher Qualität produziert. Im angeschlossenen Restaurant Memorias Santar wird portugiesische Küche auf Sterne-Niveau geboten.

www.centerofportugal.com


Redakteur Harald Rast recherchierte auf Einladung der Region Centro de Portugal im äußersten Südwesten Europas.