Reise-Reportage
Auf Schatzsuche in Spaniens grünem Norden

12.04.2024 | Stand 12.04.2024, 19:00 Uhr
Simone Kuhnt

Naturgenuss und Erdgeschichte: In den 1980er Jahren wurde in Zumaia die Ursache für das Aussterben der Dinosaurier vor rund 65 Millionen Jahren gefunden. Nach einem Meteoriteneinschlag auf Yucatán verdunkelten Staubmassen für lange Zeit die Sonne und bedeckten die Erde, sodass viele Arten niedergingen. Eine dunkle Schicht im Flysch zeugt bis heute davon.  − Fotos: Kuhnt

Über und unter der spanischen Erde: Das Baskenland und Kantabrien inspirieren Naturliebhaber, Kulturinteressierte, Forscher und Künstler.

Klare Luft, saftig grüne Hügel, Kühe auf der Weide – und sogar eine Art „Jodler“ haben sie hier. Man könnte meinen, man sei irgendwo im Voralpenland. Wenn nicht gleich daneben große Wellen gegen die schroffe Atlantikküste brechen würden. Denn wir sind nicht in Bayern, sondern in Spaniens „Grünem Norden“, der für Kultur- und Naturliebhaber, Forscher und Künstler faszinierende Schätze birgt. Im „Geoparque de la Costa Vasca“ nahe des baskischen Dorfs Zumaia faltet sich die Erde auf wie ein riesiges Buch, das aus Millionen von Jahren Erdgeschichte erzählt. Die Plattentektonik hat hier tiefe Gesteinsschichten, die man vielerorts nur durch Bohrungen erforschen kann, blätterteigartig aufgestellt und an die Oberfläche geschoben. „Flysch“ nennt sich dieses Phänomen.

„Wissenschaftler lesen darin wie in einem Roman, mit Figuren und Handlungssträngen – ein ‚Disneyland‘ für Geologen“, erklärt die deutsch-baskische Journalistin und Kultur-Guide Jone Karres Azurmendi. Sie selbst liebe im Geopark vor allem die gute Energie, die sie hier spüre.

Die Kirche zum Buch „Die Säulen der der Erde“
Rund 80 Kilometer südwestlich von Zumaia erkunden wir die Altstadt von Vitoria-Gasteiz, der Hauptstadt der autonomen Region Baskenland. Mich zieht vor allem die gotische Catedral Santa María in ihren Bann. Im 13. und 14. Jahrhundert als Wehrkirche errichtet, später mehrfach erweitert und umgebaut, ist sie weder die Größte noch die „Schönste im ganzen Land“. Im Gegenteil. Es sind ihre Makel und Mängel, die sie so reizvoll machen. Asymmetrische Bögen, sich biegende Säulen, bis zu 20 Zentimeter dicke Risse in den Mauern und ein viel zu schwaches Fundament: 1994 drohte die Kirche einzustürzen und musste für eine weitreichende Renovierung geschlossen werden. Seit 2014 ist sie „abierta por obras“, „wegen Bauarbeiten geöffnet“. Ein poetischer Film erzählt von den Wunden und Schmerzen der Kathedrale und von der Heilung ihrer Leiden.

Dann nimmt uns Guide Eneko mit auf eine Reise von den Katakomben bis ins Dach, vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Die Kathedrale sei für ihn ein großer „Themenpark der Architektur“, sagt der 34-Jährige und freut sich wie ein kleiner Junge. Archäologen konnten durch Ausgrabungsfunde Lücken in der Stadtgeschichte schließen. Und als der britische Bestseller-Autor Ken Follet („Die Säulen der Erde“) seinen Roman „Die Tore der Welt“ (2007) schrieb, fand er in den vielen Fehlern der Kathedrale eine wahre Schatzgrube der Inspiration. Im Herbst 2023 kam mit „Die Waffen des Lichts“ der fünfte Teil der „Kingsbridge-Reihe“ in die deutschen Buchläden.

Hauptstadt Santander − Die „Braut des Meeres“
Natur, Kunst und Kulinarik genießen kann man auch wunderbar in Santander, der Hauptstadt der Autonomen Region Kantabrien. Zum Gebiet des eleganten Seebades gehören 13 Strände, die in verschiedene Himmelsrichtungen zeigen, sogar nach Süden, und das an der Nordküste. „Die Braut des Meeres“ wird die Stadt auch genannt, weil sie beinahe rundherum von Wasser umgeben ist.

Die frische Meeresbrise, Parks, Wiesen, Felder und Golfplätze wirken sich erholsam auf uns Besucher aus. Für gute Laune sorgt mit seinen Gesangseinlagen auch unser fröhlicher Guide Daniel Escudero. Viel Raum und Luft mitten in der Stadt hält die weitläufige Uferpromenade bereit. Darüber schwebt wie ein Ufo das Centro Botín, ein Zentrum für moderne Kunst und Kreativität, errichtet auf filigranen Stützen, die den Blick aufs Meer freihalten. Im gläsernen Aufzug nach oben jubelt aus dem Lautsprecher ein Chor in immer höheren Tönen „sí, sí, sí“ (spanisch für „Ja!“). Und egal mit wem man gerade im Aufzug fährt: Dieser Gag zaubert allen ein Lächeln ins Gesicht.

In der Galerie der Steinzeitkünstler
Auch das Umland von Santander hält Höhepunkte bereit: In der Nähe der Kleinstadt Santillana del Mar begeben wir uns in die „Unterwelt“. In der „Höhle von Altamira“ wimmelt es nur so von Hirschen, Wildschweinen, Bisons und Pferden. Ockerfarben und schwarzumrandet auf die Decke gezeichnet, gehören sie zu den schönsten Beispielen prähistorischer Höhlenmalerei. Als der Naturwissenschaftler Marcelino Sanz de Sautola 1879 begann, die Höhle genauer zu erforschen und seine Ergebnisse veröffentlichte, brachte er damit die Archäologen seiner Zeit und die Kirche gegen sich auf. Man feindete ihn an, nannte ihn einen Fälscher und Betrüger. Die Malereien sind mehr als 18000 Jahre alt und von frappierender künstlerischer Meisterhaftigkeit, und damit passten sie so gar nicht zur Schöpfungsgeschichte von Adam und Eva, und auch nicht zur damaligen Meinung der Steinzeitforscher. In ihren Augen waren „primitive“ Steinzeitmenschen nicht in der Lage, Kunst zu schaffen. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannte man die Echtheit der Malereien an. Zu spät für Sautola, der 1888 verstarb. Die Höhlen aber entwickelten sich zu einem beliebten Ausflugsziel, litten unter den Besucherströmen und mussten geschlossen werden. Seit 2001 kann man in einer gut gemachten Nachbildung die Zeichnungen bequem betrachten.

Mit Herz und Verstand für die „Zerklüftete Küste“
Im „Geoparque Costa Quebrada“ lernen wir die Geologin und Erdwissenschaftlerin Prof. Viola M. Bruschi und den Geologen und Landschaftsplaner Enrique Francés kennen, mit denen wir gleich „per du“ sind. Sie setzen sich für den Schutz der „Zerklüfteten Küste“ ein und hoffen, dass dieses Gebiet 2024 ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen wird. An den Fels- und Küstenformationen könne man außergewöhnlich gut die Effekte der Erosion durch Wind und Wasser erforschen, erklärt Viola. Enriques Leidenschaft gilt der Artenvielfalt. „Ich bin schon als 18-Jähriger hierhergekommen. Damals waren die Strände noch nicht erschlossen. Die Küste jungfräulich und wild, alles war voll von Leben. Wir haben gebadet und gelebt wie im Paradies“, erzählt der 70-Jährige. Ich spüre, wie sehr sein Herz an diesem Flecken Erde hängt und wir verabschieden uns voneinander mit einer herzlichen Umarmung.


INFORMATIONEN

Die spanischen Regionen Baskenland und Kantabrien liegen an der Nordküste des Landes. Die Bewohner des Baskenlandes pflegen ihre eigene Identität und Sprache. Das touristisch eher unbekannte Kantabrien mit seiner Hauptstadt Santander zeichnet sich im Hinterland durch sanfte, grüne Hügel und waldreiches Gebirge aus.

ESSEN & TRINKEN

Tapas und Wein: International bekannt ist Wein aus der Rioja. Die Basken sind aber auch stolz auf ihren Txakolí, einen leichten Weißwein, der traditionell von weit oben in das Glas gegossen wird. In San Sebastián, wo Touristenführerin Jone lebt, wird er gerne schon tagsüber getrunken, am besten zu einigen Pintxos. Das sind – ähnlich wie Tapas – kreative kleine Häppchen, die auf der Theke bereitstehen. Man kann immer wieder eines nehmen und bezahlt am Ende die entsprechende Anzahl.

Qualität pur: Im baskischen Fischerdorf Orio, bekannt für seine Seefahrer- und Rudertradition, isst man im „Bodegón Joxe Mari“ als Vorspeise gebackene Kiemen vom Seehecht, dann Seebrasse vom Straßengrill. Der Fisch ist fast nur mit Knoblauch gewürzt und kommt völlig ohne Beilagen aus. Zum Nachtisch gibt es Schafskäse oder Käsekuchen. Die baskische Küche überzeugt mit dem puren Geschmack hochwertiger Rohstoffe.

Kantabrische Feinkost: Gesalzene Sardellenfilets mit eigenen Händen in Öl einlegen, die exquisite Feinkost probieren und kaufen kann man in der kleinen Konserven-Manufaktur von Maria Asun Velar im kantabrischen Fischer- und Urlaubsort Castro Urdiales. Chefin Maria erklärt den Unterschied von Anchoas (Sardellenfilets), Bonito (Thunfisch), Boquerones (etwas längere Sardellen) und Gildas (Tapas-Spieße mit Oliven und Sardellen).

Frischer geht’s nicht: Bio-Gemüse, Bio-Fleisch, Muscheln und fangfrischen Fisch vom Grill gibt es in der „Caseta de Bombas“, dem ehemaligen Pumpenhaus eines Trockendocks in Santander. Das Restaurant liegt direkt am Atlantik, ist lichtdurchflutet und schlicht-edel eingerichtet. Angenehm: Die Gäste kommen in Freizeitkleidung. Gut essen zu gehen, bedeutet hier nicht, dass man sich dafür extra zurecht machen muss. Und in den vielen Tapas-Bars geht es sowieso locker zu.

ALLES IN BEWEGUNG
Die Basken lieben den Sport, den Wettkampf und das Wetten. Ganze Fischerdörfer fiebern mit, wenn ihre Ruderteams alljährlich in San Sebastián ihre Meisterschaften im Küstenrudern austragen. Sehr beliebt ist auch das Radfahren, wohl gemerkt aus eigener Kraft: E-Bikes sieht man viel seltener als in Deutschland. Pelota nennt sich ein baskisches Ballspiel, bei dem ein kleiner harter Lederball gegen eine Wand gespielt wird, zum Teil mit der bloßen Hand. Und in vielen Städten sieht man gelbe Pfeile auf dem Pflaster: Sie weisen den Pilgern auf dem Jakobsweg (Camino del Norte) die Richtung nach Santiago de Compostela. Einen schönen Golfplatz direkt an der Küste findet man in der kantabrischen Hauptstadt Santander. Hier sieht man auch viele Surfer und Kitesurfer.

KUNST & ARCHITEKTUR
Im baskischen Wirtschaftszentrum Bilbao fasziniert das Guggenheim-Museum mit seiner außergewöhnlichen Architektur. Entworfen von dem amerikanischen Architekten Frank O. Gehry hat es maßgeblich zu Bilbaos städtischer Revitalisierung beigetragen. Im kantabrischen Comillas kann man „El Capricho“ bewundern, eines der ersten Meisterwerke des berühmten spanischen Architekten Antoni Gaudí. Ein futuristisches Museum für moderne Kunst findet man mit dem Centro Botín in Santander.

www.spain.info/de

www.ingreenspain.es/de

turismodecantabria.com/inicio


Autorin Simone Kuhnt recherchierte auf Einladung von „Tour España“ im Baskenland und in Kantabrien.