Reisereportage
Sommerfrische am Ritten

06.04.2024 | Stand 06.04.2024, 5:00 Uhr

Von der Südtiroler Landeshauptstadt Bozen auf den Ritten: Der Höhenunterschied von 950 Metern wird mit der Rittner Seilbahn in zwölf Minuten bewältigt.  − Fotos: Metzger

Schon vor Jahrhunderten wussten die vermögenden Bozner, wo es sich in der warmen Jahreszeit am besten aushalten lässt – in der Höhe. Heute zieht es auch Südtiroler Weinbauern hoch hinaus.

Zehn Grad – das ist schon eine Hausnummer! So viel kühler ist es im Schnitt in den (Früh-)Sommermonaten auf dem Hochplateau Ritten oberhalb von Bozen. Schon um das Jahr 1505 wussten die Menschen unten im sich aufheizenden Talkessel diese Frische zu schätzen. Zwar mag der Temperaturunterschied damals freilich noch nicht so groß gewesen sein. Belegt ist hingegen, dass bereits vor mehr als 500 Jahren die ersten Sommerfrischler das auf nur 296 Metern liegende Bozen im Juni verließen und erst im September in die Stadt zurückkehrten. Dieses Privileg war freilich nur den Wohlhabenden vorbehalten.
Zu Beginn des Sommers ist es seither Brauch, dass man in die „Frisch“ geht. Die traditionelle Sommerfrische dauerte einst genau 72 Tage. Am 29. Juni wurden Hausrat, ausreichend Wäsche der reichen Bozner in Truhen und Schachteln verstaut, die Kinder in die sogenannten „Pennen“, aus Ruten geflochtene Tragkörbe, gepackt und zusammen mit der „gnädigen Frau“, die meist im Damensattel hoch zu Ross saß, in die „luftige Höh‘“ gebracht.
Bis zu 400 Jahre alt sind die Häuser in Oberbozen am Ritten. „Die Sommerfrische-Häuser sind Kunstwerke“, sagt Graf Ulrich von Toggenburg, der selbst seit Jahrzehnten die warmen Monate lieber auf gut 1100 Metern Höhe verbringt. Die Häuser seien so gebaut worden, dass sie immer kühl bleiben. „Mit großen Mittelgängen und bis oben offenen Treppenhäusern.“ Winterfest können die Gebäude nicht gemacht werden, gibt Graf von Toggenburg zu bedenken. Anfang, spätestens Mitte September werden die Holzläden geschlossen, und die Bewohner zieht es wieder nach Bozen, laut Ulrich von Toggenburg eine der heißesten Städte Italiens.

In zwölf Minuten mit der Seilbahn auf den Ritten

Darauf muss inzwischen auch Florian Schmid reagieren. Der Winzer, der Südtirols ältestes familiengeführtes Weingut im Bozner Stadtteil Gries leitet, geht angesichts des immer unberechenbareren Wetters innovative Wege. Auch ihn zieht es mit seinen Weinbergen in die Höhe; teils gedeihen die Trauben auf dem Ritten.

„Die Sorte Lagrein wurzelt tief und hat genug Feuchtigkeit bei Hitze“, erklärt der Winzer den Vorteil des für Südtirol typischen Rotweins. „Alle anderen Sorten sind nach oben gewandert“, betont er. Die Premiumlagen würden sich inzwischen auf 300 bis 400 Metern Höhe befinden. „Das geht nur bei uns.“ In anderen italienischen Weinregionen wie der Toskana liegen die Reben bereits auf den Hügeln. Höher hinaus können die die dortigen Weinbauern also nicht.
Im vergangenen Jahr hätten die toskanischen Winzer Ernteausfälle von bis zu 50 Prozent hinnehmen müssen. Nahezu jeden zweiten Tag im Sommer habe es ein Gewitter gegeben. „In der sonnenverwöhnten Toskana sind sie die Feuchte nicht gewohnt“, erklärt Schmid. Er dagegen habe deswegen bereits auf pilzwiderstandsfähige Rebsorten umgestellt.
Florian Schmid, der das jahrhundertealte Weingut Schmid Oberrautner in der 21. Generation führt, spricht von einer „bedenklichen Entwicklung“. Noch vor 40 Jahren sei in der Regel Ende Oktober mit der Lese begonnen worden. „Jetzt sind wir bei Ende September.“ Das alles habe Folgen. So habe der für Bozen typische St. Magdalener im Vergleich zu vor 30 Jahren mehr Volumenprozent und liege inzwischen bei 13 bis 13,5 Prozent. Zudem installierte Schmid in den Fässern Kühlanlagen, um die Gärtemperatur zu garantieren. „Sonst karamellisiert der Wein.“
Auch wenn es im Tal in den Sommermonaten deutlich wärmer ist, zieht es Graf Ulrich von Toggenburg jeden Tag vom beschaulichen Ritten ins quirlige Bozen mit seinen zahlreichen Geschäften und Restaurants. Mit der Seilbahn gelangt er ins Zentrum der Landeshauptstadt. Die Verkehrsverbindung zwischen Bozen und dem Ritten hat eine lange Tradition. Schon vor hundert Jahren gab es eine Zahnradbahn. Seit Mai 2009 befördert eine Dreiseilumlaufbahn Einheimische, Pendler und Gäste auf den Ritten. In nur zwölf Minuten kommt man hoch hinaus.


Redakteurin Isabel Metzger recherchierte in Südtirol mit Unterstützung der Tourismusvereine Ritten und Bozen.


Ritten ist die Gebietsbezeichnung für den Bergrücken, der sich zwischen den Flüssen Eisack und Tapfer auf einer Fläche von 111,48 Quadratkilometern erstreckt. Vom Bozner Talkessel, der auf 296 Metern liegt, geht es bis auf 2260 Meter zum Rittner Horn hinauf.

TIPPS
•Das Rittner Horn zählt wegen seines Rundum-Panoramas auf die Dolomiten zu den schönsten Aussichtsbergen. Unbedingt einkehren in der Feltuner Hütte.

www.feltunerhuette.it
•Api-Wellness, also die Inhalation von Bienenstockluft, bietet Karin Rinner, Juniorchefin des Hotels Rinner in Oberbozen, ihren Gästen an. Infos dazu: www.hotel-rinner.it
•Auf Kräutermischungen hat sich Thomas Oberrauch auf seinem Stiegerhof in Oberinn spezialisiert. Die Kräuter baut er auf 1325 Metern Höhe selbst an. www.stiegerhof.it

ÜBERNACHTEN
•Ein Geheimtipp ist das etwas abgeschiedene Bed-and-Breakfast-Hotel AEON auf dem Ritten. Die Gäste müssen mindestens 18 Jahre alt sein. www.aeon.it
•Das Greif zählt zu den ersten Adressen in Bozen, allein schon wegen der zentralen Lage direkt am Waltherplatz. www.greif.it

ESSEN

•Das Traditionsgasthaus Vögele bietet im Zentrum von Bozen bodenständige Südtiroler Küche an. www.voegele.it
•Sterneküche erwartet die Gäste im Restaurant 1908 im Parkhotel Holzner in Oberbozen. Im Gault Millau 2021/22 für Südtirol gehören Spitzenkoch Stephan Zippl und das Restaurant 1908 in der Kategorie „Innovation des Jahres“ zu den Entdeckungen 2021. www.restaurant1908.com
• Nudelliebhaber kommen im Italia & Amore in Bozen auf ihre Kosten. www.italiaamore.it

www.bolzano-bozen.it

www.ritten.com