Reise-Reportage
Auf den Spuren der Kaiserin unterwegs im Südtiroler Eggental

19.04.2024 | Stand 19.04.2024, 19:00 Uhr

Im Karer See, umgeben von einem der schönsten Fichtenwälder Europas, spiegelt sich das Latemar-Massiv.

Das Eggental erlangte durch prominente Gäste früh touristische Bekanntheit. Die Dolomiten-Landschaft mit den mächtigen Gebirgsstöcken Rosengarten und Latemar zählt zum UNESCO-Welterbe. Dennoch ist die Region unweit von Südtirols Hauptstadt Bozen nicht überlaufen – mit besten Bedingungen für Bergsport-Fans.

Stopp, ruft Norbert Pichler und drückt die Bremse. Er steigt von seinem Rad, zeigt auf einen großen Stein, der unscheinbar am Wegrand liegt. „Hier“, sagt Pichler, „genau hier soll sie am liebsten gesessen haben, die Kaiserin.“ Ja, Elisabeth von Österreich, die berühmte Sisi, verbrachte 1897 tatsächlich ihren Urlaub am Karerpass, Sommerfrische auf über 1600 Metern Höhe war angesagt. Warum sich die edle Dame ausgerechnet ein schnödes Felsenstück als bevorzugtes Rastplätzchen ausgesucht hat, wird schnell deutlich, wenn man den Blick schweifen lässt.

Auf der einen Seite thront der majestätische Rosengarten, ein mächtiger Gebirgsstock mit nahezu senkrechten Wänden, der sich über acht Kilometer vom Tierser Tal in Südtirol bis zum Fassatal im Trentino erstreckt. Auf der anderen Seite blinzeln die bleichen und nicht minder imposanten Spitzen des Latemar-Massivs durch den Fichtenwald, der sich zusammen mit den schroffen Gipfeln eindrucksvoll im glasklaren Wasser des Karer Sees spiegelt.

Das Tal wirkt wie ein romantisches Kleinod

Kein Wunder, dass diese Märchenlandschaft nicht nur Kaiserin Sisi in ihren Bann gezogen hat. Karl May, Sigmund Freud, Winston Churchill, Agatha Christi – sie alle fanden schon den Weg hinauf auf diese kleine Passhöhe im Südtiroler Eggental, das gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch mit einer weiteren Attraktion aufwarten konnte. Das Grand Hotel „Carezza“ (italienisch für Karersee) galt zu dieser Zeit als absolutes Pionierprojekt und als eines der besten Häuser weltweit, bot es doch neben sämtlicher Annehmlichkeiten sogar durchgehend Strom.

Mehr als 100 Jahre später ist der Glanz des Grand Hotels längst verblasst. Und bis auf die zahlreichen Foto-Touristen, die vor allem mit Motorrädern die schmale Passstraße hinaufdüsen, um vor dem in der Sonne smaragdgrün schimmernden Karer See schnell ein Selfie zu knipsen, erinnert im Eggental mit seinen sieben kleinen Ortschaften nichts mehr an einen Hotspot in den Bergen, von denen es in Südtirol nicht zu wenige gibt.

„Wir sind wirklich noch ein Geheimtipp“, sagt Norbert Pichler. Gerade erst ist der Mountainbike-Guide zurückgekehrt von einer Tour quer durch die Dolomiten. Seiseralm, Gröden, Drei Zinnen – klingende Namen, beeindruckende Bergkulissen. Aber Pichler kennt auch die Schattenseiten. Menschenschlangen, überfüllte Hütten, schon am Morgen geschlossene Parkplätze, tausende Leihräder, die täglich an Besucher aus der ganzen Welt rausgehen.

Das Eggental wirkt dagegen wie ein romantisches Kleinod. Selbst auf der Latemar-Umrundung, dem Bike-Klassiker schlechthin in der Region, radelt man an einem schönen Spätsommertag gefühlt alleine durch die weitläufige Landschaft, die seit 2009 zum UNESCO-Welterbe zählt. Damals, zu Hochzeiten des Grand Hotels, entstanden Hunderte Kilometer an Wegen und Pfaden, auf denen sich heute neben Wanderern vor allem Mountainbiker tummeln. Viel Arbeit und Herzblut habe man in den letzten Jahren investiert, um das Angebot auf ein neues Level zu hieven, erzählt Pichler. Nicht zuletzt dank des Einsatzes von Florian Eisath, früher als Skiprofi im Weltcupzirkus unterwegs, und heute Geschäftsführer von Carezza Dolomites, sei es gelungen, das Eggental zu einem Bike-Eldorado aufzurüsten.

Ein ganz besonderer Fichtenwald

Wege wurden ausgebaut, neue Trails wie der Carezza-Trail künstlich angelegt, sogar ein Bikepark ist entstanden. Viele Hotels haben sich auf Radfahrer spezialisiert – und weil zahlreiche Lifte und Gondeln mittlerweile Bike-Transport anbieten, kommen selbst weniger konditionsstarke Sportler oder Familien mit Kindern in den Genuss von Touren mit spektakulären Aussichten auf die umliegenden Dolomitenriesen.

Bike-Guide Pichler, in einem kleinen Bergbauernhof in der Region aufgewachsen und eigentlich gelernter Koch, kennt nicht nur die besten Trails und Hütten. Nein, der 51-Jährige kann auch die Geschichte und Geschichten des Tals erzählen, das nur einen Katzensprung entfernt liegt von der Landeshauptstadt Bozen und reich ist an Sagen und Legenden. Eine rankt sich um die Entstehung des Karer Sees. So soll der Hexenmeister von Masaré, nachdem er von der wunderschönen Wasserjungfrau verschmäht wurde, vor Liebeskummer einen Regenbogen vom Himmel gerissen und ihn mitsamt seiner Juwelen in den See geschmettert haben. Seitdem glitzert dieser in satten, tiefen Regenbogentönen, die Einheimischen nennen ihn auf Ladinisch „Lec de ergobando“, Regenbogensee.

Norbert Pichler hält wieder inne. Er zeigt auf den Wald, der sich rund um den Karer See unterhalb des Latemar ausbreitet. 300 Jahre alte Baumriesen ragen hier in den Himmel, „es ist einer der größten und schönsten Fichtenwälder Europas“, erklärt Pichler. Die meisten Bäume wachsen ganz gerade und locken Instrumentenbauer aus der ganze Welt an. Sogar Stradivari soll aus dem Holz dieser Klangfichten schon seine Geigen gebaut haben.

Norbert Pichler steigt wieder auf sein Rad. Er erzählt von der Entstehung der Dolomiten, von 280 Millionen Jahren Erdgeschichte, von Zeiten, als die Felsen und Gipfel hier noch Korallenriffe im Meer waren. Von den Dörfern, den Bräuchen und kulinarischen Besonderheiten der Ladiner, der kleinsten einheimischen Bevölkerungsgruppe Südtirols. Und natürlich erzählt er von „Rosadira“, dem berühmten Dolomitenglühen, das nirgends besser zu bestaunen sei als im Rosengarten, dem gewaltigen Wahrzeichen der Region. Auch wenn die Menschen das Leuchten der Bergwände in der Abenddämmerung auf einen Fluch des mächtigen Zwergenkönigs Laurin zurückführen, gibt es dafür doch eine ganz nüchterne physikalische Erklärung. Bei tief stehender Sonne muss das Licht einen längeren Weg durch die Erdatmosphäre zurücklegen. Dabei wird insbesondere der blaue Lichtanteil in andere Richtungen gestreut. „Übrig bleiben Rottöne, die auf den Felsen des Rosengartens besonders zur Geltung kommen“, erklärt Hansjörg Welscher.

Rosengarten: Viele Wege, viele Möglichkeiten

Welscher, seit mehr als 25 Jahren als Bergführer unterwegs, kennt die Gegend wie kaum ein anderer. Er ist hier aufgewachsen, stand auf allen Gipfeln, liebt Heimat und Natur. Der Rosengarten sei für Wanderer und Kletterer ideal zugänglich und erschlossen, sagt er. Es gibt zwölf Hütten, ein weit verzweigtes Wegenetz und viele Übergänge: „Auch wenn viele Leute unterwegs sind – durch das große Angebot kommt man sich nie in die Quere“, meint Welscher.

Neben rund 500 Kilometern an Wanderwegen und zahlreicher alpiner Kletterrouten gibt’s im Rosengarten auch einige Klettersteige. Besonders beliebt, weil auch für Einsteiger geeignet, ist die Besteigung der Rotwand. „Der anstrengendste Teil ist eigentlich der Zustieg“, sagt Welscher lachend. Der Weg über den Vajolonpass führt ins Herz der Dolomiten, von dort aus geht’s dann rund 250 Höhenmeter in leichter Kletterei, immer gut durch ein Drahtseil gesichert, auf den 2806 Meter hohen Gipfel. „Wichtig ist, dass man genügend Zeit einplant und nicht zu spät beginnt. Vor allem am Nachmittag kann das Wetter schnell umschlagen“, sagt Welscher.

Auf dem Gipfel angekommen zieht der Bergführer als erstes eine kleine Dose aus dem Rucksack und sammelt wie schon auf der ganzen Tour Müllfetzen oder kleine Glasscherben auf. Dann zeigt er in die Ferne, erzählt über die umliegenden Gebirgsketten. Von der vergletscherten Ortlergruppe über die Ötztaler und Stubaier Alpen zum Langkofel, Sellastock und der Marmolata. Ein imposanter Ausblick, der sicher auch Kaiserin Sisi in den Bann gezogen hätte.


INFORMATIONEN

Das Eggental mit seinen sieben Bergdörfern (9300 Einwohner) liegt 20 Autominuten von der Südtiroler Landeshauptstadt Bozen entfernt. Die 100-Seelen-Siedlung Karersee (1620 Meter hoch) ist idealer Ausgangspunkt für Bergtouren.

ANREISEN

Mit dem Auto über die Brennerautobahn, von der Ausfahrt Bozen Nord erreicht man alle Orte in 20 bis 30 Kilometern. Von München gibt es mehrmals täglich auch eine direkte Zugverbindung nach Bozen, viele Hotels im Eggental bieten kostenlosen Abholservice vom Bahnhof an.

ÜBERNACHTEN

Vom Luxushotel bis Urlaub auf dem Bauernhof – das Übernachtungsangebot ist vielfältig, die Übernachtungskapazität aber gering, zudem sind fast alle Häuser klein und familiengeführt. Mit traumhafter Alleinlage in Karersee, großem Wellnessangebot und Familienzimmern gilt das Vier-Sterne-Superior-Haus Moseralm als eine der Topadressen. Die Betreiberfamilie Eisath zählt zu den wichtigsten Akteuren des regionalen Tourismus. Seniorchef Georg Eisath ist Eigentümer des Skigebiets Carezza, das vor der Haustüre liegt, und gilt als Pionier der künstlichen Beschneiung. Info: www.moseralm.com.

NACHHALTIGKEIT

Das Eggental ist als erste Ferienregion Südtirols mit dem Nachhaltigkeitslabel Südtirols ausgezeichnet worden und legt großen Wert darauf, die Natur in der Region zu schützen. Dazu gibt es viele Initiativen, Veranstaltungen, Umweltprojekte und „grüne“ Urlaubsangebote. Weitere Infos unter www.eggental.com/de.