Stephansposching/Plattling
Trotz steigender Flüchtlingszahlen: 2015 bleibt Vergangenheit

Sprecherin der Regierung von Niederbayern besucht Flüchtlingsunterkunft

25.11.2022 | Stand 25.11.2022, 5:00 Uhr

Gemeinsam „Deutschland gucken“: Die syrischen Flüchtlinge in Stephansposching fiebern mit der deutschen Elf mit – an der 1:2-Niederlage gegen Japan können auch sie nichts ändern. −Foto: Bauer

Von Franz Josef Bauer

Zurück ins Jahr 2015: Willkommenskultur. Offene Grenzen, offene Arme. Doch irgendwann kippt die Stimmung, die Ämter sind überfordert, fühlen sich zunehmend allein gelassen. Leitwölfe beschwören in Leitartikeln die Leitkultur. Viel wird gesagt, viel wird behauptet und Vieles muss später verziehen werden. Heute heißt es von allen Seiten, 2015 darf nicht erneut geschehen. Doch die Flüchtlingszahlen steigen – und damit auch die Gefahr, dass der Streit sich wiederholt?

„Die Situation ist nicht ansatzweise mit 2015 vergleichbar.“ Katharina Kellnberger winkt ab: „Diesmal gibt es Strukturen, die gut funktionieren. Die Verfahren laufen heute geordneter.“ Die Sprecherin der Regierung von Niederbayern macht sich regelmäßig ein Bild von den Erstaufnahmeeinrichtungen im Bezirk. „Die Lage ist sehr ruhig“, versichert sie. Am Mittwoch, 23. November, hat sie die Flüchtlingsunterkunft im Industriegebiet zwischen Plattling und Stephansposching besucht. Vor Ort zeigte ihr Dependance-Leiter Rudolf Henschker die neue Thermohalle, eine Erweiterung der Kapazität um 100 Betten, von nun an bezugsfertig. Mit dabei waren auch Lisa Limmer, Leiterin des Sachgebiets 15 – Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber – und Wieslawa Waberski von der Pressestelle der Regierung von Niederbayern.

Stephansposching ist eine Außenstelle des Ankerzentrums Deggendorf. Die vergangenen Jahre war die Auslastung eher gering. Seit Juli steigen die Zahlen wieder, im Oktober kamen täglich rund 30 Personen. Dennoch sind die Dimensionen andere als zur Zeit der „Flüchtlingskrise“. Zwar dynamisiere sich das laut Kellnberger das „Ankunftsgeschehen“, von einer Wiederholung von 2015 könne man aber nicht sprechen. Damals seien zwischen Januar und Oktober 50230 Asylbewerber nach Niederbayern gekommen, heuer bislang 6650 – nicht mal ein Siebtel.

Voll ist die Unterkunft trotzdem. In Stephansposching wohnen etwa 165 Personen, genaue Angaben sind schwierig, die Fluktuation ist groß. Asylsuchende bleiben im Schnitt nur vier Wochen. „Man muss sich das als Stufe 1 vorstellen, die ersten Schritte hier im Land“, erklärt Henschker.

Doch welche Stufen folgen, wie geht es für den einzelnen Flüchtling weiter? Kellnberger hat darauf keine eindeutige Antwort. „Das kommt darauf an: Bekommt der Asylbewerber ein Bleiberecht in Deutschland, kann er eine eigene Wohnung beziehen. Wenn der Asylantrag abgelehnt wird, muss die Person Deutschland wieder verlassen.“ Bis dahin bliebe sie in Gemeinschaftsunterkünften und dezentralen Unterkünften wohnen.

Die Nationalitäten, die das Ankerzentrum Deggendorf aufnehmen darf, werden „von oben“ vorgegeben. Syrer, Afghanen, Türken, Moldawier und Aserbaidschaner – wer von woanders kommt, muss in ein anderes Ankerzentrum. Die Dependance Stephansposching kümmert sich ausschließlich um männliche Syrer. „Das ist mit Deggendorf so vereinbart“, sagt Henschker.

Ukrainer sucht man in den Ankerzentren vergebens. „Flüchtlinge aus der Ukraine haben einen anderen rechtlichen Status.“ Kellnberger räumt mit einem Missverständnis auf. Menschen, die vor Putins Krieg fliehen, sind keine Asylbewerber, daher durchlaufen sie auch kein Asylverfahren. „Mit Blick darauf wurden und werden sie ganz überwiegend nicht in Ankerzentren versorgt, sondern direkt durch die Kreisverwaltungsbehörden untergebracht.“ Niederbayern zählt bisher knapp 15000 Ukraine-Flüchtlinge.

Die Syrer von Posching sind vor einem anderen Krieg mit russischer Beteiligung geflohen. Jeder trägt sein Päckchen, meist still, oft sogar auffällig leise. „Ich bin immer wieder erstaunt über die fehlende Geräuschkulisse“, merkt Henschker an. Selbst beim Fußballschauen herrscht Prüfungslautstärke. Die Atmosphäre ist friedlich, nennenswerte Konflikte gebe es nicht, meint Henschker. „Höchstens mal einen Meinungsverschiedenheit, wie’s halt immer ist, wenn Menschen zusammenkommen.“ Handgreiflichkeiten? Für die Syrer ein Fremdwort, übertragen und buchstäblich gemeint. Vielleicht trägt die homogene Zusammensetzung der Gruppe dazu bei, größere Reibereien zu vermeiden.

Auch die „alteingesessenen“ Bewohner von Plattling und Stephansposching hätten keine Probleme mit der Unterkunft. „Die Leute nehmen die Dependance gut an.“ Die Lage im Gewerbegebiet wirke sich vorteilhaft aus, so Henschker. Außerdem gebe es das Ankerzentrum schon seit längerer Zeit. Gewohnheit schafft Akzeptanz, die Unterkunft ist ein Stück Normalität geworden.

Ämter, Anwohner, Asylbewerber – die verschiedenen Stimmen klingen ähnlich optimistisch, wenn es um Gegenwart und Zukunft geht. 2015 ist die Vergangenheit, die man hinter sich lassen will. Bisher scheint das ganz gut zu funktionieren.