Seit 62 Jahren pflegt sie ihren Sohn
Margareta Lingl aus Plattling erhält den Bayerischen Verdienstorden

Landrat Bernd Sibler: „Es hätte keine Bessere treffen können“

14.12.2022 | Stand 17.09.2023, 8:26 Uhr

Tapferkeit und Nächstenliebe zahlen sich aus: Margareta Lingl bekommt von Landrat Bernd Sibler (r.) den Bayerischen Verdienstorden für „ihre Einstellung zum Leben und ihre Leistungen in der Fürsorge“ überreicht. Bürgermeister Hans Schmalhofer ist stolz, dass die Auszeichnung zum zweiten Mal an eine Plattlingerin geht. −Foto: Bauer

Von Franz Josef Bauer

Schläge einstecken, Veilchen bekommen, sich berappeln, weiterkämpfen: Die Berufsbeschreibung eines Boxers passt auf Margareta Lingls Leben wie die Faust aufs Auge. Das Schicksal prüft die Plattlingerin mehrfach, doch sie bleibt standhaft, trotzt dem Knockout kraft ihres „unerschütterlichen Glaubens“. Am Dienstag ist sie für „ihre Einstellung zum Leben und ihre Leistungen in der Fürsorge“ im Landratsamt mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet worden.

Terminbedingt ehrt Sibler statt Söder

„Eine ganz besondere Ehrung für einen ganz besonderen Menschen“, sagt Landrat Bernd Sibler, als er Lingl den Orden überreicht. Eigentlich die Aufgabe des Ministerpräsidenten, eigentlich ein Fall für die Staatskanzlei. Aus terminlichen Gründen übernimmt aber Sibler die Ordensfeier, die im großen Sitzungssaal kurzerhand mit weiteren Ehrungen zusammengelegt worden ist. Den 65 Teilnehmern, darunter auch Bürgermeister Hans Schmalhofer, erzählt Sibler von Lingls Tun, vom „Wiederaufstehen nach Schicksalsschlägen“.

Vor 62 Jahren bringt Lingl Sohn Werner zur Welt, ein lebenslanger Pflegefall. Er hat Entwicklungsrückstände, ist bei alltäglichen Dingen wie Hygiene, Essen und Feinmotorik auf die Hilfe anderer angewiesen. „Viele hätten damals aufgegeben, Sie haben die Aufgabe angenommen“, lobt Sibler die Geehrte. Lingl lässt Werner im Familienverbund aufwachsen, gibt ihm Struktur, ermöglicht ihm ein „größtenteils normales Leben“ – aktiv statt fremdbestimmt.

Lingls persönliche Freiheit ist dadurch stark eingeschränkt. Sie sieht Nachbarn in den Urlaub fahren, hört ihren Geschichten zu – doch für sie bleiben Garda und Jesolo bedeutungsleere Buchstabenfolgen. Dennoch: Lingl sieht die Betreuung immer als „mütterliche Pflicht, die sie gern macht“, so Sibler. Kein Meckern, kein Klagen. „Margareta Lingl steht ihre Frau.“

Eine Eigenschaft, die 1985 akut gefragt ist. In diesem Jahr stirbt ihre Tochter an einem Asthmaanfall, 24 Jahre jung. Lingl hat „viele schlaflose Nächte“, der Schmerz reißt tiefe Wunden in ihr Herz. Doch sie tut, was sie immer tut: „Vorwärts gehen und die Zukunft ein Stückchen besser machen“, meint Sibler anerkennend.

Lingls größte Stütze ist ihr Glaube. Eine tiefe Religiosität nimmt ihr jede Angst, spendet ihr Hoffnung. Zuhause beim Beten, aber auch öffentlich. Lingl engagiert sich seit Jahrzehnten in ihrer Gemeinde, der Pfarrei St. Michael. Sibler kennt die Ordensträgerin durch die kirchliche Begegnung. „Sie ist auch in Glaubensfragen ein Vorbild für Hingabe“, unterstreicht er bei der Verleihung. „Ohne Margareta Lingl läuft nichts. Kochen, Aufräumen, Abwasch – all das dauert ohne sie sicher doppelt so lange.“ Auffällig ist Lingl nur, wenn sie fehlt. Sie wirkt im Hintergrund, zieht die Fäden als Organisationstalent. Auch das ist ehrenwert: Für ihr „kirchliches Engagement“ bekommt Lingl das Ehrenzeichen des bayerischen Ministerpräsidenten verliehen.

Ein Orden für die ganze Familie

Dann folgt ein weiterer schwerer Schlag: Vor fünf Jahren stirbt Lingls Ehemann, ihr ewiger Beistand. Nicht plötzlich, aber trotzdem tragisch. Am Dienstag widmet sie den frisch erhaltenen Orden ihm und dem Rest der Familie, von der die Schwiegertochter und einige Enkelkinder im Publikum sitzen.

„Der Orden ist für alle“, sagt Sibler. „Aber besonders für Sie.“ Der Landrat ist seit Längerem ein „Lingl-Fan“, dringt selbst auf eine Ehrung. Vorgeschlagen hat er sie aber eigentlich für eine andere Auszeichnung. „Ich wollte, dass man Ihnen das Bundesverdienstkreuz überreicht, aber der Freistaat hat das gehörig aufgemörtelt.“ Der Verdienstorden ist als zweithöchste bayerische Ehrung streng limitiert, höchstens 2000 lebende Menschen dürfen das weiß-blaue Malteserkreuz tragen. Thomas Müller, Theo Waigel, Elke Sommer – klangvolle Namen, unter die Lingl sich einreiht, als zweite Plattlingerin nach Nicki. Einen „ausgewählten Club“, nennt Sibler die Ordensträger.

Weil Lingl fortan dazugehört, rückt der Landrat kurz vom Protokoll ab: Ein Händedruck scheint nicht genug, er umarmt die Geehrte und behauptet lächelnd: „Es hätte keine Bessere treffen können.“