Deggendorf
Geschichte am Straßenrand: Tafel informieren über Hindenburg

17.04.2023 | Stand 16.09.2023, 23:28 Uhr

Stellten die Tafeln vor: Bernhard Greiler („Demokratie leben“), dritte Bürgermeisterin Renate Wasmeier, Prof. Lutz-Dieter Behrendt vom Stadtarchiv, Hela Schandelmaier („Kunst und Kultur an der Donau“) und Bauamtsleiter Christoph Strasser. −F.: stg

Nach Paul von Hindenburg würde heute niemand mehr eine Straße benennen – doch wie geht man mit den vorhandenen Hindenburgstraßen um? Die Deggendorfer Antwort darauf wurde am Montag vorgestellt: Vier Tafeln, die die Person Hindenburg und ihre Rolle vom Ersten Weltkrieg bis zur Nazi-Herrschaft einordnen.

Ausgangspunkt war ein Antrag der Stadtratsfraktion der Freien Wähler, die Hindenburgstraße umzubenennen. Die Stadtverwaltung schrieb in einem ersten Schritt alle Besitzer von Gebäuden an der Hindenburgstraße an. Die Antwort war eindeutig: 35 Antworten kamen zurück, 30 waren gegen eine Umbenennung.

In der Folge beschloss der Verwaltungsausschuss im September 2021 mehrheitlich, dass der Straßenname bleibt, aber eine „kritische Auseinandersetzung mit der historischen Person Paul von Hindenburg im öffentlichen Straßenraum erfolgen soll“.

Diese Auseinandersetzung erfolgt in Form von vier Tafeln, die der Verein „Kunst und Kultur an der Donau“ mit Unterstützung des städtischen Bauamts und gefördert vom Projekt „Demokratie Leben“ entlang der Hindenburgstraße aufgestellt hat. Der Text darauf stammt von Prof. Lutz-Dieter Behrendt vom Stadtarchiv. Zusammenfassend steht auf jeder Tafel über Hindenburg: „Generalfeldmarschall und Reichspräsident, Militarist, Kriegstreiber, Antidemokrat, mitverantwortlich für die Opfer des 1. Weltkrieges, Wegbereiter des NS-Regimes“. Bei den Illustrationen habe man auf Deggendorfer Quellen zurückgegriffen, sagte Bauamtsleiter Christoph Strasser: Zeitungsartikel, aber auch Lieder und Gedichte, die vor 100 Jahren zu Ehren Hindenburgs geschrieben wurden.

Vereinsvorsitzende Hela Schandelmaier sagte bei der Vorstellung der Tafeln, deren Ziel sei es, die geschichtliche Rolle Hindenburgs zu erklären. „Dadurch, dass man etwas abschafft, ist noch nichts erklärt“, meinte sie zu der Diskussion um die Umbenennung. Ähnlich formulierte es dritte Bürgermeisterin Renate Wasmeier: „Es ist wichtig, Geschichte aufzuarbeiten, nicht sie zu verdecken.“

Das Aufarbeiten soll sich auch nicht auf die Tafeln beschränken. Behrendt und Bernhard Greiler, der Vorsitzende des Begleitausschusses von „Demokratie Leben“, können sich eine Führung und eine Diskussionsveranstaltung vorstellen.

− stg



Wir dokumentieren den Text auf den vier Tafeln:

Hindenburgstraße – ein diskussionswürdiger Straßenname

Im August 1927 verlieh der Deggendorfer Stadtrat der im Anschluss an die Hochwasserfreilegung des Bogenbaches neu erbauten Verbindungsstraße zwischen Deggendorf und Schaching den Namen Hindenburgstraße. Das geschah aus Anlass des 80. Geburtstages des Reichspräsidenten von Hindenburg in Würdigung seiner Verdienste im Ersten Weltkrieg und seiner Position als Reichspräsident (...). Eine kleine Stichstraße, die seit Februar 1915 den Namen Hindenburgstraße trug, wurde in Dr.-Pfahler-Straße umbenannt.

Die Rolle Hindenburgs ist in den letzten Jahren in der Geschichtswissenschaft und in der Öffentlichkeit zunehmend kritischer und kontrovers diskutiert worden. Es mehrten sich Anträge auf Umbenennung von Hindenburgstraßen, die in den einzelnen Orten unterschiedlich behandelt wurden.

Der Verwaltungsausschuss des Deggendorfer Stadtrates sprach sich am 15. September 2021 mit Mehrheit gegen eine Umbenennung aus, beauftragte aber die Verwaltung, ein Konzept für eine kritische Auseinandersetzung mit der historischen Person Hindenburg im öffentlichen Straßenraum zu erarbeiten. Das soll mit den folgenden Infotafeln erfolgen.

Hindenburg im Ersten Weltkrieg

Paul von Beneckendorff und von Hindenburg war zu Beginn des Ersten Weltkrieges mit 66 Jahren als preußischer General im Ruhestand, ließ sich jedoch reaktivieren und übernahm das Oberkommando über die 8. deutsche Armee an der Ostfront. Der Sieg bei Tannenberg, bei dem sein persönlicher Anteil stark überhöht dargestellt wurde, begründete den Ruhm Hindenburgs als „Retter Ostpreußens“ und „Russenschreck“, der von den nationalkonservativen deutschen Eliten nach Kräften propagiert und zur totalen Militarisierung Deutschlands genutzt wurde.

Am 29. August 1916 gelangten Hindenburg und sein Stabschef Ludendorff dadurch an die Spitze der Obersten Heeresleitung. Hindenburg stieg in der öffentlichen Meinung zum „Ersatzkaiser“ auf (...). In dieser Funktion wandte er sich gegen Friedensgespräche, die Reichskanzler von Bethmann-Hollweg befürwortete, bewirkte im Juli 1917 dessen Entlassung und setzte auf einen „Siegfrieden“. Er war für den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, der zum Kriegseintritt der USA führte, und für eine Verlängerung des Krieges verantwortlich, als die Chancen für einen für Deutschland siegreichen Kriegsausgang immer geringer wurden. Er trug Verantwortung für weitere Millionen Kriegstote, für eine verbrecherische Kriegführung in der Ukraine und an der Westfront sowie für wachsendes Elend der Zivilbevölkerung im eigenen Lande.

Als die Niederlage nicht mehr zu umgehen war, schob Hindenburg die Verantwortung dafür der Heimatfront zu. Das Heer sei im Felde unbesiegt geblieben. Gemeinsam mit Ludendorff wurde er zum Urheber der Dolchstoßlegende, die einerseits gegen die die Weimarer Republik tragenden demokratischen Kräfte gerichtet war und andererseits das propagandistische Rüstzeug für alle diejenigen war, die nach Revanche für die Kriegsniederlage dürsteten.

Hindenburg wird Reichspräsident

Der kaiserliche Generalfeldmarschall (in dieser Uniform zeigte er sich bis zu seinem Tode auch als Präsident am liebsten) wurde mehr und mehr zur Symbolfigur für die Nationalkonservativen. Als der erste Reichspräsident Friedrich Ebert 1925 starb, wurde Hindenburg – wie ein Wahlplakat im Deggendorfer Stadtarchiv zeigt – von den konservativen und nationalistischen Parteien und Verbänden (Bayerische Volkspartei, Deutschnationale Volkspartei, Deutsche Volkspartei, Vaterländische Verbände Bayerns, Bayerischer Heimat- und Königsbund, Bayernbund u.a.) im zweiten Wahlgang zum Kandidaten für die Reichspräsidentschaft vorgeschlagen. Seine Wahl wurde auch von der NSDAP unterstützt.

Mit seiner Wahl (mit relativer Mehrheit über den Kandidaten des Zentrums, Wilhelm Marx, der von SPD und Deutscher Demokratischer Partei unterstützt wurde) trat ein Mann an die Spitze der Republik, der in seinem Innersten Monarchist geblieben war und daraus kein Hehl machte.

Schleichender Abbau der Demokratie seit 1930

In seiner Amtsführung regierte er zunehmend mit Notverordnungen, was die Rolle des Reichstages aushöhlte, die Unzufriedenheit mit der Demokratie verstärkte und der antidemokratischen Agitation der Nationalsozialisten Munition verlieh. Ziel war die Restaurierung der Monarchie unter Ausschaltung der Sozialdemokratie.

Nach dem Ende der letzten parlamentarischen Regierung unter dem Sozialdemokraten Hermann Müller führte das 1930 in die Präsidialdiktatur der Kabinette Brünings, Papens und Schleichers. Die Regierungen wurden ohne Konsultation des Reichstages in immer kürzeren Abständen berufen und abgesetzt und waren nur dem Reichspräsidenten verantwortlich. Am 20. Juli 1932 wurde durch einen Staatsstreich die sozialdemokratische Regierung in Preußen, dem größten deutschen Bundesstaat, gestürzt.

Hindenburg wird 1932 als Reichspräsident wiedergewählt

Bei der Reichspräsidentenwahl im Frühjahr 1932 gaben sich die zur Weimarer Republik stehenden Parteien der Illusion hin, dass Hindenburg als Einziger das Aufkommen Hitlers verhindern könne. So setzten sich die Sozialdemokraten und das Zentrum, die bei der Wahl 1925 Hindenburg abgelehnt hatten, gemeinsam mit der Bayerischen Volkspartei und der Deutschen Volkspartei unter der Losung „Schlagt Hitler! Wählt darum Hindenburg“ für die Wiederwahl des greisen Feldmarschalls ein, was im zweiten Wahlgang mit absoluter Mehrheit auch gelang. Sie wollten die Wahl Hitlers zum Reichspräsidenten verhindern, was realistisch drohte. Die kommunistische Warnung „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ sollte sich leider historisch bewahrheiten.

Hindenburg ernennt Hitler zum Reichskanzler

Die Masse seiner Wähler hätte nicht erwartet, dass kein Jahr später der von ihnen verehrte Reichspräsident Hindenburg, wenn auch mit einigem Zögern, Adolf Hitler zum Reichskanzler berufen und damit den Nazis eine gleichsam „legale“ Übergabe der Macht im Staate eröffnen würde. Das geschah nicht deswegen, weil er in seinem hohen Alter die Situation nicht mehr überblickt hätte. Zweimal hatte er 1932 öffentlich erklärt, dass Hitler als Reichskanzler eine Parteidiktatur errichten würde, die allen anders Denkenden gegenüber intolerant und feindlich eingestellt sei. Er wusste also, was er tat.

Wie seine Vorgänger hatte auch der Reichskanzler Hitler keine Mehrheit im Reichstag. Deshalb löste Hindenburg zwei Tage nach Hitlers Ernennung den Reichstag auf und schrieb Neuwahlen aus, die der NSDAP zwar keine absolute Mehrheit, aber gemeinsam mit den verbündeten Deutschnationalen die parlamentarische Mehrheit bringen sollten.

Hindenburg unternahm nichts gegen die ersten Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten gegen ihre Gegner im Vorfeld der Reichstagswahl am 05. März 1933, sondern unterzeichnete u.a. die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933, die unbefristet zahlreiche Verfassungsartikel außer Kraft setzte und den Weg in die nationalsozialistische Diktatur ermöglichte.

Der „Tag von Potsdam“

Stabilisierende Wirkung für die Diktatur der Nationalsozialisten hatte der so genannte „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933, an dem der neugewählte Reichstag eröffnet wurde. Durch den öffentlichkeitswirksam inszenierten Händedruck zwischen Hindenburg und Hitler in der Potsdamer Garnisonskirche wurde der symbolische Schulterschluss von monarchistischem Preußentum und Nationalsozialismus vollzogen. Das optisch im Vordergrund stehende Auftreten des Reichspräsidenten suggerierte der Öffentlichkeit, dass er gegenüber der Hitlerregierung das Sagen hatte. Auch Hindenburg selbst gab sich dieser Illusion hin und trug damit dazu bei, auftretende Zweifel über das wahre Wesen der Nazis und über seine eigene „politische Passivität“ zu zerstreuen.

Dem Tag von Potsdam folgte am 23. März 1933 das Ermächtigungsgesetz, womit der Abbau der demokratischen Rechte vollzogen und der Naziterror legalisiert wurde. So konnte unter dem guten Namen des Reichspräsidenten das Herrschaftssystem der Nationalsozialisten etabliert werden. Auch das diskriminierende und rassistische Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums trug Hindenburgs Unterschrift. Auf den Boykott jüdischer Geschäfte in Deutschland am 01. April 1933 reagierte er trotz aller Bitten nicht. Ausdrücklich billigte er den Austritt Hitlerdeutschlands aus dem Völkerbund im Oktober 1933, was ja ein erster Schritt in Richtung Kriegsvorbereitung war.

Hindenburg-Verehrung erreicht neuen Höhepunkt

In viertausend Städten und Gemeinden wurden auf Initiative der Nationalsozialisten im März und April 1933 „in Würdigung ihrer großen, unvergänglichen Verdienste um Deutschlands nationale Wiedererweckung“ Ehrenbürgerschaften für Hindenburg und Hitler beschlossen, immer in dem Zusammenhang, dass Hindenburg den Führer zum Reichskanzler ernannt hatte. In Deggendorf geschah das einstimmig auf einer Sondersitzung des Stadtrates am 24. März 1933, eher als in den meisten anderen Städten, obwohl die NSDAP mit nur zwei Stadträten noch keine Mehrheit im Stadtrat besaß. Die drei SPD-Stadträte nahmen an dieser Abstimmung nicht teil, die beiden KPD-Vertreter waren bereits aus dem Stadtrat eliminiert worden. Für die bürgerlichen Stadträte (7 Bayerische Volkspartei, 4 aus verschiedenen Interessengruppen) spielten bei dieser Entscheidung, die nur einen Tag nach der Annahme des Ermächtigungsgesetzes erfolgte, der Tag von Potsdam sowie die Erwartung eine Rolle, „dass wir nach der nationalen Stagnation der Jahre 1918 – 1933 nunmehr einer neuen und schöneren deutschen Zukunft entgegengehen“. Zugleich wurde ihnen durch die Ehrenbürgerschaft für Hindenburg auch die Zustimmung zur Ehrenbürgerschaft Hitlers, die in einem einheitlichen Beschlussdokument erfolgte, erleichtert.

Der Name „Hindenburgstraße“ als ständige Mahnung

Nachdem Hindenburg die Machtübergabe an Hitler und die Nationalsozialisten entscheidend gefördert hatte, blieb er eine Galionsfigur des NS-Regimes. Noch jahrelang wurde sein Porträt auf die Dauerbriefmarken des Deutschen Reiches gedruckt. Nach Hindenburgs Tod am 2. August 1934 wurde das Amt des Reichspräsidenten abgeschafft. Hitler vereinigte als „Führer und Reichskanzler“ die Ämter des Staatsoberhauptes und des Regierungschefs in seiner Hand.

− Quelle: Stadt Deggendorf