Deggendorf
Eine Betroffene erzählt: So hat mir das Frauenhaus geholfen

Deggendorfer Frauenhaus hilft traumatisierten Frauen nach häuslicher Gewalt zurück ins Leben

11.02.2023 | Stand 17.09.2023, 3:20 Uhr

Anonymität ist ihr größter Schutz: Um Frauen, die in ihrer Partnerschaft psychische oder körperliche Gewalt erlebt haben, vor ihren Männern zu schützen, dürfen keine persönlichen Informationen über sie selbst oder Mitarbeiter des Frauenhauses in die Öffentlichkeit gelangen. −Foto: Bernklau

Von Johanna Bernklau

„Ich hatte Angst.“ Das ist der Satz, den Susanna Kaiser am zweithäufigsten sagt. Sie hatte Angst vor den Ausrastern ihres Mannes, Angst vor seiner unkontrollierbaren Aggressivität, Angst vor seiner Wut. Die letzten drei Jahre ihrer 15-jährigen Beziehung „waren eine Katastrophe“, fasst sie zusammen. Im Sommer letzten Jahres erzählen ihr Freunde vom Deggendorfer Frauenhaus, das sichere Wohnmöglichkeiten für Frauen in Not anbietet. Dort verbringt Susanna Kaiser, die eigentlich anders heißt, mit ihren zwei Kindern ein halbes Jahr, gewinnt dort Abstand von ihrer Partnerschaft – und Selbstvertrauen.

Die Deggendorfer Zufluchtsstätte für Frauen besteht seit fast 31 Jahren. Die Adresse ist öffentlich nicht bekannt, genauso wie die Namen der Mitarbeiter des Frauenhauses. Die Geheimhaltung dient dem Schutz der Frauen, die dort unterschiedlich lange unterkommen können und so einen sicheren Abstand zu ihrer eskalierenden Partnerschaft zu Hause bekommen.

„Häusliche Gewalt kann alles Mögliche sein“, weiß Nina Bauer (Name geändert), hauptamtliche Mitarbeiterin des Frauenhauses. „Körperliche Gewalt sieht man und kann man beweisen, psychische Gewalt leider nicht. Oftmals wissen die Frauen auch nicht, dass sie gerade häusliche Gewalt erleben“, sagt Bauer. Egal ob psychische, physische, ökonomische oder sexualisierte Gewalt – eins haben die Frauen laut Bauer gemeinsam: Wenn sie das Frauenhaus anrufen, dann geht es einfach nicht mehr. Es ist der letzte Ausweg kurz vor der nächsten Eskalation.

Wenn Susanna Kaiser von ihrer gescheiterten Ehe erzählt, findet man heute, ein gutes halbes Jahr nach ihrem Hilfeanruf, keine Angst mehr in ihrem Gesicht. Eher Resignation. „Wir waren immer zuhause. Ich habe zu meinem Mann gesagt, mit den Kindern muss man rausgehen, etwas unternehmen“, erzählt sie. Aber das wollte er nie. Wenn sie sich die Kinder nahm und gemeinsam mit ihren Cousinen spazieren ging, wurde er wütend. Je wütender er wurde, desto ruhiger wurde sie. „Ich wollte keinen Stress für meine Kinder.“ Doch nach drei Jahren stillsitzen und auf den nächsten Wutanfall warten hatte sie dafür keine Kraft mehr. „Auch meine Tochter hat gesagt: Mama, das ist doch nicht normal.“ Und dann suchte sich Susanna Kaiser Hilfe.

Scham, geringes Selbstbewusstsein und die Hoffnung, dass doch wieder alles gut wird, sorgen dafür, dass Frauen sehr lange brauchen, um den Schritt aus der Gewaltspirale zu wagen. „Viele möchten ihre Beziehungsprobleme alleine regeln und es selbst aus der Situation schaffen. Sie schaffen es aber nicht“, sagt Nina Bauer. Es ist ein Teufelskreis: Nach der Gewaltsituation komme irgendwann auch wieder die Versöhnung und es entstehe die sogenannte Honeymoon-Phase, man fühle sich wie in den Flitterwochen. „Da ist alles doppelt gut, als wäre man wieder frisch verliebt.“

Frauen sollen Abstand und Ruhe bekommen

Das ständige Hoffen auf bessere Zeiten macht es den Frauen schwer, den scheinbar endgültigen Schritt ins Frauenhaus zu wagen. Bauer betont allerdings, dass es nicht nur die Lösung gebe, sich sofort vom Partner zu trennen. „Das Allerwichtigste für mich ist immer, dass die Frauen ankommen können“, sagt sie. „Nur mit der Ruhe, die sie da bekommen, können sie auch Entscheidungen fällen. Das ist ja das, was sie nie hatten: Sie hatten immer dieses Gehetzte, sie mussten funktionieren und schauen, dass sie über den Tag kommen, ohne verletzt zu werden.“

Die ersten zwei Wochen im Frauenhaus waren für Susanna Kaiser und ihre Kinder erst einmal eine Pause von allem. Nur für das Nötigste verließ sie kurz das Haus, sie hatte sich Urlaub von der Arbeit genommen. „Das war wichtig“, sagt sie, „und ruhig“. Sie atmet aus. „Davor hatte ich immer Stress, habe immer gezittert.“ Die Zeit im Frauenhaus war für sie „eine schöne Zeit“. Gemeinsam mit den anderen Frauen habe sie Kaffee getrunken und gefrühstückt, die Kinder hätten währenddessen gespielt. Eine Zeit ohne Angst, sicher, fast normal.

Es ist eine Zeit, in der sich die Frauen wieder auf sich und ihre Kinder konzentrieren können. Das kaum vorhandene Selbstbewusstsein zu Beginn des Aufenthalts im Frauenhaus würde bei vielen im Laufe der Zeit wieder stärker werden. „Das ist, wie wenn man vertrocknete Rosen gießt und sie langsam wieder Knospen bekommen. Das ist wirklich fantastisch, was manche Frauen für einen Prozess durchmachen“, weiß Bauer. „Manche muss man aber auch an Therapie anbinden, weil sie mehr Unterstützung brauchen, um sich wieder aufzurichten.“

700 Frauen und 600 Kinder hat das Deggendorfer Frauenhaus über die vergangenen 30 Jahre bei sich aufgenommen, aus jeder Schicht, aus unterschiedlichen Kulturen, in jedem Alter. Im Schnitt kommen dort etwa 20 bis 30 Frauen pro Jahr unter. Während Corona gab es allerdings „so wenig Aufnahmen wie noch nie“, erzählt Bauer, 2020 kamen sechs Frauen ins Frauenhaus, 2021 nur fünf. Doch die Probleme in den Partnerschaften waren nicht einfach weg – die Frauen hatten wegen Ausgangssperren, Homeoffice und Co nur kaum noch Gelegenheiten, sich ans Frauenhaus zu wenden.

Nach zwei Jahren trügerischer Stille, die während der Pandemie im Frauenhaus herrschte, spüre man jetzt, wie ausgebrannt die Frauen wirklich sind: „Allgemein merkt man die Frustration, die Perspektivlosigkeit, und dass alle am Limit laufen. Sie haben schon so lange durchgehalten und versucht, eine andere Lösung zu finden“, sagt Nina Bauer. Jetzt sind die Wohnungen im Frauenhaus seit März 2022 wieder voll besetzt.

Entscheiden sich die Frauen für eine Trennung vom Partner, dann geht es auf Wohnungssuche – ein beschwerliches Unterfangen. „Es gibt schier keine Wohnungen. Und die wenigen, die es gibt, sind halt zu teuer“, bedauert Nina Bauer. So war es auch bei Susanna Kaiser: „Ich hatte viele Absagen“, sagt sie, entweder wegen ihrer Kinder, oder weil jemand anderes die Wohnung früher bekam. Oder sie sagte selbst ab, weil es ihr zu teuer war. Im Dezember fand sie endlich eine Wohnung – nach einem halben Jahr Suche. Für den Aufenthalt im Frauenhaus müssen Frauen im ersten Monat nicht aufkommen, die Unterhaltskosten zahlt das Landratsamt. Danach zahlen sie je nach Eigenverdienst einen Anteil an den Kosten.

Das Feindbild Mann ist nicht immer richtig

Jetzt haben Susanna Kaisers Kinder je ein eigenes Zimmer, sie selbst schläft im Wohnzimmer auf einem Schlafsofa. Das macht ihr nichts aus, sie strahlt, wenn sie von ihrer Wohnung erzählt und wie gut es ihren Kindern geht. Ihr Ex-Partner und sie haben gelegentlich Kontakt, ab und zu schreibt sie mit ihm. Das klappt gut, „er schreit nicht, er ist ruhiger“, sagt sie. „Er hatte bestimmt auch Angst, als Frau und Kinder auf einmal weg waren.“

Laut Nina Bauer funktioniert es oft, dass sich Mann und Frau trotz Trennung wieder annähern und der Vater Unterhalt zahlt. Das Feindbild Mann sei nicht immer richtig. „Mit Sicherheit gibt es Männer, die ihre Frauen bewusst klein halten. Die meisten machen das aber eher automatisch: Weil sie draußen klein sind, müssen sie zu Hause groß werden“, erklärt Bauer. Obwohl oft Alkohol oder Drogen seitens der Männer im Spiel sind, liegt die Schuld nicht immer nur allein bei ihnen. Auch äußere Umstände wie finanzielle Not oder psychische Krankheiten können die Beziehung belasten.

Für Susanna Kaiser ist aber klar: In ihre Ehe will sie nicht mehr zurück. Zu glücklich ist sie mit ihren Kindern in ihrem neuen Leben in ihrer eigenen Wohnung. „Die Kinder sind offener, meine Kinder reden!“, freut sie sich. „Als sie noch beim Papa gewohnt haben, kamen sie nach Hause, gingen ins Zimmer, Türe zu und fertig.“ Jetzt wollen sie von sich aus etwas unternehmen, möchten ins Schwimmbad und Freunde treffen. „Ich bin glücklich“, sagt Susanna Kaiser. Das ist der Satz, den sie am häufigsten sagt. „Und meine Kinder auch.“

Ehrenamtliche gesucht

Rund um die Uhr erreichbar für Frauen in Not – diesen Service möchte das Frauenhaus eigentlich anbieten. Um das leisten zu können, fehlen dem Frauenhaus allerdings aktuell mindestens sechs ehrenamtliche Rufbereitschaftsdamen, die auch außerhalb der Geschäftszeiten für Frauen in Notsituationen erreichbar sind und sie ins Frauenhaus bringen können. Die Ehrenamtlichen müssen an von ihnen selbst ausgewählten Tagen telefonisch erreichbar sein und dann, wenn es darauf ankommt, mitten in der Nacht ausrücken und eine Frau von der Polizei zum Frauenhaus bringen können. Die Ehrenamtlichen benötigen dafür ein eigenes Auto und müssen belastbar und einfühlsam sein. Wie oft sie sich für den Bereitschaftsdienst zur Verfügung stellen, wird individuell mit den Hauptamtlichen abgesprochen. Interessierte können sich unter ✆ 0991/ 382020 melden.