Vorschläge für Grafling
Abschlussarbeit: Wie der Wald beim Schutz vor Hochwasser noch besser helfen kann

25.04.2024 | Stand 25.04.2024, 17:48 Uhr

Damit die Forschung in der Praxis umgesetzt werden kann, wurde die Abschlussarbeit an die Kommune Grafling übergeben: Erster Bürgermeister Anton Stettmer (v.l.), Absolvent Jeremias Grum, Matthias Weichselgartner, Klimaschutzkoordinator am Landratsamt, und Professor Dr. Wolfgang Rieger von der THD. − Foto: Weichselgartner

Dunkle Wolken ziehen über Grafling auf. Ein Dauerregen lässt Wassermassen vom Steinberg auf das Dorf herabschwemmen. Straßen und Keller werden überflutet, eine Spur der Verwüstung zieht sich durch den Ort. So oder so ähnlich könnte der Ernstfall aussehen, den THD-Student Jeremias Grum in seiner Bachelorarbeit simuliert hat.

Unter der Betreuung von Professor Wolfgang Rieger konnte der Bauingenieur in seinem Forschungsprojekt die Grundlage für zukünftige Regenrückhaltemaßnahmen der Gemeinde Grafling schaffen.

„Mithilfe von Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdienstes habe ich ein 30-jährliches Niederschlagsereignis berechnet“, erklärt Jeremias Grum. Wassermassen, wie sie nur alle drei Jahrzehnte auftreten, könnten verheerende Schäden verursachen. Wie kann sich eine Kommune wie Grafling auf diesen Ernstfall vorbereiten? Die Lösung könnte im Wald liegen.

Hochwasserschutz – ein Thema, das in Niederbayern nach dem Jahrhunderthochwasser 2013 eine ganz neue Gewichtung hat. Entlang der Donau sollen höhere Deiche schützen und Flutpolder bei extremem Hochwasser zusätzliche Entlastung bringen. Doch auch mit kleineren und kostengünstigeren Maßnahmen können Kommunen präventiv die Folgen von Starkregen bekämpfen.

„Zukunftsweisender Hochwasserschutz betrifft nicht nur technische Maßnahmen, sondern auch Maßnahmen des dezentralen und natürlichen Wasserrückhalts an kleinen Bächen oder auch an Waldwegen“, sagt Matthias Weichselgartner, Klimakoordinator am Landratsamt Deggendorf. Weichselgartner hat den Kontakt zur Gemeinde Grafling hergestellt. Mitten im Bayerischen Wald gelegen, ist die Gemeinde ein ideales Untersuchungsgebiet.

Naturnaher Wald ein idealer Wasserspeicher



Denn den Wäldern wird eine Schlüsselrolle im Hochwasserschutz zuteil. Ein naturnaher Mischwald ist ein idealer Wasserspeicher. Wie bei einem Regenschirm fangen die Baumkronen einen Großteil des Regens ab, bevor er den Boden berührt. Durch das Wurzelgeflecht der Bäume kann das Wasser tief in den Boden sickern und einen Bodenwasserspeicher bilden. Experten gehen davon aus, dass in einen ungestörten Waldboden stündlich bis zu 80 Liter pro Quadratmeter versickern können.

Wohlgemerkt liegt die Betonung auf „ungestört“, denn Fahrzeuge und Forstmaschinen verdichten den Boden, sodass der Schwammeffekt gehemmt wird. Infolge muss das Wasser oberflächlich ablaufen. „Der Wald und seine Wege spielen für die Menschen im Landkreis Deggendorf eine wichtige Rolle. Waldwege können den Abfluss von Regenwasser allerdings beschleunigen, denn ihr Grabensystem leitet es ab und führt es den umliegenden Bächen zu“, erklärt Matthias Weichselgartner.

Das Wasser fehlt gerade in den Sommermonaten in den Wäldern und sorgt gleichzeitig für eine Überbelastung der Gräben – die Hochwassergefahr steigt. Hier setzt die Abschlussarbeit von Jeremias Grum an: „Um diesen Einfluss zu reduzieren und die Wege im Wald zu sichern, muss Regenwasser von den Wegen ferngehalten und in den Wäldern zurückgehalten werden“, erklärt er. Sein Ansatz: Den Oberflächenabfluss durch Forstwegebau gezielt zu steuern. Dafür analysierte er die Niederschlagswerte für Grafling und die Abflusswege des Wassers. „Nach den theoretischen Grundlagen habe ich eine Modellierung gemacht und mithilfe eines Geoinformationssystems und Luftbildern die Situation in Grafling analysiert.“ Wohin fließt das Wasser? Und vor allem: Wo soll es nicht hinfließen?

So wenig Wege im Wald wie möglich



Drei Monate lang befasste sich Grum mit den Wasserverläufen und der Vegetation im Untersuchungsgebiet zwischen Grub und Rohrmünz. Sein pragmatischer aber effektiver Lösungsvorschlag: Mulden graben. „Statt einer Verschlechterung des Wasserhaushalts im Wald durch Wegseitengräben, die Wasser schnell aus dem Wald leiten, kann das Gegenteil mit Versickerungsmulden erreicht werden“, erklärt er. Anhand seiner Berechnungen konnte Jeremias Grum neun Orte ermitteln, an denen eine Mulde Sinn ergeben würde. Die Größe ist abhängig von der Menge an Wasser, die am betreffenden Knotenpunkt der Fließwege ankommt. Zwischen 200 und 500 Kubikmeter Aushub sind pro Mulde nötig, um den 30-jährlichen Regen zurückzuhalten.

„Bestenfalls wird zudem oberhalb jedes Muldeneinlasses eine Querentwässerung des Forstwegs vom Entwässerungsgraben zur Mulde geschaffen“, sagt Grum. Diese Maßnahmen könnten im Zuge einer Forstwegsanierung umgesetzt werden. Weil Waldwege derart negative Auswirkungen auf den Wasserhaushalt des Waldes haben, empfiehlt Grum einen bedachten Umgang mit dem Wegenetz. Es gilt: nur so viele Wege wie nötig und so viel Abstand dazwischen wie möglich.

Die kleinen Teiche, die nach Regen in den Mulden entstehen, erfüllen nicht nur Hochwasserschutz. Es ergeben sich weitere Vorteile: „Zum Beispiel ein zusätzliches Trinkwasserangebot für Tiere, die Stärkung des Wasserhaushalts im Wald und den Schutz der Wege“, sagt Jeremias Grum.

In der Gemeinde Grafling freut man sich, dass Forschung und Praxis Hand in Hand gehen. „Wir werden die Maßnahmen in naher Zukunft anpacken“, versichert Bürgermeister Anton Stettmer. Und auch die Zusammenarbeit mit Professor Rieger von der THD soll weitergeführt werden. Der frischgebackene Bauingenieur Jeremias Grum ist zufrieden: „Es war mir wichtig, dass meine Arbeit einen Einfluss auf das Gemeinwohl hat. Und gerade der Umweltschutz liegt mir sehr am Herzen.“ Umso schöner, dass seine Forschung den Sprung vom Papier in die Praxis geschafft hat – oder in diesem Fall in den Wald.