Wandern in Galicien: „Der Camino macht immer was mit dir“

25.08.2023 | Stand 12.09.2023, 23:00 Uhr

Galicien ist vor allem für den Jakobsweg bekannt – dabei befindet sich keine 50 Kilometer entfernt vom Camino auch eine fantastische Küste: Den Kathedralenstrand sollte man mittags besuchen – danach kommt die Flut.

Galicien erkundet man am besten zu Fuß – ob in den abgelegenen Ancares-Bergen oder auf dem bekannten Jakobsweg. Immer Voraussetzung: Ein möglichst leichter Rucksack.

In den ersten Tagen hatten sie mehrfach Regen. Danach kam die Sonne. Eigentlich ist es aber auch egal. Gegangen wird jeden Tag, unabhängig davon, wie das Wetter ist. „Und der Camino macht sowieso immer etwas mit dir. Ich bin nicht einmal richtig religiös. Dafür hab’ ich in jungen Jahren wohl ein wenig zu wild gelebt. Aber irgendwas hier ist magisch.“ Das sagt Luis Mendiboure. Mit seinem acht Kilo schweren Rucksack, einem Stock und zusammen mit vier Freunden, die er teilweise erst seit wenigen Tagen kennt, ist er gerade im Ort Lugo eingetroffen. Mendiboure ist Pilger und seit zehn Tagen auf dem Jakobsweg im nordspanischen Galicien unterwegs. Gestartet ist er in Oviedo, das liegt bereits 210 Kilometer hinter der Gruppe. „Wir kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern“, erzählt er bei dem zufälligen Gespräch auf dem Stadtplatz von Lugo. Er selbst stammt aus Uruguay, drei weitere Begleiter sind aus Spanien. „Und ihn haben wir ganz am Anfang der Reise zufällig adoptiert“, lacht Mendiboure und deutet auf den jungen Australier Benjamin Wood, der leicht der Enkel des Uruguayer sein könnte.

Der Weg als Aufschwung: Bars und Ohrstöpsel

Gestartet war Wood eigentlich alleine. Nun sind sie in dieser zufällig zusammen gewürfelten Fünfergruppe auf dem Jakobsweg unterwegs. Sie sprechen nicht einmal die gleiche Sprache. „Ich muss oft zwischen Spanisch und Englisch übersetzen“, sagt der Uruguayer Mendiboure, „aber das ist kein Problem.“ Er übersetzt die Fragen, wann man eine Pause einlegt, ob man die vergangene Nacht in der Großraum-Herberge gut schlafen konnte oder ob der Rücken schon schmerzt. Schließlich muss das ganze Gepäck immer mitgetragen werden. „Ich konnte mich auf sieben, acht Kilo reduzieren“, sagt Mendiboure und deutet auf seinen kleinen Tagesrucksack. „Benjamin schleppt aber rund 13 Kilo rum.“

Die Gruppe ist nur eine von vielen, die auf dem Jakobsweg im Norden von Spanien unterwegs sind. Im vergangenen Jahr waren es rund 500000 Pilger, die in Santiago de Compostela, dem Endpunkt des Weges, eintrafen. Ein Rekord. Manche gehen den Weg alleine, andere in Gruppen. Und es gibt ein Sprichwort: Wenn Eheleute den Weg als Paar gehen, beenden sie ihn alleine. Weil schlichtweg jeder sein eigenes Tempo hat und der Camino einem das auch aufzeigt. Etliche Dörfer entlang des Weges profitieren von den Pilgern. Es sind Bars entstanden und Apotheken, die Blasenpflaster und Ohropax anbieten. Junge Spanier, die früher zur Jobsuche in die Städte abwanderten, können jetzt in ihren Dörfern bleiben, eröffnen eine Pilgerherberge oder ein Restaurant.

„Mir fehlte das Licht – dann kam ich wieder hierher“

Zu weit weg, damit Pilger es dorthin verschlagen könnte, liegt das Refugium von Mireia Rodríguez. Piornedo ist eines der unzähligen winzigen Dörfer hier in den Ancares-Bergen Galiciens. Es führen nur kleine Straßen dorthin. Es gibt keine Ampeln, keine Restaurants, an den Straßenrändern weiden Kühe. Das nächste Dorf liegt irgendwo hinter einem der sattgrün bewaldeten Hügel. Zug oder Bus sucht man erfolglos. „Aber genau das ist das Tolle“, sagt Mireia Rodríguez. „So kommen die richtigen Leute hierher. Die, die Ruhe suchen, und das hier wirklich wollen.“ Die 43-Jährige hat selbst drei Jahre in Norwegen gelebt und sich damals nicht so recht vorstellen können, jemals wieder zurück ins spanische Niemandsland zu gehen. „Aber nach den drei Jahren in Norwegen habe ich gemerkt: Mir fehlt die Energie, mir fehlt das Licht. Dann bin ich wieder zurück. Und ich liebe es.“ Rund 20 Zimmer bietet sie nun in dem Hotel an, das ihr bergbegeisterter Vater einst baute.

Beim Wandern in dieser Region kann es dann schon mal passieren, dass sich ein Hund der Gruppe anschließt: Mischling Pancho läuft gerne neben den Besuchern, viele kommen schließlich nicht vorbei an dem einsam gelegenen Haus seiner Besitzer. In der Hoffnung auf eine Wurst aus der Brotzeitbox der Wanderer geht er viele Kilometer mit. Dann nimmt er an einer Gabelung die andere Abzweigung und läuft heim. Sorgen machen sich seine Besitzer nicht: „Er kennt den Weg.“ Durch Eukalyptus-Wälder und knietiefe Bäche trottet er zurück. Gemütlich, ohne Eile. Fast ein Sinnbild für die Ancares-Region.

„An den ersten zwei, drei Tagen sind die Gäste oft noch sehr aufgekratzt und hibbelig“, erzählt auch die Hotel-Inhaberin Rodríguez. „Am vierten Tag ist das dann vorbei. Dann kommen die Leute runter. Es bleibt einem ja auch gar nichts anderes übrig, hier ist ja nichts“, sagt sie lachend und deutet durchs Fenster nach draußen in die grüne Bergwelt, in der bis zum Horizont nicht ein einziges Haus zu sehen ist.

Deutlich mehr Menschen trifft man auf dem Jakobsweg, zumindest in den Städten, durch die er führt. Entlang der Strecke ist man aber auch oft ganz alleine, sagt der Uruguayer Mendiboure, der zusammen mit den vier anderen Männern unterwegs ist. Der 71-Jährige hat sich mit dem Camino einen langgehegten Wunsch erfüllt. „Ich wollte den Weg schon lange gehen. Jetzt, da ich in Rente bin, hat es endlich geklappt.“ Die Fünfergruppe hat noch zehn Tage und rund 100 Kilometer bis Santiago de Compostela. Zehn mal noch wird der Uruguayer ein Hemd und eine Unterhose waschen, von denen er jeweils drei dabei hat. Zehnmal noch werden die Pilger an einer Herberge halten und nach einem Bett fragen. „Und am Ende hat der Weg etwas mit dir gemacht“, sagt er. „Das ist schon jetzt so. Egal, woher wir stammen, dass wir ganz unterschiedlich alt sind und verschiedene Sprachen sprechen: Wir sind Freunde geworden.“


INFORMATIONEN

Galicien liegt im Norden Spaniens und grenzt an den Atlantik. Im Landesinneren tun sich Bergwelten auf, die Küste ist teils schroff und steil, andernorts gibt es klassische Sandstrände, etwa bei Portonovo.

DER JAKOBSWEG

Der Jakobsweg (spanisch „Camino“ für Weg) ist einer der bekanntesten Pilgerwege weltweit. Es gibt mehrere Jakobswege, die jeweils in Santiago de Compostela enden, wo angeblich das Grab des Apostel Jakobus zu finden ist. Der „klassische“ ist der „Französische Jakobsweg“ („Camino Francés“, siehe Karte). Er startet in den Pyrenäen und ist rund 800 Kilometer lang. Viele Menschen gehen nur einzelne Etappen oder vollenden den Weg beispielsweise im Jahr darauf. Geschlafen wird meist in Herbergen mit oft großen, sehr einfach gehaltenen Schlafsälen. Der Weg ist bestens ausgeschildert, mit einer Jakobsmuschel als Logo. Auch die Pilger sind an der umgehängten oder am Rucksack befestigten Muschel zu erkennen – oder an der sogenannten Camino-Bräune, also wenn vor allem der linke Arm Sonnenbrand aufweist, weil man auf dem Weg nach Santiago de Compostela immer gen Westen läuft und somit die Mittagssonne von links kommt.

AUSFLUGSZIELE
•Kathedralenstrand: Der Praia das Catedrais ist ein spektakulärer, von riesigen Felsen durchzogener Strand nahe Ribadeo. Der Besuch wird mittags empfohlen, danach kommt die Flut und ein Durchwandern ist nicht mehr möglich. Im Sommer nur Einlass von begrenzter Besucherzahl.
•Lugo: Älteste Stadt Galiciens mit rund 100000 Einwohnern. Die Altstadt ist komplett umgeben von einer bis zu zwölf Meter hohen und über zwei Kilometer langen römischen Stadtmauer, welche UNESCO-Welterbe ist.

ÜBERNACHTEN
Hotel Piornedo, mitten in den einsamen Ancares-Bergen in Piornedo. Einfache Zimmer, gemütliche Gemeinschaftsräume. Für die Anreise ist ein Mietwagen nötig. In Piornedo können traditionelle Häuser (Pallozas) besichtigt werden.

ORGANISIERTE TOUREN
Wikinger Reisen bietet geführte Wanderreisen durch Galicien an. Es geht unter anderem in die Ancares-Bergwelt und auf den Jakobsweg. Preis ab 1690 Euro pro Person für zehn Tage.

www.spain.info  www.wikinger-reisen.de


PNP-Redakteurin Jennifer Jahns wanderte mit Unterstützung von Wikinger Reisen und Turespaña durch Galicien. Hund Pancho begleitete die Wandergruppe knapp zehn Kilometer – und trottete dann wieder heim.