Wenn sich auf den Straßen Pamplonas Rotwein mit Blut mischt, herrscht die Zeit der „Sanfermines“. Die Region Navarra im Norden Spaniens ist aber mehr als ihre berühmt-berüchtigten Stierläufe: nämlich ungemein vielfältig.
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Die Farben der Felder wechseln von ocker zu grün. Gerade mal zwei Stunden Autofahrt trennen den heißen Süden Navarras und seiner kargen Wüstenlandschaft mit den saftig grünen Bergwiesen und Wäldern im Norden, wo die Hirten zu Hause sind. Wenn diese ihre Tiere rund 120 Kilometer zu Fuß auf- und abtrieben, dauerte das freilich länger – gut sieben Tage war ihr Mann beim Transhumanz unterwegs, schätzt Maria Asun. Die 88-Jährige lebt bis heute in dem kleinen Bergdorf Ochagavía, nur gut 20 Kilometer entfernt von der Grenze zu Frankreich.
Rote Geranien schmücken dort die Fenster. Neben üppigen Gemüsegärten lässt sich durch offen stehende Haustüren ein Blick ins Innere erhaschen. Der Boden ist aufwendig mit kleinen Flusssteinen gelegt, in der Ecke steht eine goldene Kuhglocke. Frauen prägten diesen Ort. „Wir waren das Oberhaupt der Familie. Wir haben alles zusammengehalten, während die Männer den Winter über weg waren. Kinder, Haushalt und Geld“, erzählt Maria. Straßennamen gibt es hier nicht. Jedes Haus hat seinen eigenen Namen, inspiriert etwa vom Beruf der Familie. Heute leben hier viele alte Menschen. Die Jungen sind in die Stadt, nach Pamplona, gezogen.
Der Traum vom baskischen Hirtenjungen
Nicht aber Koldo Vicente Eseberri und seine Freundin Rakel Zoko. „Kaixo!“, begrüßen sich die beiden auf Baskisch, denn in diesem Teil Spaniens sind baskische Kultur und Sprache lebendig. Auch, weil junge Menschen wie sie daran festhalten. Seit fünf Jahren spricht das Paar hauptsächlich Baskisch miteinander. Ihre Großeltern kommen aus der Gegend – Rakel stammt vom Haus Mañolanda, Koldo aus dem Haus Aztal – danach hat er auch seinen Käse benannt. Der 38-Jährige ist zwar studierter Gärtner, erfüllte sich aber einen Kindheitstraum und lebt seither als Hirte.
„Sua“! Mit zwei kurzen Pfiffen ruft Koldo seine rothaarige Schäferhündin zu sich, als er mit seinen Schafen den Berg hinabsteigt. Koldo ist einer von vier Schäfern rund um Ochagavía. Inspiriert durch einen Onkel, startete er vor zehn Jahren mit 25 Tieren, heute zählt seine Herde gut 150 Schafe und 80 Ziegen. Doch das Leben als Hirte kann ziemlich mühselig sein: „Es braucht viel Zeit, für wenig Ertrag“, gibt der junge Spanier zu, seine Haut braun gebrannt von den vielen Stunden auf den Bergwiesen. Ein Schaf gibt gut einen Liter Milch pro Tag, eine Ziege etwa einen halben Liter. Daraus wird „Gazta“ gemacht – Käse.
Es riecht nach Kiefern und Schafmist. Der Wind trägt bimmelnde Glöckchen und leises Mähen herüber. Auch für Koldos Tiere gilt der Jahreszeiten-Rhythmus der Transhumanz: im Frühjahr der Auftrieb, im Herbst der Abtrieb. Den Winter verbringen sie aber nicht mehr in der Wüste, sondern in einem neu gebauten Stall.
Mitten im Wald von Irati steht das moderne Holzhaus. Obwohl sich die Lebensweise des Pärchens an der baskischen Tradition orientiert, wollen sie diese weiterentwickeln: Mit Nachhaltigkeit in Stall und Käserei, etwa durch energieeffizienten Bau, oder eine natürliche Kältekammer unter der Erde. Sind die Tiere im Stall einquartiert, kommen sie mit Freunden zusammen und es gibt eine große Pfanne „Migas“ – ein traditionelles Hirtengericht aus Brotkrümel in Fleischbrühe. Lachend spülen sie ihre Mahlzeit mit Bier hinunter. Auf die Frage, warum die jungen Menschen hier in den Bergen abseits vom Trubel der Stadt leben, antwortet Rakel: „Es bedeutet Freiheit“. Koldo streicht mit seinen Händen über die Serviette und nickt zustimmend.
Banditen in den Bardenas Reales
Der alte Weg der Transhumanz der Schäfer in den Süden, führt in die „Bardenas Reales“ – eine Halbwüste mit bizarren ockerfarbenen Bergformationen aus Lehm, Sand- und Kalksteinschichten. Dort ist es heiß. Viel zu lange stecken die Füße schon in den Wanderschuhen. Als Stefanias nackte Zehen den trockenen und unerwartet kühlen Untergrund berühren, läuft ihr eine Gänsehaut über den Körper. Tut das gut. Die erste hauchdünne Bodenschicht ist aufgeplatzt, darunter liegt der weiche Lehm. Jeder Schritt knackst, als würde die 40-Jährige über Bruchschokolade laufen. „Mein heimliches Vergnügen“, gibt Stefania zu, während sie eine Gruppe durch die Hügel der Bardenas Reales führt. Gemeinsam mit Eduardo (29) gibt sie Touren durch das Biosphärenreservat.
Der 415 Quadratkilometer große Naturpark ist nicht nur ein Ort für Touristen und Filmemacher – Szenen von Star Wars und Game of Thrones wurden hier etwa gedreht – sondern auch für das Militär. Mitten im Park liegt eine Basis der spanischen Luftwaffe, die hier Bombenabwurftests durchführt. Deshalb dürfen Besucher die markierten Schotterwege nicht verlassen. „Früher sind hier sogar Menschen verschwunden“, erzählt Eduardo, „die Bardenas waren eben auch ein Ort für Gesetzlose, die sich hier versteckten.“ Wie der Bandit „Sanchicorrota“, nach dem eine Anhöhe benannt ist.
Neben wenigen Jeeps, Wanderern und Bikern sind vereinzelt Wohnmobile unterwegs. Obwohl Übernachten im Park verboten ist, gibt es rundherum Camping-Möglichkeiten. Viele Menschen sind – verglichen mit ähnlich atemberaubenden Wüstenlandschaften – erstaunlicherweise nicht unterwegs.
Stierlauf in Pamplona: Blutiges Kulturerbe
Ganz anders ist es dagegen in Pamplona, der Hauptstadt Navarras – zumindest zu den alljährlichen Feierlichkeiten der „Sanfermines“, die besonders für ihre blutigen Stierläufe (Encierros) bekannt sind. Rund eine Million Besucher drängt es vom 6. bis 14. Juli in die 200.000 Einwohner große Stadt. Dann ist Pamplona voller Spanier in weißen Hemden und roten Halstüchern – als Hommage an den enthaupteten Stadtheiligen Firmin der Ältere von Amiens. Bis zu 3000 Menschen laufen dann vor den Stieren her, die 850 Meter durch die Altstadt bis zur Stierkampfarena getrieben werden, wo die Tiere noch am Abend sterben. Nur etwa sieben Prozent der „Mozos“ (Läufer) sind Frauen. Jeden Tag landen im Schnitt 15 der Läufer im Krankenhaus.
Neben der stark umstrittenen Tradition wird bei den „Sanfermines“ viel getanzt und getrunken. Zu viel, finden einige. „Etwa die Hälfte der Anwohner verlässt während der Feiern die Stadt“, erzählt Ines Ayesteran. Die 42-jährige Fremdenführerin stammt selbst aus Pamplona. Das brutale Kulturerbe spaltet die spanische Gesellschaft. Auch Ines’ Bruder lief als junger Mann mit. „Das hat er uns aber immer verschwiegen“, erzählt sie. Heute verböten es ihm Frau und Kinder. Schwer verletzt wurde er nie. Weniger Glück hatte ein Freund von Eduardo – der sitzt seit dem Aufeinandertreffen mit einem Stier beim „Encierro“ im Rollstuhl. Immer wieder sterben auch Menschen. Seit 1911 sind insgesamt 16 Todesfälle mit den Stierläufen und -kämpfen von Pamplona verbunden.
Wenn nicht gerade Stiere durch die Gassen getrieben werden, sind diese von Jakobsweg-Pilgern bevölkert. Junge Paare sitzen in den Bars auf dem Plaza del Castillo und genießen ein Glas Kalimotxo (Rotwein mit Cola). Besonders bekannt ist dort das „Cafe Iruña“ – vor allem durch den amerikanischen Schriftsteller Ernest Hemingway, der darin viele Stunden verbracht haben soll. Daran erinnert eine Bronzestatue an der Bar. Durch seinem Roman „Fiesta“, der von den „Sanfermines“ erzählt, wurde Pamplona erst international bekannt. „Er hat uns auf der Weltkarte platziert“, sagt Ines, „nun können wir zeigen: Wir sind so viel mehr!“
Informationen über Urlaub in Navarra
Navarra ist eine autonome Gemeinschaft und Provinz im Norden Spaniens an der Grenze zu Frankreich. Im Mittelalter war sie ein baskisches Königreich. Die Hauptstadt Pamplona ist für ihre alljährlichen Stierläufe berühmt. In Navarra leben rund 700.000 Menschen.
ANREISEN
Vom Flughafen München gibt es täglich mehrere Flüge nach Bilbao. Mit einem Mietwagen geht es in etwa zwei Stunden nach Pamplona. Von dort sind viele Ziele in etwa einer Stunde Autofahrt erreichbar.
ÜBERNACHTEN
Wegen der zentralen Lage lohnt sich ein Hotel in Pamplona.
ERLEBEN
- Wanderung durch den Wald Irati.
- Bardenas Reales, per Quad über „Activa Experience“.
- Besuch der mittelalterlichen Stadt Olite mit Burg und Weinführung.
www.spain.info
www.visitnavarra.es
Redakteurin Anja Kurz recherchierte auf Einladung von Turespaña.
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