Reise-Reportage
Verzaubert vom Inselgeist Tahitis: Unterwegs am anderen Ende der Welt

19.01.2024 | Stand 19.01.2024, 19:00 Uhr

Üppiges Grün trifft auf türkisblaues Wasser in den zahlreichen Buchten. Da die Inseln von natürlichen Riffen geschützt werden, ist Französisch-Polynesien ein Paradies zum Schnorcheln.  − Fotos: Hierbeck

Das Insel-Paradies am anderen Ende der Welt strebt nach mehr Unabhängigkeit: Wie sich Tahiti und die anderen polynesischen Inseln von Frankreich lossagen und neu erfinden wollen.

Eine halbe Weltreise entfernt, mitten im Südpazifik, liegt Französisch-Polynesien. Von oben betrachtet sieht der Archipel aus, wie eine aufgesprungene Perlenkette: 118 üppig begrünte Vulkaninseln ragen aus dem Ozean, umgeben von Korallenriffen und türkisfarbenen Lagunen. Unwirklich schön ist dieser Anblick, der sich dort auf der anderen Seite der Welt bietet. Schon vor Jahrhunderten haben die Einheimischen ein Wort für die Faszination der Inseln gefunden: Mana – der Geist der Inseln, der Besucher sofort in seinen Bann zieht.

Die größte unter den polynesischen Südseeperlen ist Tahiti. Mit knapp 190 000 Einwohnern ist sie die bevölkerungsreichste Insel, auf der auch die Hauptstadt Papeete liegt. Französisch-Polynesien ist ein sogenanntes „französisches Überseegebiet“ und eines der wenigen Überbleibsel des einst weltumspannenden Kolonialreichs. Zwar haben die Polynesier eine eigene parlamentarische Verfassung und einen eigenen Regierungschef, Staatsoberhaupt ist jedoch der französische Präsident Emmanuel Macron.

Gesellschaftliches Leben nach französischem Vorbild

Der europäische Einfluss ist auf den Inseln allgegenwärtig: Amtssprache ist Französisch, auch das Schulsystem, die Verwaltung und der Verkehr sind nach französischem Vorbild geregelt. Doch nach über 250 Jahren unter dem europäischen Pantoffel strebt die polynesische Regierung eigene Wege an. Bei den Wahlen im Frühjahr 2023 erhielt die Unabhängigkeitspartei die Mehrheit. Die neue Regierung unter Moetai Brotherson hat nun einen 15-Jahres-Plan verabschiedet, der Französisch-Polynesien in die Unabhängigkeit führen soll. Eine Abkoppelung von Frankreich würde auch den Verzicht auf finanzielle Unterstützung bedeuten.

Wichtigste Einnahmequelle für Französisch-Polynesien ist bisher der Tourismus. Etwa 250 000 Menschen aus der ganzen Welt kommen jährlich nach Tahiti oder Bora Bora, die wohl zweitbekannteste Insel im Archipel. Zwar könnte die Infrastruktur weiter ausgebaut werden, aber die Regierung strebt einen sanften Tourismus an und hat sich selbst die Obergrenze von 300 000 Touristen pro Jahr gesetzt.

Vanille-Anbau als neuer Wirtschaftszweig

Ein relativ neuer Produktionszweig, den die Polynesier für sich entdeckt haben, ist der Vanille-Anbau. In der Hanglage der Vulkaninseln erstrecken sich die Plantagen – auf den ersten Blick ist „die Königin der Gewürze“ allerdings gar nicht zu entdecken. Die unscheinbaren Orchideen ranken sich um Bäumchen, die in Körben gepflanzt wurden und nur als Stütze für die kostbaren Pflanzen dienen. Claudine arbeitet seit zwei Jahren auf der Plantage: „Es dauert sehr lange, bis die Schoten verkauft werden können“, erzählt sie. Die Produktion von Vanille ist kein leichtes Unterfangen: Ursprünglich stammt die Vanille-Orchidee aus Mexiko. Dort werden die Blüten von einer Kolibri-Art bestäubt. Da es diese Vögel auf den Inseln Französisch-Polynesiens nicht gibt, müssen die Pflanzen hier künstlich befruchtet werden. Die Tahiti-Vanille gilt als eine eigene Art – zwar enthält sie weniger Vanillin als Bourbon-Vanille, ist aber würziger und gilt als eines der exklusivsten Gewürze der Welt, weil sie in so geringen Mengen hergestellt wird.

Claudine zeigt, wie sie mit einem hölzernen Stäbchen, ähnlich einer Stricknadel, die Pollen entnimmt und in einer gelben Vanilleblüte abstreicht. „5000 Blüten am Tag bestäuben wir hier auf der Plantage“, erklärt sie. Nach der Bestäubung dauert es neun bis zehn Monate, bis aus der Blüte eine fingerdicke, grüne Schote gewachsen ist. Der Trocknungsprozess nach der Ernte ist langwierig: Die Schoten werden über vier Monate hinweg warmgehalten und sehr langsam getrocknet. „Während dieser Zeit massieren wir die Schoten immer wieder, um das Wasser auszupressen“, sagt Claudine. Wenn die Schoten schließlich so dünn und flexibel sind, dass sie verknotet werden können, sind sie bereit für den Verkauf.

„Perfekte Perle schimmert in Farben des Regenbogens“

Nur eine kurze Bootsfahrt entfernt ist die Insel Taha‘a. Hier liegt die Perlenfarm Champon, eine von 200 Perlenfarmen in Französisch-Polynesien. Ketten mit Austernschalen klimpern im Wind und begrüßen die Besucher am Strand der Lagune. Thea, eine Mitarbeiterin der Farm, erklärt den Entstehungsprozess der berühmten schwarzen Tahitiperlen. Mit Werkzeugen, wie sie in Zahnarztpraxen verwendet werden, wird die Auster vorsichtig aufgespreizt. „Es bleiben nur 30 Sekunden, um eine Perle zu ernten“, sagt Thea. Mit viel Fingerspitzengefühl wird die Perle aus dem Inneren der Muschel gedrückt und durch einen neuen Nukleus ersetzt. Dieser Rohkörper dient als Baugerüst für die Auster, die in den folgenden 18 Monaten eine Schicht Perlmut darum bildet. „Eine Auster produziert bis zu fünf Perlen in ihrem Leben“, erklärt Thea. Mit jeder Ernte wird ein größerer Nukleus eingesetzt.

Pro Jahr erntet die Perlenfarm Champon 30000 Perlen; der Fokus des Familienbetriebs liegt auf der Qualität der Schmuckstücke. „Nur eine von 1000 Perlen ist perfekt“, sagt Thea, die über die Jahre einen besonderen Blick für die Formen und Farbspiele der Perlen entwickelt hat. Was macht eine perfekte Perle aus? „Eine makellos runde Form und Schimmer in Regenbogenfarben.“

Ermöglicht wird die Perlenzucht durch die Riffe, die ringförmig um die Inseln liegen. Sie fungieren als natürlicher Wellenbrecher und schützen die Lagunen vor dem Seegang des Pazifiks. Delfine, Haie und farbenfrohe Korallenriffe können dort beobachtet werden. Im Frühjahr, wenn es in Europa gerade Herbst ist, kommen auch Buckelwale in die warmen Gewässer Polynesiens, um hier ihre Kälber zur Welt zu bringen. Doch auch, wenn das Mana an den langen Stränden besonders spürbar ist, lohnt sich ein Blick ins Inselinnere.

Ruinen zeugen vom frühen Leben im Inselinneren

Hier gibt es das Kontrastprogramm: Dichter Dschungel erstreckt sich über die Inseln. Auf dem fruchtbaren Boden der Atolle werden viele Früchte angebaut: Mangos, Bananen, Avocados und vor allem Ananas. Die üppige Ernte verkaufen polynesische Familien am Straßenrand.

Bevor europäische Missionare die Inseln erreichten, haben die Einheimischen im Inselinneren gewohnt. Noch heute zeugen die Ruinen der Tempel und Dörfer von der Kultur und großen Spiritualität der alten Polynesier. Zentrale Rolle in den überlieferten Mythen ist die Kraft der Natur und das Mana, der spirituelle Pulsschlag der Inseln.

Nicht nur in politischer Hinsicht, sondern auch kulturell möchten sich die Polynesier ihre Eigenständigkeit zurückerobern. Schritt für Schritt werden die Sprache, Bräuche und Riten, wie beispielsweise die traditionellen Tätowierungen, wieder zum Leben erweckt. Seit knapp 30 Jahren wird Tahitianisch als Schulfach unterrichtet, Heiler unterstützen in einem Pilotprojekt die Schulmedizin im Krankenhaus mit traditioneller Naturmedizin.

Tahiti und ihre Schwesterinseln gehen ihre ersten Schritte in Richtung Unabhängigkeit und loten dabei den Grat zwischen westlicher Orientierung und der Rückbesinnung auf Traditionen aus. Es ist ein Weg der Selbstfindung – zurück zu den Wurzeln des Mana.


INFORMATIONEN

Französisch-Polynesien besteht aus insgesamt 118 Inseln. Die größte davon ist Tahiti mit knapp 119000 Einwohnern, auf der auch die Hauptstadt Papeete liegt. Die Inselgruppe hat zwar eine eigene Verfassung und ein Parlament, hat aber den Status eines französischen Überseegebiets inne. Französisch-Polynesien gehört nicht zum Schengenraum; die Amtssprache ist Französisch. Die Temperaturen liegen ganzjährig zwischen 20 und 30 Grad.

ANREISEN

Tahiti liegt auf der anderen Seite der Welt: zwei Tage Anreise und etwa 20 Stunden Flug sind nötig, um das Südseeparadies zu erreichen. Der Zeitunterschied von zwölf Stunden kommt den Reisenden allerdings zugute, denn bei der Ankunft werden die Uhren zurückgestellt, sodass ein Tag länger vom Urlaub bleibt. Empfehlenswert ist die Fluggesellschaft Air Tahiti Nui. Zwar starten die Flüge erst ab Paris, dafür geht die Route aber direkt nach Papeete, abgesehen von einem kurzen Tankstopp in Los Angeles. Das Konzept der Fluggesellschaft mit Blumenketten und Musik sorgt bereits beim Abflug für Urlaubsgefühle.

SEHENSWERT

Wer bereits die lange Anreise nach Tahiti auf sich genommen hat, sollte auch die kleineren Inseln Französisch-Polynesiens besuchen – insbesondere Moorea, das mit der Fähre nur 40 Minuten von Papeete entfernt liegt.

ÜBERNACHTEN
Auf Tahiti (Papeete): Le Tahiti Pearl Resort
Auf Moorea: Cook’s Bay Hotel & Suites
Für eine Erkundung vom Wasser aus: Tahiti Yacht Charters

www.tahititourisme.de


Stipendiatin Franziska Hierbeck erkundete die polynesischen Inseln auf Einladung von Tahiti Tourisme.