Die Ruhe Tirols genießen: Wandern mit Kindern – und Alpakas

07.04.2023 | Stand 16.09.2023, 23:56 Uhr

Ordentlich Power in den Oberschenkeln – oder Elektro-Unterstützung – braucht man, um mit dem Rad und Anhänger zur Rosskopfhütte zu gelangen. Belohnt wird man mit einem herrlichen Ausblick über das Tiroler Hochplateau und Seefeld. −Fotos: Baumgartner

Von Benedikt Baumgartner

Auf Tirols Hochplateau rund um Seefeld genießen Wanderer die Langsamkeit. Die Wege sind weniger steil und anstrengend als im Hochgebirge und mit Kind gut zu meistern. Wer in den Alpen zum Entschleunigen gezwungen werden muss, wandert mit flauschigen Begleitern.

Jockl führt die Gruppe an, er ist der Chef, bleibt stehen, wenn ein Kamerad weiter hinten verträumt in die Bäume guckt oder einen kurzen Imbiss am Wegesrand einlegt. Hinter Jockl folgen Similaun, Wildspitz und sieben weitere Alpakas. Sie bestimmen das Tempo der Wandergruppe. Mit den flauschigen Vierbeinern spazieren zehn Menschen. Plus Florian Haslwanter, Inhaber des Hofs Tiroler Bio-Alpakas.
Vor gut zehn Jahren begann die Alpaka-Zucht für Haslwanter als Hobby, heute ist er ein wandelndes Lexikon, was die flauschigen Verwandten von Kamelen angeht. Siebeneinhalb Kilo Wolle scheren er und seine Frau jedes Jahr von einem einzelnen Alpaka. 40 Tiere hält er mittlerweile auf seinem Hof am Rande von Seefeld auf Tirols Hochplateau. Aus der Wolle fertigen sie flauschige Bettdecken oder warme Stirnbänder.

„Wir sind die Exoten“: Bio und entschleunigt

„Wir sind die Exoten in Seefeld“, sagt Haslwanter. Und das nicht der südamerikanischen Tiere wegen, sondern aufgrund der Bio-Zertifizierung. Haslwanter beschreibt Seefeld als aufregendste der fünf Gemeinden auf Tirols Hochplateau – neben Seefeld gehören dazu Leutasch, Scharnitz, Reith und Mösern. Action sei in und um Seefeld geboten, auf den Mountainbikerouten und alpinen Wanderstrecken genauso wie in den schicken Bars und Boutiquen – ein Sehen und Gesehen werden. Ist das Verlangen nach Adrenalin und Party gestillt, kämen die Gäste dann auf den Bio Alpaka Hof. Zum Entschleunigen.
Im Gehege stellt Haslwanter zunächst das Alpaka vor: Beheimatet ist es in den Anden. Zumeist in mehreren hundert, teils gar tausende Tiere zählenden Herden leben sie halbwild auf 3800 bis 5000 Metern Höhe in der Tierra Helada. Dort laufen sie am Tag bis zu 30 Kilometer, um genug Nahrung an den kargen Hängen zu finden.
So weit führt die Wanderung von Haslwanters Hof nach der Einführung nicht, nur eine gute Stunde dauert sie. Bei langsamem Tempo. Eine Wanderin führt Similaun – wie alle Alpakas mit Tirolbezug benannt nach dem Gletscher, in dem Ötzi gefunden wurde. Sie trägt ein Baby in einer Kraxe auf dem Rücken. Anfangs schaut es noch gespannt auf die Tiere, dann geht es dem Buben aber zu stockend voran, er wird jammerig. „Bei Kindern ist die Alpaka-Wanderung gar nicht so beliebt“, sagt Haslwanter. „Die machen ja nicht viel.“ Am besten komme der Alpaka-Ausflug bei jungen Männern an, „auch wenn die das immer nicht zugeben wollen“. Ein entspanntes Gegenprogramm zum Vollgas auf der Piste.
Die Alpakas grasen am Wegesrand im lichten Wald, blicken sich nach Geräuschen um, kratzen ihr dichtes, weiches Fell an Sträuchern, trotten aber die meiste Zeit gemächlich und treu in Reih und Glied Anführer Jockl hinterher. Anstrengend ist das weder für die Dauerläufer aus Südamerika noch für die Menschen am anderen Ende der Leine, ein angenehmer Spaziergang in flachem Gelände.
Steil und weit nach oben führt der Weg auf Seefelds entgegengesetzter, westlicher Seite. Ein gewundener, breiter Schotterweg schlängelt sich zwischen Almwiesen und Waldstücken hinauf zur Rosshütte. Radfahrer – oder E-Biker – erklimmen die Steigung teils mit Kindern im Anhänger. Bequemer überbrückt man die gut 500 Höhenmeter von der Talstation in der Rosshüttenbahn. Sogar für Kinderwagen bietet die Standseilbahn Platz. Auf 1762 Metern angekommen werden Gäste – auch ohne Schweiß vergossen zu haben – mit einem spektakulären Panorama belohnt. Das Tiroler Hochplateau erstreckt sich saftig grün über sanfte Hügel, schroffe steinig-graue und schneeweiße Gipfel rahmen das Plateau ein.
Mehr als das Alpenpanorama interessiert die vielen Kinder auf der Mittelstation der riesige, abwechslungsreiche Spielplatz. Eine Murmelbahn, auf der die Holzkugeln durch Kuhglocken scheppern, ein großes Trampolin-Kissen und Spielgeräte mit lokaltypischem Bergbau-Bezug begeistern die kleinen Bergsteiger.
Auf die nahen Gipfel, das Seefelder Joch und den Härmelekopf, führen Seilbahnen von der Rosskopfhütte aus. Spätestens hier, auf über 2300 Metern an der Reither Spitze, werden die Routen zu steil und strapaziös, um sie mit Kind zu erklimmen. Gemütlicher ist das Wandern weiter unten und weiter nordöstlich auf dem Hochplateau, rund um Leutasch.


Almabtrieb: Hier dreht sich alles um die Kuh


Ende September steht dort jedes Jahr ein besonderes Spektakel an, das Touristen und Einheimische daran erinnert, dass nicht das Alpaka das klassische Tiroler Hoftier ist, sondern das Rind: der Almabtrieb von den höhergelegenen Wiesen, auf denen die Kühe den Sommer über grasten. Leutasch ist nicht Seefeld, weniger auf Tourismus fokussiert, mehr auf das Dorfleben, die Landwirtschaft, den Bio-Gedanken.
Der Almabtrieb ist nicht auf ein festes Wochenende festgelegt, sondern kann mal früher, mal später im Herbst stattfinden, je nachdem, wann den Kühen auf den Almen das Futter knapp wird. Ihre letzte Etappe führt sie von der Gaistalalm eine gute Stunde nach Leutasch, wo ihre Ankunft mit einem großen Dorffest gefeiert wird. Wenn die Kühe im Mai und Juni wieder auf die Almen getrieben werden, gibt es kein Fest, kein Spektakel. Jeder Bauer wählt für sich den besten Zeitpunkt.
Verbogen werden alte Bräuche hier nicht für Besucher. So ist eine Touristin, die am Gatter die Ankunft der Kühe beim Almabtrieb erwartet, irritiert, dass die nicht mit buntem Kopfschmuck daherkommen, sondern lediglich mit Glocken um den Hals. Doch das hat einen guten, wenn auch traurigen Grund, wie eine junge Bäuerin erzählt: „Die Kühe werden nur aufgeschmückt, wenn es alle heil wieder heim schaffen.“ Das ist im vergangenen Jahr nicht so, eine Kuh stirbt in den Bergen.

Tiroler Kost und Musik belohnen die Wanderer

Wanderer machen sich auf den entgegengesetzten Weg der Kühe auf zur Hämmermoosalm, die in Richtung Gaistalalm etwa auf halber Strecke liegt. Auf dem breiten Forstweg könnten sie einen Kinderwagen schieben. Die Alternative: Kind in die Trage und den Anstieg auf einem schmaleren Weg erklimmen. Über Steine und Wurzeln geht es hier, steil ist der Pfad aber nur kurz, bald schlängelt er sich fast eben durch Wiesen und Wäldchen.

Anstrengend ist dieser Weg nicht. Doch erneut wartet bald eine Belohnung auf die wandernden Erwachsenen und getragene Kinder: Nach einer knappen halben Stunde Fußweg erreichen sie schon die Hämmermoosalm. Eine warme Stube, Kaspressknödel, Kaiserschmarrn, Skiwasser – und wie so oft in Tirol: Musik. Ein Mann sitzt alleine in einem Eck, spielt an seiner Harfe. Unterhalten möchte er sich nicht. Das Schnitzel, das ihm die Bedienung hinstellt, packt er sich in Alufolie und nimmt es mit. Draußen beginnt es zu nieseln. Die Wanderer gehen nicht mehr weiter zur Gaistalalm, sondern machen sich auf den kurzen Rückweg zum Parkplatz am Salzbach. Sie kommen an zahlreichen Kuhfladen vorbei, die die Kühe beim Almabtrieb zurückgelassen haben, wie um zu sagen: „Wir waren schon hier.“


Redakteur Benedikt Baumgartner recherchierte mit Familie auf Einladung des Tourismusverbands Seefeld in Tirol.


INFORMATION

Ein Hochplateau prägt die Region Seefeld und die dazugehörigen Orte Leutasch, Scharnitz, Mösern und Reith. Die Ebene auf knapp 1200 Metern Höhe, umgeben von Alpengipfeln, ist ideal zum Wandern oder Radeln auf sanft wie steil ansteigenden Wegen. Das Hochplateau Tirol beginnt direkt an der Grenze zu Deutschland bei Mittenwald.

ANREISEN

Aus Bayern ist es ein Katzensprung über die Grenze in die Region Seefeld, nicht nur mit dem Auto, sondern auch mit dem Zug. In Seefeld findet sich der höchstgelegene ICE-Bahnhof der Welt. Von München und vielen weiteren deutschen Städten gelangt man mit der Bahn ohne Umstieg auf Tirols Hochplateau. Zwischen den einzelnen Orten soll das ÖPNV-Netz kontinuierlich ausgebaut werden.

ÜBERNACHTEN
•Vier-Sterne-Häuser wie der Seefelderhof (Infos unter www.seefelderhof.com) sind in Seefeld zu finden.

•In Leutasch oder Reith gibt es Chalets oder auch einfachere Gästehäuser.

www.seefeld.com