Bad Griesbach
Bescheidener leben, um sich selbst zu finden

Warum Stadtpfarrer Drescher die Fastenzeit „genießt“

22.02.2023 | Stand 17.09.2023, 2:24 Uhr

Die Verhüllung der Kruzifixe und Kreuzeist ein äußeres Zeichen der Passionszeit. Die kirchliche Farbe der Passionszeit ist das Violett, eine königliche Farbe, um sich auf einen König vorzubereiten. Bis zum Auferstehungssonntag zündet Pfarrer Gunther Drescher jeden Sonntag eine weitere Kerze am siebenarmigen Leuchter an – hier auf dem Archivbild die rote Kerze am Palmsonntag, die für das Leiden Jesu steht. Momentan ist das Kreuz noch nicht verhüllt. Das geschieht am fünften Fastensonntag. −Foto: Archiv Jörg Schlegel

Mit dem Aschermittwoch beginnt die christliche Fastenzeit. Die 40 Tage vor Ostern sind von der römisch-katholischen Kirche als Bußzeit bestimmt und dienen der Vorbereitung auf die Feier des Todes und der Auferstehung Christi. Aber auch für Menschen, die wenig in christlichen Ritualen verhaftet sind oder der Kirche den Rücken gekehrt haben, kann die Fastenzeit eine Phase der Besinnung sein. Es geht um einen anderen Lebensstil, mehr Zeit für sich oder die Auseinandersetzung mit sozialen oder ökologischen Themen. Bad Griesbachs Stadtpfarrer Gunther Drescher (54) ist davon überzeugt, dass die Fastenzeit eine gute Gelegenheit ist, den Weg zu sich selbst und zu Gott zu finden.

Die Fastenzeit hat begonnen. Wie fasten Sie, Herr Pfarrer?
Gunther Drescher: Nicht immer gleich. Ich habe schon Verschiedenes ausprobiert. Ich habe zum Beispiel schon mal nach den Vorgaben des muslimischen Ramadan gefastet, also von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weder gegessen noch getrunken. In den letzten Jahren habe ich gute Erfahrungen mit der 16:8-Methode gemacht. Dieses Intervallfasten mache ich auch heuer. Das heißt, dass zwischen der letzten Mahlzeit des Vortages und der ersten Mahlzeit des Tages 16 Stunden liegen.
Das könnte eine Empfehlung für die Gläubigen Ihrer Pfarrei sein?
Drescher: Nein, ganz im Gegenteil. Ich würde nie eine detaillierte Empfehlung aussprechen. Beim Fasten kann ich nur empfehlen, einen eigenen Weg zu finden. Da gibt es sehr viele Möglichkeiten. Die Fastenzeit ist ja keine Hungerkur. Gott zwingst uns zu nichts, Gott braucht kein Fasten, sondern wir. Es kommt darauf an, bewusster und damit bescheidener zu leben, um sich selbst zu finden und damit zu Gott zu finden.

Und was raten Sie Menschen, die gerne fasten wollen, dies aber nicht aus Glaubensgründen tun und dabei keine reine Lifestyle-Aktion mit Alkohol- oder Internet-Verzicht betreiben wollen?
Drescher: Nichts anderes. Indem man den Körper unter Kontrolle bringt und herausfindet, was er aushält, entsteht etwas. Es lassen sich Antworten darauf finden, wie man mit den eigenen Begierden besser umgehen kann. Wenn ich mich einschränke und sehe „das genügt mir“, entsteht auf einmal etwas. Ich werde dankbar. Und daraus kann sich noch mehr entwickeln. Dieses gute Gefühl wirft doch die Frage auf, wem ich danke. Somit sind alle ernsthaft Fastenden ganz von selbst mit der Glaubensfrage konfrontiert. Sonst wird das Fasten trivialisiert. Wichtig ist auch, seinen Dank auszudrücken.

Wie zum Beispiel?
Drescher: Indem man sich solidarisch zeigt. Zum Beispiel mit Spenden. Aus Fasten entsteht Gebet und darauf auch der Wunsch, Almosen zu geben. Das ist gezeigte Liebe gegenüber dem Anderen und damit gegenüber Gott. Darum gibt es ja auch die Fastenaktion des Bischöflichen Hilfswerks Miserior, die in diesem Jahr Frauen aus Madagaskar in den Mittelpunkt stellt, die den sozialen Wandel ihrer Gesellschaft vorantreiben. Die Aktion 2023 steht unter dem Motto „Frau. Macht. Veränderung“. Die Fastenzeit lädt ein, das zum Positiven zu verändern, was in meiner Macht steht. Dann entsteht etwas Nachhaltiges.

Ich freue mich übrigens sehr über das Miserior-Motto, denn es passt in die Thematik, die uns im Pfarrverband in der Passionszeit begleitet. Wir befassen uns mit den alttestamentlichen Frauengestalten. Am ersten Fastensonntag geht es mit Eva los.

Das klingt ja richtig spannend.
Drescher: (lacht). Ja, die Fastenzeit ist spannend. Ich kann sogar sagen, dass ich die Fastenzeit genieße. Es erfüllt mich, die Menschen an die Hand zu nehmen, mit ihnen in dieser besonderen Zeit zu beten und mit Ritualen die Passionszeit zu begleiten und zu unterstreichen – etwa indem jeden Fastensonntag eine Kerze am siebenarmigen Leuchter entzündet wird.

Fasten befreit?
Drescher: Ja, so ist es. Die Fastenzeit bekräftigt den Wunsch nach genereller Veränderung des Lebens. Die Fastenzeit ist keine Kasteiung, sondern Befreiung. Sie ist eine Eingangsstufe, damit es weiter geht. Ich mache mich klein, damit Gott mich groß macht.


Das Gespräch führte Carmen Keller