Fiktives Traitach im Kreis Deggendorf
Fotos: Münchner Tatort spielt bei "Reichsbürgern" in Niederbayern

29.05.2018 | Stand 18.09.2023, 2:50 Uhr

Die staatliche Autorität von Ivo Batic (Miroslav Nemec, r.) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) endet an diesem eisernen Hoftor. − Foto: BR

Sie wünschen sich ein mächtigeres Deutschland, ein größeres, und autonom soll es bitte sein. Ohne lästige internationale Bindungen und Verträge. Die komplexe Wirklichkeit ist so unerträglich, dass sie zur Fälschung und stattdessen der Glaube an die Fiktion eines eigenen Staates zur Wahrheit erklärt wird. Man nennt sich "Reichsbürger" und findet wieder Halt. Oder wie der alte Wirt Alois (Peter Mitterrutzner) erklärt: "An irgendwas glauben muss der Mensch. Früher war’s der liebe Gott, und heut sans so Leut wie der Schneider."

Dieser Ludwig Schneider (Andreas Döhler) war früher Koch, doch dann hat er als rhetorisch begabter Menschenfischer im Landkreis Deggendorf nahe der tschechischen Grenze eine mit Eisenzaun, Stacheldraht und festbetonierten Überzeugungen geschützte Enklave aufgebaut: "Freiland", ein Ministaat in der fiktiven Gemeinde Traitach, der sich von Deutschland lossagen will. Eine Kommune mit Privatunterricht für die Kinder, mit heiligem Sebastian unterm Hausgiebel, mit eigener Flagge in Schwarz-Rot-Weiß am Balkon und mit eigenem Callcenter für seichte Rundfunkgebührpreller und für profunde Deutschlandhasser aus ganz . . . na, für alle Gleichgesinnten halt.

Fotos aus dem Tatort in Niederbayern finden Sie in der Galerie

In diese abgeschottete Welt der "Freiländer" verschlägt es am Sonntag, 3. Juni, im "Tatort" die Münchner Kriminalhauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), die schnell erfahren, dass ihre staatliche Autorität hier am eisernen Hoftor endet: "Ihr seid keine echten Polizisten! Ihr habt’s hier nix verloren!"

Was nun folgt, ist weniger Krimi als Culture-Clash-Movie. Drehbuchautor Holger Joos, gebürtig in Biberach, wohnhaft in Frankfurt am Main, und Andreas Kleinert, Professor in Babelsberg und bisher Regisseur von "Tatort"-Folgen in Köln und Kiel, haben sich entschieden, dieses Niederbayern als finstren bayerischen Ostblock zu zeichnen: Putz fliegt von den Wänden, Unkraut wuchert an den Straßen, immer kreisen Fliegen, neben das Wellblechbushäusl kackt die Kuh, das einzige Auto im Ort ist eine antike Rostlaube, Essen gibt es nur am Bratwurstautomaten an der Tankstelle. Dass der Film aus dieser satirischen Überzeichnung der Provinz, die hier Niederbayern heißt, seinen schlichten Humor zieht, ist so üblich wie verschmerzbar. Das wahre Problem besteht darin, dass der Film vor lauter Kulturschock fast vergisst, seine Geschichte zu erzählen . . .

"Tatort: Freies Land" am Sonntag, 3. Juni, 20.15 Uhr, ARD

Die ausführliche Vorabkritik und ein Interview mit Sigi Zimmerschied zu seiner Rolle als Dorfpolizist lesen Sie am Dienstag kostenlos mit PNP Plus und im Feuilleton der PNP am Online-Kiosk.