Tod in Bilderbuchstadt
Getötete Hanna (23) im Chiemgau: Bürger in großer Sorge

Soko „Club“ lässt weitere Bereiche intensiv absuchen

11.10.2022 | Stand 13.10.2023, 10:22 Uhr

Nach dem gewaltsamen Tod der 23-jährigen Hanna aus dem Chiemgau (Lkr. Rosenheim) dauern die Ermittlungen an. Das Infomobil der Polizei steht noch bis Donnerstag vor dem Rathaus. Bei den Bürgern herrscht unterdessen große Verunsicherung.

Es ist ein oberbayerisches Dorf wie aus dem Bilderbuch: die Gemeinde Aschau (Lkr. Rosenheim) in den Chiemgauer Alpen. Schmucke Häuser mit gepflegten Gärten und üppigem Blumenschmuck auf den Balkonen. In den Straßen sind Einheimische wie Touristen unterwegs. Alltag herrscht hier zurzeit aber nicht, das zeigt auch ein Polizeimobil, das vor dem Rathaus steht. Seit eine 23 Jahre alte Disco-Besucherin gewaltsam zu Tode kam (wir berichteten), sind die Menschen in Sorge. Schließlich ist unklar, was passiert ist. Außerdem ist das Mitgefühl mit der Familie des Opfers enorm. „In Aschau kennt doch jeder jeden“, sagt eine Passantin.

Die Frau ist am Dienstag zu dem Polizeimobil vor dem Aschauer Rathaus gekommen und fragt, was so viele in diesen Tagen bewegt: „Wie sicher ist das hier noch?“ Ihre Tochter sei 16 Jahre alt und gehe zwar noch nicht in die Disco, aber könne sie sie denn abends überhaupt noch auf die Straße gehen lassen? Kriminalhauptkommissar Karl-Heinz Busch rät, dass sich junge Leute abends möglichst zusammentun und nicht alleine laufen sollten. Das würde das Sicherheitsgefühl stärken. Vielleicht lasse sich vorübergehend ein Hol- und Bring-Service einrichten, schlägt er vor. Einen perfekten Tipp kann er der besorgten Mutter nicht geben. Die Polizei könne nicht rund um die Uhr alle Straßen absichern. 

Möglicher Einsatz von Schulweghelfern

Dennoch: Die Sorgen vieler Eltern seien nachvollziehbar, sagt Busch. Er habe schließlich selbst eine Tochter. Als ein Vater wissen will, ob er seine Töchter morgens noch alleine zum Schulbus gehen lassen könne, empfiehlt der Kommissar, mit der Schule Kontakt aufzunehmen. Vielleicht lasse sich der Einsatz von Schulweghelfern in nächster Zeit etwas ausweiten, oder es könnten sich Eltern als Begleitpersonen für mehrere Kinder aus der Nachbarschaft auf dem Schulweg abwechseln.

Die Anliegen, mit denen Bürger an das Polizeimobil kommen, sind sehr unterschiedlich. Manche haben Beobachtungen gemacht und wissen nicht, ob diese relevant sein könnten. Busch appelliert an die Menschen, jedes noch so unscheinbar wirkende Detail mitzuteilen. „Nichts ist unwichtig“, sagt er. In dem Fahrzeug sitzt eine Beamtin und tippt die Informationen in den Computer.

Auch Hinweise zu örtlichen Gegebenheiten könnten wertvoll sein. Eine Einheimische zeigt auf einer Landkarte, wo sich in Nebenarmen der Prien Gegenstände verfangen haben könnten. Eine Frau berichtet von einer Überwachungskamera, von der sie gehört habe. Busch notiert die Infos. Vielleicht ist genau diese Kamera noch nicht ausgewertet.

Die Tat sei das große Thema im Ort, sagen die Bürger unisono. „Man geht abends ins Bett und denkt darüber nach und steht morgens auf und denkt wieder darüber nach“, berichtet eine Mutter. Auch der Umgang mit den Angehörigen der Toten beschäftigt einige. Sie wüssten nicht, wie oder ob sie die Familie ansprechen sollten. „Ich kann doch nicht einfach fragen: Wie geht’s Dir heute?“, macht sich eine Frau Gedanken.

Taucher auch am Dienstag im Einsatz

Mit der Präsenz vor Ort will die Polizei eine zusätzliche Möglichkeit bieten, in Kontakt zu kommen. Nicht jeder wolle sich per Internet oder Telefon melden, sagt Busch. Manchen sei das persönliche Gespräch lieber. Auch am Mittwoch und am Donnerstag steht das Polizeimobil von 9 bis 16.30 Uhr vor dem Rathaus in Aschau.

Die Ermittlungen gehen derweil weiter. Auch Dienstag waren Taucher im Einsatz, die nach Gegenständen des Opfers suchen. Am Mittwoch wollen sie wiederkommen. Ebenso wird die fallanalytische Bewertung der vorliegenden Spuren und Erkenntnisse fortgesetzt, gemeinsam mit Profilern der Operativen Fallanalyse (OFA) Bayern. Aufgrund aktueller Einschätzungen lässt die Soko „Club“ weitere Bereiche intensiv absuchen. Unterstützungskräfte der Bayerischen Bereitschaftspolizei werden am Mittwoch den Parkplatz der Kampenwandbahn und umliegende Bereiche durchkämmen, kündigte das Polizeipräsidium Oberbayern an. 

Bislang sind die Jacke und die Handtasche der 23-Jährigen aus der Prien geborgen worden. Unter anderem das Handy sei aber noch nicht gefunden, sagte Busch. Die junge Frau war am vorvergangenen Wochenende aus der Disco „Eiskeller“ nicht nach Hause gekommen und Stunden später von einem Passanten tot in der Prien entdeckt worden.

123 Hinweise bis Dienstag früh 

Eine Sonderkommission der Kriminalpolizei ist unter anderem damit beschäftigt, Fotos und Videos zu sichten. Es wurde ein Internetportal eingerichtet, über das Bilddateien an die Soko übermittelt werden können. Bislang haben dort 92 Personen mehr als 300 Foto- und Videodateien hochgeladen. Die akribische Auswertung dieser Medien dauert noch an. 123 Hinweise gingen bis Dienstag früh bei der Soko ein.

Die Sondernummer des Hinweistelefons wurde am Montag jedoch abgeschaltet. Zeugen werden gebeten, sich unter Tel. 08031/2000 bei der Kriminalpolizei Rosenheim, in dringenden Fällen auch unter der Notrufnummer 110 bei der Polizeieinsatzzentrale zu melden – oder heute oder morgen nach Aschau ans Infomobil zu kommen.

Zudem sollen möglichst alle der 600 bis 800 Besucher, die in der Nacht zum 3. Oktober im „Eiskeller“ waren, ausfindig gemacht und befragt werden.

− dpa/rse