Festakt der Grünen
Video: Christian Springer hält in Chieming eine Ode auf die Demokratie

Ortsverband Chiemsee-Ost feiert 20. Gründungsfest mit dem Kabarettisten und „Orienthelfer“-Gründer als Stargast

15.04.2024 | Stand 19.04.2024, 16:47 Uhr
Arno Zandl

Zufriedene Hauptakteure am Ende eines schönen Jubiläums-Abends (von links): Ortssprecherin Traudi Kraus, Mitstreiter Ben Betz, Gemeinderats-Fraktionssprecherin Angelika Maier, Gemeinderatsmitglied Bernhard Hecht, Gemeinderatsmitglied und Ortssprecherin Andrea Roll, der Kabarettist Christian Springer, Landesvorsitzende und Ortsverband-Gründungsmitglied Gisela Sengl, Gemeinderatsmitglied Sebastian Heller und der Klaviervirtuose Thomas Hartmann, der den Abend musikalisch gestaltete. − Foto: Zandl

Der Ortsverband von Bündnis 90/Die Grünen hat sein 20. Gründungsfest im vollen Saal des „Chiemseer Wirtshaus“ mit etwa 150 geladenen Gästen gefeiert. Als Stargast hat der Buchautor und Kabarettist Christian Springer eine satirische Fest-Rede gehalten, die als Ode auf die Demokratie zu verstehen war.



Der Abend wurde mit einer Dia-Show historischer Fotos aus den vergangenen 20 Jahren des Ortsverbandes von Wolfgang Ludwig eröffnet. Anschließend begrüßten die Sprecherinnen des Ortsverbandes, Traudi Kraus und Andrea Roll, die Gäste. Herausgehoben wurden die drei Chieminger Bürgermeister Stefan Reichelt (CSU), Markus Brunner (UW) und Josef Mayer (CSU) sowie Grabenstätts Bürgermeister Gerhard Wirnshofer (FW) und Trostbergs Zweite Bürgermeisterin Marianne Penn (Grüne). Auch die Vorsitzenden des Ortsverbandes Chiemsee-Ost sowie die Kreisvorstandschaft der Grünen mit Sprecherin Hannah Hollinger wurden besonders begrüßt, ebenso die Chieminger Gemeinderäte der Grünen und Landesvorsitzende Gisela Sengl. Unter großem Beifall angekündigt wurden der Chieminger Pianist Thomas Hartmann und der Münchener Kabarettist Christian Springer, die später für Unterhaltung sorgten.

Bürgermeister würdigt parteiübergreifende Zusammenarbeit

In ihrer Einleitung hob Kraus all die Personen heraus, die die Entwicklung der Grünen in den vergangenen zwei Jahrzehnten in den zum Ortsverband gehörenden Orten Chieming, Grabenstätt, Nußdorf sowie Seeon, Seebruck und Truchtlaching geprägt haben: Sebastian Heller, Elisabeth Heimbucher, Bernhard Hecht, Angelika Maier, Ben Betz, Richard Danhof, Angelika Weber, Ina Seeberger und „der Jahrgangsälteste“ Friedrich Mumm von Mallinckrodt seien für den Ortsverband wichtige Stützen. 2019 hat sich der Ortsverband Seeon-Seebruck-Truchtlaching selbstständig gemacht.

Bürgermeister Stefan Reichelt hob in seinem Grußwort die gute und wichtige parteiübergreifende Zusammenarbeit gerade im Gemeinderat hervor. Es werde zwar manchmal kontrovers diskutiert, „aber es gibt am Schluss immer eine Einigung, auch wenn diese nicht immer einstimmig ausfällt. Das ist gelebte Demokratie.“ Besonders hervorgehoben hat Reichelt Gemeinderätin Andrea Roll: „Wichtige Gespräche und Begegnungen mit der Kinder- und Jugendbeauftragten verlaufen immer sehr harmonisch, und ich bin dir sehr dankbar für dein Engagement bezüglich des Sozialfonds, wo wir manchmal keine einfachen Entscheidungen treffen müssen“, so Reichelt.

Hannah Hollinger stellte heraus, wie wichtig die kreative Arbeit der Ortsverbände sei: „Nur durch die gute Arbeit in den Ortsverbänden kommen wir auch auf Kreisebene zu guten Ergebnissen.“

Die ehemalige Landtagsabgeordnete und jetzige Landesvorsitzende der Grünen, Gisela Sengl, ging auf die Entstehung des Ortsverbandes ein. „Angefangen hat alles am 18. November 2003 in einem kleinen Nebenzimmer beim Zenz in Sondermoning, wo sich zwölf Menschen zur Gründung und Unterstützung eines Ortsverbandes trafen oder diesen auch nur neugierig beobachteten. Von den zwölf Anwesenden waren nur drei Mitglieder bei den Grünen, nämlich Valentin Legner, mein lieber Mann Hans Dandl und ich. Drei Mitglieder waren auch die Mindestzahl, um einen Ortsverband gründen zu können.“ Auch die damalige Zeitungs-Ankündigung hatte Sengl zur Hand.

Der Ortsverband sei von Anfang an sehr aktiv gewesen. „Legendär war die Veranstaltung zum Thema Landesbank mit dem damaligen haushaltspolitischen Sprecher der Grünen, Eike Hallitzky. Das Nebenzimmer der Dorfwirtschaft war brechend voll“, so Sengl. Weiter ging es mit dem Kampf gegen den Lidl-Discounter in Egerer, wofür ein Bürgerbegehren erreicht wurde, „das wir leider verloren haben.“

Aus dieser Aktion heraus seien aber zwei wichtige Entwicklungen entstanden, sagte Sengl: „Die Bürgerliste Nußdorf und das Bürgerforum Chieming.“ 2008 seien bei der Kommunalwahl die ersten Grünen in die Gemeinderäte gewählt worden – in Nußdorf unter Beteiligung des damaligen Bürgermeisterkandidaten Hans Dandl vier Kandidaten, in Chieming zwei. Bei der Kommunalwahl 2020 wurden in Chieming 31,9 Prozent der Stimmen geholt, nur 1,7 Prozent weniger als die CSU. Seitdem sind fünf der 16 Gemeinderatsmitglieder Grüne. „Der Erfolg ist vor allem auch Sebastian Heller, dem damaligen Bürgermeisterkandidaten der Grünen, zu verdanken“, so Sengl, die abschließend auf die bevorstehende Europawahl einging. „Die Wahl ist sehr wichtig, denn rechtsradikale Parteien wollen unser Europa der Einheit und Vielfalt, der Sicherheit und Freiheit, zerstören. Wir müssen kämpfen für unsere Demokratie, für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen und für unser friedliches Zusammenleben.“

Handynummer in Buch gekritzelt: „Wenns D’ mi brauchst, helf’ ich dir.“

Angelika Maier, Sprecherin der Grünen-Fraktion im Chieminger Gemeinderat, kündigte Christian Springer an, mit dem seit seiner Gründung des Vereins „Orienthelfer“ schon lange Kontakt bestehe. Bei einem Kabarett-Abend vor einigen Jahren habe Springer in ein von Maier erstandenes Buch neben einer Widmung seine Handy-Nummer geschrieben: „Wenns D’ mi brauchst, helf’ ich dir.“ Zur Hilfe kam es erst einmal nicht, weil sich die Grünen im Landkreis selbst geholfen hätten – etwa, als es um die Unterstützung für einen an Leukämie erkrankten, geflüchteten Syrer ging. „Doch die Motivation von Christian Springer hat uns damals sehr geholfen“, so Maier.

Springer nahm Bezug auf den von ihm gegründeten Verein „Orienthelfer“ und auf den vom Verein unterstützten Libanon, in dem etwa ein Viertel der Bewohner Flüchtlinge sind. „Auf Deutschland übertragen wären das etwa 30 Millionen Flüchtlinge im Land.“ Schon in dieser Woche wird Springer nach Israel fliegen, um eine mögliche Unterstützung des Vereins im Gaza-Streifen zu bewerten. „Im Moment ist eine Hilfe für den Gaza-Streifen nicht möglich, alles wird geklaut“, so der Kabarettist mit sozialer Ader.

Erwähnt hat Springer auch einen Disput mit Horst Seehofer, dem er 2015 einen 80-seitigen Brief geschrieben hatte. Nachdem man ihm gesagt habe, dass der damalige Ministerpräsident so ein langes Schreiben nie lesen werde, habe er ihn im Büchlein „Landesvater, cool down“ veröffentlicht. Nach jahrelanger Funkstille („Wir waren nur anderer Meinung zu einem Thema – mehr nicht.“) trafen sie sich beim Sonntags-Stammtisch im Bayerischen Fernsehen wieder. „Seehofer gab mir die Hand und fragte mich, ob ich an Markus Söder auch schon einen 80-seitigen Brief geschrieben habe. Damit war das Eis zwischen uns gebrochen, einen solchen Humor liebe ich, seitdem verbindet uns ein respektvolles Verhältnis.“

Springer verglich parodistisch geschichtliche Ereignisse mit gegenwärtigen Entwicklungen. So habe es die Energiekrise aus dem Winter 2022/23 bereits 1973 gegeben. Schon damals gab es neben autofreien Sonntagen Geschwindigkeitsbeschränkungen von 100 km/h auf Autobahnen. „Damals war es leichter sie einzuhalten, denn die Autos fuhren nur 80 km/h“. Trotz einer Benzinpreiserhöhung von 120 Prozent sei das deutsche Volk damals wieder glücklich geworden – durch den Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1974. „Bei der WM in Katar vor zwei Jahren war das anders. Da ist die deutsche Nationalmannschaft aus humanitären Gründen frühzeitig abgereist.“

„Rechtsradikalismus führt auf Dauer zu Gewalt und Tod. Lasst die Finger davon.“

Dass eine Spaltung in der Gesellschaft möglich sei, dafür wurden Springer bereits vor 50 Jahren die Augen geöffnet, als er nach dem Stadtderby mit seinem Vater am Giesinger Stehausschank von 1860 München stand und dort die Bayern-Fans vorbeizogen. Springer erinnerte auch an den ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner und an die Zeit um 1932, als der Berliner KPD-Chef Walter Ulbricht und „Gauleiter“ Joseph Goebbels an einem Tisch saßen, als es um den Streik der Berliner Verkehrsbetriebe ging. Wenige Monate später seien die Kommunisten und Marxisten zum Feind der NSDAP erklärt und von denen, mit denen sie vorher zusammensaßen, blutig verfolgt worden. „Rechtsradikalismus führt auf Dauer zu Gewalt und Tod. Lasst die Finger davon. Ihr verbrennt euch“, mahnte Springer. Der Kabarettist hatte noch viele Beispiele zur Hand, weshalb „die Demokratie nicht sexy und toll, sondern zach ist – doch sie schützt uns vor der Diktatur und ist tausendmal besser als andere Staatsformen.“

Für seine Ode an die Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit und Hass erhielt Springer anhaltenden Applaus von den Festgästen. Für das musikalische Rahmenprogramm sorgte der Klavier-Virtuose Thomas Hartmann, der mit Stücken wie „System of a down“, den „Dizzy Fingers“ von Zez Confrey oder dem Hammerschmidt-Jodler für jeden Geschmack das passende Lied treffsicher auf den Piano-Tasten zelebrierte. Auch ihm galt ein großer Beifall der Gäste.