Festspiele Europäische Wochen
Meister der tiefen Gefühle: Starpianist Mikhail Pletnev in Passau

10.07.2023 | Stand 14.09.2023, 21:38 Uhr

Starpianist Mikhail Pletnev verzauberte das Publikum in der Passauer Studienkirche. Unser Bild zeigt ihn vor dem Konzert beim Warmspielen im nahe gelegenen Gymnasium Leopoldinum. −Foto: Sebastian Ambrosius

Ein großer Künstler und ein großes Werk hat am Sonntagabend das Programm der 71. Festspiele Europäischen Wochen geboten: Der russische Starpianist Mikhail Pletnev spielte Sergej Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2 in der mit rund 600 Besuchern voll besetzten Studienkirche in Passau.

Zusammen mit dem ungarischen Györ Philharmonic Orchestra führte er die Zuschauer in die russische Spätromantik.

Mikhail Pletnev ist ein Pianist der höchst kultivierten russischen Schule. Seit er mit 21 Jahren 1978 Gewinner des Tschaikowsky-Wettbewerbs war, standen ihm alle großen Konzerthäuser offen. Geschickt hat er sich ein breites Repertoire aufgebaut, u. a. mit sehr gegensätzlichen Werken z. B. von Schumann und Scarlatti. Er entwickelte eine sehr individuelle Künstlerpersönlichkeit.

In Passau nun ein populäres Werk der russischen Literatur. Von Anfang an zeigt Pletnev sich als Meister der feinen Anschlagkultur. Er spielt sehr konzentriert und doch locker wie selbstverständlich. Seine Technik ist perfekt. Brillant aber ist seine musikalische Durchdringung und emotionale Tiefe, wenn er zum Beispiel im ersten Satz die Anfangsakkorde des Glockenmotivs dunkel und geheimnisvoll sakral anschlägt, wie passend in diesem Kirchenraum.

Dass er sich als Solist zurücknehmen kann, zeigt er wenig später, als Klarinette und Streicher das Hauptthema haben und das Klavier nur begleitet. Überhaupt präsentiert er sich als Teamplayer. Er sucht stets Blickkontakt mit den Musikern und auch mit dem russisch-österreichischen Dirigenten Alexej Kornienko, der sich oft zu ihm wendet. Der Solist lässt es zu, dass das ausgezeichnete Orchester mit ihm verwächst.

Pletnevs starker rhythmischer Energie im ersten Satz folgt eine meditative, lyrische Ruhe im zweiten Satz, bevor sich der Pianist dem Melodienreichtum Rachmaninoffs hingibt und wieder in Glockenakkorden endet. Gerade im liedhaften zweiten Satz entfaltet der Pianist einen spielerischen Klangreichtum, der in einem Bogen endet, in dem die Melodie schier wegstirbt. Noch das feinste Pianissimo kostet Mikhail Pletnev aus – mit einem Publikum, das schier den Atem anhält. Im letzten Satz kann der Pianist seine Virtuosität noch einmal in der Klavierkadenz und im Wechselspiel mit den Holzbläsern zeigen.

Präzision, gezügelte Leidenschaft und das zarte Aufblühen des romantischen Klangs prägen seine Interpretation. Wie stets in seinen selten geworden Konzerten gibt Pletnev, der mit seinen eigenen Konzertflügel angereist ist, zwei Zugaben. Der gut aufgelegte und fröhlich winkende Pianist spielt ein Nocturne von Peter Tschaikowskys und eine Etude von Moritz Moszkowski. Mit den Händen deutet Pletnev an: Jetzt ist Schluss – dann wird er vom hingerissenen Publikum verabschiedet.

Das Györ Philharmonic Orchestra entstand in langer Musiktradition 1894 in der westungarischen Stadt, die es im Namen führt. Es hat ein breites Repertoire und einen breiten Einsatzbereich. Russische Literatur steht häufig auf dem Programm. Das EW-Konzert präsentiert auch im zweiten Teil Rachmaninoff, ist es doch als Hommage zum 80. Todestag des russischen Pianisten, Komponisten und Dirigenten gedacht.

Die Sinfonie Nr. 2 in e-Moll op. 27 komponierte Rachmaninow während seines Dresden-Aufenthalts. Alexej Kornienko gelingt es, sowohl den Schönklang fließen zu lassen wie auch das wellenartige Ansteigen dynamisch zu steigern. Er ist ein temperamentvoller Dirigent, dem man gerne zuschaut. Jede Instrumentengruppe wird präzise angesprochen, den Angaben zur Dynamik folgen die Musiker sehr bereitwillig. Hervorzuheben sind vor allem die Geigen mit ihrem wunderbaren Fugato, die kräftigen Blech- und Holzbläser sowie das lyrisch-romantische Klarinettensolo.

Ein Wunsch: Wieder mehr russische Literatur in die Konzertsäle!
Der Gesamtklang war gut, wenn auch sicher nicht an jedem Platz in der schönen Jesuitenkirche. Das aber ist ein altbekanntes Problem.

Edith Rabenstein


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