Landwirte sammeln Ideen
Gegen den bürokratischen Supergau und Psychoterror

19.03.2024 | Stand 19.03.2024, 17:45 Uhr
Simone Kuhnt

„Dauernd kommen neue Vorschriften dazu, aber weg kommt keine“, klagte Hans Geislberger (Mitte) aus Rotthalmünster und überreichte eine lange Liste an ILE-Managerin Dr. Ursula Diepolder (r.). Sie will die Kritikpunkte an das Ministerium weiterreichen. − Foto: Kuhnt

Das Blatt, das Hans Geislberger aus Rotthalmünster in den Händen hält, ist auf Vorder- und Rückseite eng beschrieben. Der Landwirt hat sich in der Corona-Zeit einmal die Mühe gemacht, die jährlich mehr werdenden Gesetze, Verordnungen und Auflagen aufzulisten, an die sich Landwirte in Deutschland halten müssen. Auf dem 7. Dialog-Forum Kommunen & Landwirtschaft, zu dem die ILE an Rott & Inn am Dienstag in die Höhere Landbauschule geladen hatte, überreichte Geislberger seine Liste an Moderatorin und ILE-Managerin Dr. Ursula Diepolder.

Einen „bürokratischen Supergau und Psychoterror für jeden Bauern“ nennt er die aktuellen Arbeitsbedingungen. Diepolder heftete die Liste an eine Pinnwand, an der schon zig weitere Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge aus Sicht der Landwirte zu lesen waren – quasi eine Rezepte-Sammlung für eine schlankere Linie in Sachen Bürokratie.

Regierung startet Entschlackungskur



Auch die Bayerische Staatsregierung hat das Übermaß an bürokratischem Aufwand in der Branche erkannt und bekundet, eine Art Entschlackungskur zu starten. Im Februar wurden 100.000 Landwirte per Online-Befragung dazu aufgerufen, Vorschläge für den Bürokratieabbau zu machen. Laut Josef Hopper wurden bis dato erst 20.000 Rückmeldungen gezählt, viele Landwirte hätten bei dem Thema schon resigniert, meint der BBV-Kreisobmann.

ILE-Managerin Ursula Diepolder und stellv. ILE-Vorsitzender Willi Lindner, Bürgermeister von Kößlarn, hatten sich mit ihrem Team den Fragebogen der Staatsregierung angesehen – und ein paar Grundsatzfragen vermisst.

Beklagt wird Kontrollwahn und Kriminalisierung der Landwirtschaft



Um weitergehende, sinnvolle Anregungen zu sammeln, machte die ILE die Entbürokratisierung der Landwirtschaft zum Thema des Dialog-Forums. Rund 30 Obmänner, Ortsbäuerinnen, Bio-Landwirte, Bürgermeister, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) und des Amts für Landwirtschaft, Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF Passau) nahmen daran teil. In Arbeitsgruppen brachten sie ihre Sorgen zum Ausdruck, beklagten unter anderem die von Regierungsseite unterstellte „Kriminalisierung der Landwirtschaft“, den „Kontrollwahn der Institutionen“ und die gestiegenen Preise für Maschinen, Betriebsmittel und Löhne bei gleichzeitigem Preisdruck durch den Handel. „Die hohe Politik hält ihre eigenen Versprechen nicht, egal von welcher Partei“, stellte ein Teilnehmer fest. Danach trug die Gruppe Ideen zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zusammen.

Landwirt Franz Leitl aus Kößlarn forderte „Außenschutz“ für deutsche Erzeugnisse: „Wir müssen aktuell auf dem Markt mit Nicht-EU-Saaten konkurrieren, die nicht zu unseren hohen Standards wirtschaften“, kritisierte er. Josef Hopper, BBV-Kreisobmann und 3. Bürgermeister von Ruhstorf, wünschte sich mehr Transparenz und regte deshalb eine Herkunftskennzeichnung für Außerhausversorgung und Lebensmitteleinzelhandel an. Er forderte zudem die Behörden dazu auf, die Datenbank für Herkunfts- und Informationssystem für Tiere (HIT) anwendungsfreundlicher zu gestalten und in Bezug auf Mehrfachnennungen zu vereinfachen. Die von der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in Europa festgelegten Standards für den „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand von Flächen“ (GLÖZ) sollten abgeschafft oder zumindest vereinfacht werden, findet Hopper.

Verlässliche Standards für Stallbau gefordert



Willi Lindner, Biobauer und Bürgermeister aus Kößlarn, setzte sich dafür ein, das für bestimmte Zeiten und Flächen bestehende Pflugverbot aufzuheben. Andreas Hofmann aus Kößlarn forderte verlässliche Regelungen, was das Tierwohl betrifft – und damit verlässliche Standards für den Stallbau. Josef Ortner, 2. Bürgermeister von Malching, warf die Frage in die Runde, warum Flächenprämien jedes Jahr wieder neu beantragt werden müssen, wenn die Flächen doch gleichbleiben. „Es würde reichen, dann einen neuen Antrag zu stellen, wenn sich etwas ändert“, schlug Ortner vor. Monika Anschütz und ihre Arbeitsgruppe traten dafür ein, die alljährlich verpflichtende Düngebedarfsplanung abzuschaffen – und ernteten breite Zustimmung. Ein Vorschlag mit potenzieller Sprengkraft aus der Runde dazu war, statt der Düngeverordnung eine Stickstoffsteuer einzuführen.

Generell wünschen sich die Landwirte von Politik und Bevölkerung mehr Vertrauen in ihre Ausbildung, ihre fachliche Kompetenz und ihr eigenverantwortliches unternehmerisches Handeln sowie mehr Planungssicherheit für Investitionen. CO2-Reduktion sollte von allen Brachen und Bürgern gefordert werden, war man sich einig. Bio-Bauer Josef Fischer aus Eholfing, zugleich Manager der Öko-Modellregion ILE an Rott & Inn, würde einen Bestandsschutz für Hofstellen begrüßen. Je mehr ehemalige Hofstellen in einem Bauerndorf an Auswärtige verkauft würden, desto weniger Verständnis gebe es im Dorf, wenn die letzten noch verbliebenen landwirtschaftlichen Betriebe einmal Lärm oder Gestank verursachen.

Moderatorin Dr. Ursula Diepolder notierte alle Vorschläge und versprach, diese an das Bayerische Landwirtschaftsministerium weiterzureichen. „Vielleicht können wir etwas bewirken“, hoffte Willi Lindner.

− kus