Ein Stück – Vier Kritiken
Weihnachtskomödie „Der Messias“ am Landestheater Niederbayern aus vier Perspektiven

29.11.2023 | Stand 29.11.2023, 16:28 Uhr

Jochen Decker (l.) und Joachim Vollrath spielen die Weihnachtsgeschichte. − Foto: Litvai

Üblicherweise ist bei einer Theaterpremiere für ein Medium nur ein Kritiker anwesend. Diesmal, beim Weihnachtsstück „Der Messias“ am Landestheater Niederbayern, war die Passauer Neue Presse mit vier Kritikerinnen und Kritikern vertreten: Drei Teilnehmerinnen am Feuilleton-Projekt der Kooperation zwischen PNP und Universität Passau, Leonie Ballauf, Magdalena Brandstetter und Elina Mensch, sowie Feuilleton-Leiter Raimund Meisenberger berichten.

Kritik 1 von Leonie Ballauf


Bellende Kissenkamele
Kult-Komödie „der Messias“ einmalig im Passauer Stadttheater

Eine himmlische Google-Suche, die Darstellung der heiligen Geburt durch zwei Männer, in Kamele umfunktionierte Kissen, die bellen können, und eine liebevolle Religionssatire. Das Theaterstück „Der Messias“ von Patrick Barlow handelt von den Versuchen zweier Schauspieler geschickt die Gegenwart mit den Geschehnissen von vor über 2000 Jahren zu verbinden – und das mit wenig Requisiten, aber viel Gefühl. Im Passauer Stadttheater führt Ulrich Lampen Regie.

Frau Timm (Paula-Maria Kirschner) klimpert eine schöne Weihnachtsmelodie auf dem Klavier, das Publikum wird langsam leiser. Plötzlich dröhnt ein weihnachtlicher Popsong lautstark aus allen Boxen und die geführte Improvisation beginnt.

Theodor Stolze-Stadelmann (Joachim Vollrath) und Bernhard (Jochen Decker) kommen aus dem Publikum auf die Bühne. Theodor in glitzerglänzendem Anzug und Bernhard einfach als Bernhard.

Zu zweit spielen sie alle Rollen der Weihnachtslegende und verleihen ihnen wunderbar menschliche Züge: Gott auf Google-Seuchensuche um eine strafende Maßnahme zu finden seine geliebten Menschen zu erziehen, die launische 14-jährige Maria und duselige Hirten, bei denen das alltägliche Schafezählen zu philosophischen Ausschweifungen über Engel und das Leben führt. Und Frau Timm ist für sie da und eine emotionale Konstante.

Das Publikum ist Teil der Inszenierung. Es darf unruhig murmeln, empört bei der Volkszählung rufen und ein Auserwählter darf die Klopfstäbe schlagen. Man könnte glatt vergessen, dass man in Passau und nicht in Theos Theater zu Gast ist.

Es ist ein „Stück-im-Stück“-Stück, das hin und her so turbulent zwischen Probensituation und Vorstellung springt, dass sich die Gäste eher zögerlich erheben, als Frau Timm zur Pause bimmelt.

Die zweite Hälfte ist ernster. Die anfänglich spaßige – und vor allem gemeinsame - Idee der Schauspieler entpuppt sich als Brutstätte biblischer Sünden. Zorn, Stolz, Gier und Hochmut bringen das Trio einer Trennung nahe. Stilistisch sind diese Entwicklungen von Anfang an fühlbar. Denn Theodor Stolze-Stadelmann darf nicht nur durch das Stück moderieren, sondern auch als einziger Vor- und Nachname tragen.

Doch es ist die Weihnachtszeit und Versöhnung kommt schnell. Sie spielen die Gabriel-Szene „Fürchte dich nicht“ noch mal – diesmal mit besonderer Botschaft: Vier kleine Worte, die unseren Stolz nehmen und Schwäche zulassen, sind ein Zeichen von Größe: „Es tut mir leid.“
Die beiden Männer liegen sich in den Armen und vermitteln dem Publikum den Gedanken der Versöhnung.

Der Schlusssatz des Hirten fällt: „Ich hätte so gerne einen Engel gesehen“ und das Publikum verlässt fröhlich und gerührt das Theater – um draußen ihren ganz persönlichen Engel zu sehen. Der war aus Schokolade und ein Geschenk des Theaters.

Kritik 2 von Magdalena Brandstetter


Google, was soll ich erschaffen?
Patrick Barlows Komödie „Der Messias“ im Stadttheater Passau

Dass sich Gott vor unserer Zeitrechnung im Internet inspiriert hat, um zu entscheiden, was er als Nächstes erschaffen möchte, erheiterte das Publikum im Stadttheater Passau in der Komödie „Der Messias“ von Patrick Barlow.

Da der Autor die biblische Erzählung mit modernen Elementen verwoben hat, gelingt es Joachim Vollrath und Jochen Decker, die Weihnachtslegende auf besondere Art und Weise auf die Bühne zu bringen – und das nur zu zweit. Sie spielen die zwei Schauspieler Theodor Stolze-Stadelmann und Bernhard, die oft nicht auf einen grünen Zweig kommen, aber dennoch zusammen die Weihnachtsgeschichte erzählen möchten. Sie schlüpfen dabei in zahlreiche Rollen. Flügel werden gegen Kopftuch getauscht, und so wird aus dem Erzengel Gabriel blitzschnell eine weinerliche Maria oder aus einem Hirten ein verpeilter, etwas schüchterner Josef. Bei jedem weiteren Kostümwechsel ertönen weihnachtliche Lieder wie „Feliz Navidad“ und „Rudolph the Red Nosed Reindeer“.

Der arrogante, von sich selbst überzeugte Theodor lässt Bernhard oft unsicher wirken. Bei Versuchen, sich gegen Theodor zu behaupten, entstehen unterhaltsame Momente. Unterstützt werden sie von Paula-Maria Kirschner als Frau Timm, einer Opernsängerin, die aber nur recht wenig zu Wort kommt. Ihre Rolle ist bis zum Ende undurchsichtig und scheint nicht nur das Publikum, sondern auch Theodor und Bernhard zu irritieren. Genervt von ihrem Gesang entfährt es Bernhard: „Hör auf, du Gejodelschnepfe!“

In einem amüsanten Stück im Stück ergänzen sie den Heiratsantrag von Josef an Maria, deren holprige Reise nach Betlehem und die Erscheinungen des Engel Gabriels mit witzigen Elementen wie einem Esel, der wie ein Parksensor beim Zurückschieben piepst oder einem Bairisch sprechenden Herodes.

Ein Highlight ist die Szene der Volkszählung, in der das Publikum miteinbezogen wird. Auf Befehl von Bernhard riefen ausgewählte Zuschauerinnen und Zuschauer Beschwerden Richtung Bühne. „Go home to Rome!“ und „Du denkst wohl, wir sind deine Schafe!“, schallt es durch das Theater. Die Dynamik zwischen den Schauspielern und dem Publikum verlieh der Vorstellung eine lebendige Atmosphäre und erwies sich als krönender Abschluss der ersten Hälfte des Stücks.

In der zweiten Hälfte geht die humorvolle Komponente verloren. Statt spaßigen Neckereien kommt es zu einem plötzlichen Streit zwischen Theodor und Bernhard, gefolgt von sofortiger Versöhnung. Die rasche Lösung des Konflikts wirkt überstürzt und lässt die Zuschauer ratlos zurück.

Dennoch ist „Der Messias“ ein unterhaltsames Theatererlebnis, das mit der Geburt eines Babys - dargestellt durch zwei Männer - das Publikum nicht nur einmal zum Lachen bringt.

Kritik 3 von Elina Mensch


Bei Wundern fragt man nicht nach
Patrick Barlows Komödie „Der Messias“ im Stadttheater Passau

„Go home nach Rom“, schallt es Herodes in Patrick Barlows Komödie „Der Messias“ aus dem Zuschauerraum des Passauer Stadttheaters entgegen. Das Publikum ist fester Bestandteil der Inszenierung und wird von den beiden Schauspielern Joachim Vollrath und Jochen Decker im Verlauf des Stücks immer wieder ins Geschehen eingebunden. Die Dynamik zwischen den Schauspielern ist ebenso unterhaltsam wie die facettenreichen Interpretationen ihrer zahlreichen Rollen.

Der arrogante, von seinem Talent sehr überzeugte Theodor Stolze-Stadelmann glänzt im Anzug mit glitzernden Sternen. Mit seinem unscheinbaren Kollegen Bernhard adaptiert er die Weihnachtsgeschichte, in der man die Weisen aus dem Morgenland ebenso vergeblich sucht wie andächtig vor der Krippe betende Hirten. Vielen anderen bekannten Gesichtern aus der Bibel begegnet man in neuem Gewand. Heraus kommt ein Stück im Stück, ein amüsant aufbereitetes Chaos von Theaterprobe und Ausschnitten aus dem Lukasevangelium.

Unterstützt von Paula-Maria Kirschner als Opernsängerin Frau Timm bringt das ungleiche Duo mit pantomimischen Einlagen und viel Humor Marias und Josefs erstes Kennenlernen, ihr unharmonisches Eheleben und die Reise nach Betlehem auf die Bühne. Musikalisch untermalt wird das Schauspiel mit Chorgesang vom Band und einem weihnachtlichen Mash-up aus „All I Want For Christmas“, „Rudolph the Red Nosed Reindeer“ und „Driving Home for Christmas“.

Vor minimalistischem Bühnenbild aus Lichterketten und drei Torsilhouetten streifen Theo und Bernhard sich immer wieder neue Kostüme über. So wird aus Gott mit weißem Bart, dem auf einer Wolke sitzend die Notlage der Welt erklärt wird, im Handumdrehen ein unbeholfener Zimmermann Josef in Lederschürze . Die Flügel abgelegt, ein blaues Tuch umgebunden und der Erzengel Gabriel verwandelt sich in eine immerzu weinerliche Maria.

Während das eigentliche Vorhaben, die Inszenierung der Weihnachtsgeschichte, in den Hintergrund tritt, avanciert die Theaterprobe inklusive heftiger Meinungsverschiedenheiten zwischen den Schauspielern zum zentralen Schauplatz. Wie aus dem Nichts wird aus der anfänglichen Neckerei von Theodor und Bernhard ein handfester Streit über die Ausgestaltung einzelner Szenen und darüber, wer von beiden generell den Ton angibt.

Nicht zu Ende ausgetragen bekommt die Auseinandersetzung etwas Kraftloses und dem Schauspiel kommt in der zweiten Hälfte allmählich etwas die Leichtigkeit und der Witz abhanden. Leider bekommt die Rolle der Frau Timm nie genug Raum und Dialog, um zu einem unverzichtbaren Teil der Handlung zu werden. Sie wirkt deplatziert, weil sie nicht als Opernsängerin auftritt, sondern lediglich Requisiten anreicht.

Dennoch ist „Der Messias“ ein unterhaltsamer Ritt durch eine biblische Geschichte, angesiedelt irgendwo zwischen altbekannter Erzählung und modernem Alltag, unkonventionell mit bayrischem Herodes, Esel mit piepender Einparkhilfe und einem Ende in einem unerwarteten Moment.

Kritik 4 von Raimund Meisenberger


„Es ist ein Wunder - frag jetzt bloß nicht nach!“

Eine Zumutung ist das ja schon. Du bist verlobt. Mit einer Jungfrau. Plötzlich ist ein Kind unterwegs, und es ist nicht von dir. „Ich bin gebene-was? Ich bin erst 14!“, erbost sich Maria vor dem Engel des Herrn bei der Verkündigung. Und dieser gebietet Josef: „Es ist ein Wunder, frag jetzt bloß nicht nach!“ Und das Publikum schüttelt sich vor Lachen in Patrick Barlows britischer Weihnachtskomödie von 1983 – ein freches Krippenspiel für Erwachsene, dabei so geschmackvoll, dass auch der fromme Katholik mitlachen darf.

Wie immer gibt es nur eine Passauer Vorstellung bei den sogenannten Studioproduktionen des Landestheaters Niederbayern. Ob „Der Messias“ nicht doch Nachfrage für zwei Abende generiert hätte? Das Publikum am Sonntagabend im nahezu ausverkauften Stadttheater ist jedenfalls hingerissen. Und schwer beschäftigt: Es darf Klopfgeräusche fabrizieren, wenn Josef Maria besucht, darf später zusammen durch die Wehen atmen und den jüdischen Zorn gegen die römischen Besatzer hinausbrüllen. Immer, wenn das Wort Volkszählung fällt, ätzt der ganze Saal: „Du denkst wohl, wir sind deine Schafe!“ Keiner ziert sich, es herrscht kollektive Lust auf ein gemeinsames Zelebrieren von Theater. Herrlich.

Die Story geht so: Zwei Schauspieler – Chef Theodor Stolze-Stadelmann (Joachim Vollrath) und sein Assistent Bernhard (Jochen Decker) spielen die Weihnachtsgeschichte als Stück im Stück vor drei orientalischen Toren (Ausstattung: Aylin Kaip) mit einfachsten Mitteln: Federflügel dran und fertig ist der Engel, Federbart dran, fertig ist Gottvater, Tuch um den Kopf und vor uns steht Maria, und der Leiterwagen wird zum Esel – wenn er in der Sackgasse rückwärts gehen muss, macht er „beep beep beep“.

Das von Regisseur Ulrich Lampen inszenierte und von Dramaturgin Dana Dessau vorgeschlagene Stück gewinnt seinen Witz durch den famosen schnoddrigen Text, durch die gewitzte Regie und das lustvolle Spiel der drei Darsteller. Paula-Maria Kirschner hat die undankbare Rolle der Frau Timm; als „unbegabte Opernsängerin“ assistiert sie mit Musik, Gesang und Requisite, Joachim Vollrath spielt den selbstherrlichen Theo im schwarz-goldenen Anzug, Jochen Decker ist der Trumpf der Inszenierung als Bernhard. Er drückt „all seine Erfahrungen der letzten drei Monate in einem choreografischen Moment aus“ und zuckt wie irr durch sein „Körperesperanto“, stellt pantomimisch dar, was sein Chef ins Mikrofon erzählt und spielt eine Gottesmutter Maria mit Monty-Python-Qualitäten und Säuselfistelstimmchen: „Josef, du hast so schöne traurige Kuhaugen.“ Fürwahr ein himmlisches Theatervergnügen, gerne mehr davon an Weihnachten 2024.

Raimund Meisenberger


Keine weiteren Vorstellungen in Passau geplant. Noch zu sehen in Landshut am 26. und 30.11., am 14.12., 11. und 18.1., in Straubing
am 30.1., Info und Karten auf
landestheater-niederbayern.de