Jugendpfleger erklärt
Gewaltdelikte von Jugendlichen nehmen leicht zu: Das steckt laut Experten dahinter

10.06.2023 | Stand 14.09.2023, 23:35 Uhr

Reibereien unter Jugendlichen sind normal, wenn sie in Gewalt ausarten, können sie schwerwiegende psychische und physische Folgen haben. −Foto: dpa

Dass sich Jugendliche nicht immer verstehen, ist nichts Neues. Dass es dabei unter jungen Männern durchaus zu Streitereien um ein Mädchen kommen kann, ist soweit auch normal. Dass daraus Drohungen und gar Schläge resultieren, ist allerdings alles andere als gewöhnlich. Einem 14-Jährigen aus Passau ist eben das passiert.



Wie Jugendliche mit so einer Situation umgehen können und welche Folgen diese Gewalt haben kann, erklären Jugendpfleger Roland Meier und Psychologin Monika Schneebauer.

Wie belastend das ist, erzählt die alleinerziehende Mutter des Buben der Heimatzeitung: „Ich lasse ihn eine Zeit lang nicht mehr alleine weggehen. Das konnte ich so nicht hinnehmen. Man muss zeigen, dass da Grenzen überschritten wurden.“ Der Konflikt zwischen dem 14-Jährigen und einem 15-Jährigen entstand aus mehreren Versuchen des 14-Jährigen, die Freundin des anderen zu einem Treffen einzuladen.

Die Auseinandersetzung spielte sich zunächst über die Handys der beiden Buben ab. Beleidigungen und Androhungen von Schlägen folgten. Damit nicht genug: Bei diversen Begegnungen in der Stadt wurde der 14-Jährige mehrfach vom 15-Jährigen und dessen Freunden bedroht. Leichte Schläge auf die Brust sollten wohl die Botschaft verdeutlichen.

Mobbing in der digitalen Welt ein großes Thema



Roland Meier ist Kommunaler Jugendpfleger und Geschäftsführer beim Kreisjugendring Passau. In der Jugendarbeit komme eine Situation wie die des 14-Jährigen nicht so häufig vor. „Sollte sich ein Jugendlicher an einen unserer Jugendtreffmitarbeiter wenden, gilt es erstmal dieses Anliegen ernst zu nehmen – dies sollten auch Eltern tun, oder Jugendtrainer, Jugendgruppenleiter – und die Situation zu klären. Jedenfalls ist dafür zu sorgen, dass der Jugendliche mit dem Problem nicht alleine gelassen wird“, erklärt Meier das Vorgehen der Jugendpfleger in so einem Fall. Verkürzt lasse sich das Handeln in so einem Fall in vier Schritten darstellen: „Ernst nehmen, Situation klären, Hilfe-Systeme aufzeigen, Handeln in Abstimmung mit dem betroffenen Jugendlichen.“ Gerade in der digitalen Lebenswelt der Jugendlichen sei Mobbing – was zu Drohungen und gar Tätlichkeiten ausarten kann – ein großes Thema. Um dagegen vorzugehen, bietet der Kreisjugendring Präventionsprogramme, die von Schulklassen oder auch Jugendgruppen beansprucht werden können.

Mutter erschüttert über Gewaltbereitschaft



Die besorgte Mutter hat sowohl mit einer Lehrerin, einer Sozialmitarbeiterin und der Polizei gesprochen. Die Polizei hat laut Aussage der Mutter mit dem anderen Jungen gesprochen und ihn ermahnt, dass dieses Verhalten beim nächsten Mal zu einer Strafanzeige führen würde. Die alleinerziehende Mutter sei erschüttert über die Gewaltbereitschaft der Jugend. „Es ist dringend nötig, diesbezüglich zu sensibilisieren und auf die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen nicht nur generell, sondern in Passau überhaupt aufmerksam zu machen“, findet die Alleinerziehende.

Gewalt unter Jugendlichen beeinflusst nicht nur die Psyche der Betroffenen, sondern auch deren Entwicklung. „Jugendliche, die Gewalt – psychische, körperliche oder sexuelle – erleben, sind in ihrer Entwicklung gefährdet. Auch kann eine Spirale der Gewalt entstehen, indem die erlebte Gewalt wieder an andere weitergegeben wird“, erklärt Monika Schneebauer, psychologische Psychotherapeutin und Leitende Psychologin der Tagesklinik der Kinder- und Jugendpsychiatrie Passau. Auch sie appelliert: „Wichtig ist, dass Jugendliche nicht mit ihrem Problem alleine bleiben.“

Dass Gewaltdelikte von Jugendlichen leicht zunehmen, bestätigt auf Nachfrage auch die Passauer Polizei: „Im Jahr 2022 wurden im Bereich der Stadt Passau insgesamt 29 Fälle von unter 21-Jährigen der Polizeiinspektion Passau bekannt und zur Anzeige gebracht. Im Vergleich zum Vorjahr ist eine leichte Steigerung in diesem Bereich erkennbar.“

Gewaltbereitschaft hat mehrere Auslöser



In ganz Niederbayern wurden bei den Straftaten ohne ausländerrechtliche Verstöße insgesamt 22832 Tatverdächtige im Polizeibericht erfasst. Das waren 2006 mehr als noch im Vorjahr. 828 Tatverdächtige waren dabei unter 14, 1789 zwischen 14 und 18 und 1754 zwischen 18 und 21 Jahre alt. Ein „überdurchschnittlicher Anteil von straffälligen Kindern und Jugendlichen“ ist laut Polizeibericht insbesondere in den Bereichen der Pornografiedelikte, der einfachen Körperverletzung sowie des Ladendiebstahls festzustellen.

Nicht nur die Zahl der Jugendlichen Täter stieg an, auch die Zahl der Opfer unter 21 lag 2022 über der Zahl vom Vorjahr. Von niederbayernweit 10905 Opfern, waren 810 (2021: 593) unter 14, 971 (2021: 641) unter 18 und 864 (2021: 669) unter 21 Jahre alt.

Dass Jugendliche zunehmend gewaltbereiter werden, hat laut Monika Schneeberger verschiedene Auslöser: „Generell spielen im Rahmen der Aggressionsentwicklung bei Menschen biologische, psychische und soziale Einflüsse eine Rolle. In meiner klinischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mache ich die Erfahrung, dass als begünstigende Faktoren zur Gewaltbereitschaft vor allem selbst erlebte Gewalt, Schwierigkeiten in der Emotionsregulation, das unzureichende Lernen von alternativen Bewältigungsstrategien und Sprach- und Kommunikationsprobleme ausgemacht werden können.“