Essay zum Zustand des Kabaretts
Die neuen Opfer der Satire: Jetzt wird auch nach unten kritisiert

21.06.2023 | Stand 28.12.2023, 16:34 Uhr |

Satiriker haben immer gegen den Status quo gekämpft, heute gilt plötzlich der Wandel als Gegner: Ein Essay zum Zustand des Kabaretts.



Satiriker haben sich früher gegen die Macht gestellt, heute tritt der konservative Ministerpräsident Markus Söder mitsamt seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger bei der Demonstration der Kabarettistin Monika Gruber in Erding auf, um zusammen gegen die derzeit rot-grün-gelbe Bundesregierung zu wettern. „Wo ist denn das Kabarett hingeraten?“, fragt rhetorisch der Gründer des Passauer Scharfrichterhauses, Walter Landshuter, bei der Verleihung des 38. Scharfrichterbeils und gibt selbst die Antwort. Zu den reichhaltigen Formen des Kabaretts habe sich eine neue hinzugesellt: das „populistische Kabarett“. Zeit für einen Blick auf den Zustand der Satire.

1. Spott als Auflehnen gegen die Verhältnisse

1.1 Die tradierte Struktur der Satire

Als die jungfräuliche Gottesmutter Maria zum zweiten Mal schwanger wurde, war der Spaß vorbei 1975 in Passau. Gottvater komplett verbraucht, der Heilige Geist im Alkoholdelirium, Jesus bekifft - diese „Himmelskonferenz“ bescherte den Kabarettisten Sigi Zimmerschied und Bruno Jonas, damals 22 und 23 Jahre alt, ein Ermittlungsverfahren wegen Gotteslästerung. Auch wenn das Verfahren am Ende eingestellt wurde, so zeigt der Fall doch: Hier hatte die Satire eine weithin anerkannte Ordnung angegriffen. Glaubt man den Zeitzeugen, herrschte in der niederbayerischen Stadt damals eine Atmosphäre des Autoritären. Die jungen Kabarettisten identifizierten als prägende Mächte die sprichwörtliche „Dreifaltigkeit“ aus Kirche, CSU und Passauer Neue Presse. Gegen sie richtete sich alle künstlerische Energie, „die da oben“ waren eindeutig identifiziert und wurden bekämpft nach allen Regeln des Spotts.

In der Rückschau aus dem Jahr 2023 ist dies eine Episode aus einer klassisch gewordenen Epoche des Kabaretts: Der Satiriker im Kampf gegen die Mächtigen und ihre aufoktroyierten Verhältnisse. Da dem Satiriker keinerlei Machtmittel zur Verfügung stehen, sind seine Waffen der Humor und der Spott. Mit ihrer Hilfe verleiht der Ohnmächtige seiner Ablehnung der als unerträglich empfundenen herrschenden Zustände und Menschen Ausdruck. Mit etwas Glück generiert der Spott weitere Verbündete. Und mit noch mehr Glück fühlt sich der Verspottete so angegriffen, dass er eben nicht mehr stoisch bleibt wie die Eiche, an dem sich die Sau reibt. Bläst die Eiche aber zur Jagd auf die Sau, so macht sie sich unweigerlich lächerlich - und die Satire hat doppelt gewonnen. 1975 wurden so zwei Burschen aus der Provinz über Geschichten im „Spiegel“ bundesweit berühmt und starteten zwei große Karrieren.

Diese Struktur solcher Satire hatte schon rund 200 Jahre davor Friedrich Schiller 1795 in seinem Text „Über naive und sentimentalische Dichtung“ beschrieben: „Die Wirklichkeit ist also hier ein nothwendiges Objekt der Abneigung, aber, worauf hier alles ankömmt, diese Abneigung selbst muß wieder nothwendig aus dem entgegenstehenden Ideal entspringen.“ Auf gut Deutsch: Der Satiriker leidet unter dem, was ist, und kritisiert es, weil es idealerweise anders sein sollte. Darum ist die interessanteste Frage bei jeder Satire: Was kritisiert der Satiriker? Und welches Ideal will er stattdessen verwirklicht sehen?

Zimmerschied, Jonas und jeder links gesonnene Kabarettist der 70er in Deutschland hatte darauf eine klare Antwort: Freiheit von den Regeln und Moralvorstellungen der Mächtigen in Kirche, Staat und Presse.

1.2 Drei mögliche Blickrichtungen der Satire

Ein ernstzunehmendes Problem der aktuellen Generation der Berufssatiriker besteht darin, dass in säkularen Gesellschaften die Unterwerfung unter die Religion passé, jede Merkelparodie längst zu Tode gespielt und jedes Tabu längst gebrochen ist. Mit Kabarett einen Skandal zu verursachen, ist schier undenkbar. Mit welchen Worten sollte man sich gegen welche Macht richten, damit die Gesellschaft annähernd bebt wie 1975 in Passau? Entweder die Mächte haben ihren Schrecken verloren, oder sie haben dazugelernt und lassen die Sau sich reiben.

Der Blick des Satirikers nach oben zu den Mächtigen hat seine Wirkungslosigkeit längst offenbart. Es macht auf Dauer keinen Spaß, einem ans Schienbein zu treten, wenn der nicht schreit. Es mag mit ein Grund sein, warum politisches Kabarett so unpopulär geworden ist.

Der Blick des Satirikers in die Mitte der Gesellschaft eröffnet zwei mögliche künstlerische Strategien.

Die erste besteht darin, seinesgleichen den berühmten Spiegel vorzuhalten. Was inhaltlich meist belanglos bleibt oder den Künstler unbeliebt und einsam macht (Ausnahmen wie Loriot und Gerhard Polt bestätigen mit ihrer literarischen und ironischen Qualität die Regel).

Die zweite Option besteht in der Verbrüderung mit seinesgleichen. Man schafft Humor durch identifikatorische Komplizenschaft. Jedes „Kennste?“ mit Fragezeichen trägt das „Kennste!!“ mit doppeltem Ausrufezeichen schon in sich. In dieser Kategorie bewegt sich das Gros der Comedy, die nicht den geringsten Anspruch auf gesellschaftliche Kritik stellt, weil Amüsement als Funktion vollauf genügt. Wettbewerbe wie das Passauer Scharfrichterbeil leiden spürbar darunter, ihnen kommen sukzessive die gesellschaftlich relevanten Kandidaten abhanden, die Auszeichnung geht vermehrt an Spaßmacher und Musiker. Jeder Preis ist ein Spiegel des Marktes der Kandidaten.

Wenn aber der Blick nach oben den Künstler frustriert und der Blick nach vorne geradewegs und ausweglos in den Mainstream führt, dann könnten ganz mutige Satiriker auf die Idee verfallen, zur Abwechslung einmal nach unten zu blicken, ob sich dort nicht ein neuer Gegenstand des Spotts findet.

Leider findet er sich.

Wer über einen längeren Zeitraum Kabarettprogramme verfolgt, kann feststellen, dass der beschriebene klassisch satirische Spott im Verbund mit dem Entwurf eines alternativen Ideals häufig einem vermeintlich gesellschaftlich zweckfreien Sichaufregen gewichen sind. Der Satiriker will oft überhaupt nicht mehr die Welt verändern, er will in erster Linie einmal Dampf ablassen.

Zentral dabei ist die Frage: Warum ärgert sich der sich aufregende Satiriker so sehr? Wo noch vor wenigen Jahren Kabarettisten wie Urban Priol im heiligen Zorn etwa gegen die von ihnen so empfundene Diskurs- und damit Demokratiefeindlichkeit der Merkel-Kanzlerschaft gewütet haben, da tritt heute eine andere Sphäre in den Fokus:

Gewisse Satiriker ärgern sich jetzt vorrangig darüber, dass andere sie in ihrem Selbstverständnis, in ihren Überzeugungen und konkret in ihrer Lebensweise herauszufordern. Kurz: Sie fühlen sich bedroht in ihrer Art, zu denken, zu sprechen und den Alltag zu gestalten. Interessanterweise hat diese empfundene Bedrohung ihren Ursprung nicht mehr bei „denen da oben“, sondern ganz im Gegenteil bei „denen da unten“. Denn während Regierungen hinsichtlich verschiedener Lebensbereiche von Ernährungsgewohnheiten bis zur Automobilität primär den Status quo pflegen, setzen gesellschaftliche Bewegungen neue Ideale und drängen auf Veränderungen.

2. Spott zur Verteidigung der Verhältnisse

2.1 Veganer, Laktose & Schildkrötensuppe

Die Verhältnisse kehren sich regelrecht um: Während wachsende Graswurzelbewegungen zum Teil die Alternativen aufzeigende Rolle von den Satirikern übernommen haben, erheben manche Satiriker den Status quo zum neuen Ideal. Die Wirklichkeit, um mit Schiller zu reden, ist hier plötzlich nicht mehr notwendiges Objekt der Abneigung, abgelehnt werden vielmehr Bestrebungen, die als gegeben, angenehm und angemessen verstandene Wirklichkeit verändern zu wollen. Die Folge: Die Abweichung vom als Ideal gesetzten Status quo wird nun zum Ziel satirischen Spotts.

Satiriker, die - bewusst oder instinktiv - mit dieser Strategie arbeiten, können sich des Zuspruchs eines Mehrheitspublikums sicher sein. Schließlich geht es diesem genau so: Man möchte vor allem gefälligst seine Ruhe haben. „Leben und leben lassen“ heißt das dann gern, und bedeutet, dass vor allem das eigene Leben bleibt, wie es ist.

Als Kabarettbesucher kann man erhellende Strichlisten führen, worüber sich auf der Bühne am meisten und liebsten aufgeregt wird. Ganz weit oben in diesen Erregungscharts steht die Ernährung. Wenig überraschend, schließlich ist dies ein Themenbereich, der jedermann bekannt und im Wortsinn „am eigenen Leib“ spürbar ist.

Natürlich wird sich dabei bevorzugt aufgeregt über die Ernährung der anderen. Wenn sich beispielsweise Mitglieder einer junger Generation in nennenswerter Zahl in Richtung vegetarische oder vegane Ernährung orientieren - sei es aus Tierliebe, aus ethischen oder aus Gründen des Klimaschutzes - dann fordert das zumindest implizit Teile jener Generation heraus, welche in der verlässlichen Kantinen-Currywurst und in den Huldigungen an die Leberkässemmel in der bayrischen Radiocomedy über Jahre große Geborgenheit gefunden hatte.

Der Vegetarier, je nach Erhebung eine Minderheit von bis zu zehn Prozent der Bevölkerung, ist 2023 ein gängiges Feindbild im Bühnen- und TV-Humor. Seine Steigerung, der Veganer – unter zwei Prozent der Bevölkerung –, ist entsprechend Ziel gesteigerter Abneigung. Monika Gruber tituliert Veganer als verachtenswertes Gesindel, auf gut Bairisch: „Gschwerl“. Womit sich zwei Fragen stellen: Was genau ist das Verachtenswerte an veganer Ernährung? Und warum garantiert der Spott darüber Lachsalven?

Die plausibelste Antwort: Die Abweichung vom eigenen und mehrheitlichen Status quo wird als Bedrohung empfunden, das Ziel, die Lebensart zu ändern, wird maximal abgewertet – um es sich sich als „abartig“ vom eigenen Leib zu halten.

Diese Struktur der Ablehnung von Herausforderungen an den Status quo existiert in einer präventiven Spielart, und ebenso in einer nostalgisch-reaktionären. Die deutsche Firma Lacroix in Frankfurt war nach dem Zweiten Weltkrieg der weltgrößte Hersteller von Schildkrötensuppe in Dosen, seit 1988 schützt das Washingtoner Artenschutzabkommen die Suppenschildkröte – doch noch ganze 30 Jahre später betrauert der Radiomoderator und Comedian Matthias Matuschik seinen schmerzhaft empfundenen Verlust der Schildkrötensuppe als Bühnenereignis. Die Verteidigung des Status quo endet für den beruflichen Spaßmacher nicht einmal dort, wo er seit Jahrzehnten überwunden ist.

Ein Satiriker, der das Ernährungsthema und zugleich das Abwehr-Phänomen aufgreift und auf einer Metaebene ad absurdum führt, ist Gerhard Polt. Neben dem Veganer ist die Laktoseintoleranz als x-fach reproduziertes „Die-Welt-von-heute“-Stereotyp präsent in der Comedy. Polt sagt dazu mit der Stimme einer von der Gegenwart überforderten alten Frau, der Nachbarsbub sei intolerant! „Also gegen den Laktose. Wo kommt denn der her? Den hat’s ja früher nicht gegeben!“ Polt formuliert damit deutlich jene Angst vor dem Fremden und vor der Veränderung – und setzt zugleich eine Pointe gegen so viele Ernährungswitze, die sich ihrer Motivation vermutlich gar nicht bewusst sind.

2.2 Greta, Fridays for Future und der Diesel

Seit 2018 drängt sich dem Status-quo-Satiriker ein neues Spott-Objekt geradezu auf: Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Bewegung. Auch hier richtet sich der Spott nach unten. Denn auch wenn wissenschaftliche Institutionen bis zum Weltklimarat eine Änderung des globalen Wirtschaftens fordern: Es regiert der Status quo.

So machtvoll die junge Umweltbewegung also oft auch dargestellt wird, und so sehr Dieter Nuhr von Greta Thunberg behauptet: „Ich habe mir die mächtigste Frau der Welt ausgesucht als Opfer“ – keine einzige der Forderungen von Fridays-for-Future ist umgesetzt. Was die konkreten politischen Entscheidungen anbelangt, ist diese Bewegung bis heute erstaunlich irrelevant und machtlos.

Für besagte Art von Satirikern genügt aber die lediglich empfundene Infragestellung der Lebensweise. Dieter Nuhr benennt offen seine Beweggründe: „Die Forderungen der Bewegung laufen darauf hinaus, dass wir die Welthandelsordnung auflösen.“ Ob dem so ist, sei dahingestellt. Bemerkenswert ist die Schärfe der Waffen, mit denen im Anschluss gekämpft wird: „Wenn das passiert, dann haben wir nicht Millionen, sondern Milliarden Tote. Das läuft auch auf einen dritten Weltkrieg hinaus, wenn das passieren würde“, sagt Dieter Nuhr.

Schwere Geschütze von einem, der an anderer Stelle bereits als Fälschung identifizierte Stickstoffdioxid-Werte von Adventskranzkerzen zitiert, um zu belegen, wie unbedenklich in Wahrheit doch Dieselmotoren sind. Monika Gruber spricht der konservativen Mehrheit aus der Seele, wenn sie sagt, „Greta nervt“, Matthias Matuschke spricht vom lautlosen Elektroauto als „tödliche Waffe“, und Bruno Jonas malt den Horror einer „Ökodiktatur“ an die Wand. Wegen jugendlicher Aktivisten, die demonstrieren, Konferenzen besuchen, Interviews geben – und inhaltlich von der Politik so gelobt wie ignoriert werden. Und das sollen nun angemessene Gegner professioneller Satire sein.

2.3 Schwarze, Juden, Polen, Frauen

Profis im Humorgewerbe haben einen Ruf zu verlieren, sie müssen nach allgemeiner Ansicht bitte recht „scharfzüngig“, „mutig“, „schonungslos“ sein und „kein Blatt vor den Mund nehmen“. Dieses Selbstverständnis und diese öffentliche Erwartungshaltung führen dazu, dass auf Bühnen mit Wörtern nur so um sich geworfen wird, die im Alltag aus gutem Grund allmählich aussterben.

Der Begriff „politisch korrekt“ hat nicht zuletzt durch eine seltsame und hoffentlich unbewusste Allianz von AfD und Satirikern einen miserablen Ruf bekommen. Hier wie dort wird gern getan, als ginge es darum, Sprache zu verbieten, was hier wie dort zuverlässig den kindlichen „Das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen-Trotz“ weckt.

Großzügig ignoriert wird das humane Anliegen politisch korrekter Sprache: keinen Menschen durch Sprache zu stigmatisieren, zu typisieren und zu verletzen. Was ja durchaus kein ganz schlechtes Anliegen ist. Wer einem Menschen mit dunkler Hautfarbe nah ist, versteht, warum die Süßigkeit heute Schokokuss heißt. Wer Freunde in Polen hat, weiß, dass der Autowitz unter keinen Umständen mehr witzig ist. Und wer mich persönlich fragt: Juden haben es verdient, dass die nächsten 2000 Jahre kein Witz mehr über sie gemacht wird, der mit rassistischen Zuschreibungen arbeitet.

Die Satire aber, mutig und schonungslos, wie sie nun mal ist, darf, was privat oft schon überwunden war. Lisa Eckhart spricht, wie sehr viele Kollegen, von Schwarzen in der alten Skavenhalter-Diktion und propagiert, politisch korrekte Sprache lindere nur „das schlechte Gewissen einer privilegierten weißen Kaste, aber nicht die erschwerten Lebensbedingungen jener, die es wahrlich betrifft“.

Dass eine Beleidigung weniger gleich die „Lebensbedingungen“ verbessern soll, ist ein abstrus und absichtlich hoch konstruierter Anspruch. Aber eine Beleidigung weniger wäre erst mal eine Beleidigung weniger. Rhetorisch mit hohem Stil verbrämt, werden in Lisa Eckharts Satirewelt Juden als lüstern und geldgeil hingestellt wie zu besten Nazizeiten. Afrikaner tragen bei ihr ausnahmslos unvorstellbare Gemächte, und die Deutschen leiden kollektiv unter einem Hitlerkomplex. All das kann man mit Fug und Recht für Rassismus halten und „geschmacklos und kritikwürdig“ schelten wie der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung.

Oder man erkennt darin gerade im Gegenteil die satirische Demaskierung rassistischer Klischees, wie es mit besonders wohlwollend liberalem Blick die Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“ tut. Die Frage ist, was nach der angeblichen Demaskierung bleibt: im Zweifel doch ein zu Entertainment-Zwecken erneut tradiertes rassistisches Klischee. Und der Erkenntnisgewinn besteht noch mal genau worin?

Ein interessanter Sonderfall ist, wenn etwa der Münchner Kabarettist Simon Pearce, Sohn eines Nigerianers und einer Deutschen, im gepflegten Bairisch sagt: „Wie man vielleicht schon am Dialekt hören kann, bin ich ein Neger.“ Bevor man dies als ironische Großtat verklärt, sollte man sich klar machen: Pearce weiß, dass dieser Gag besonders gut funktioniert vor einem weißen Publikum, das sich in diesem Fall hemmungslos über den Tabubruch freuen darf. Interessant wäre zu testen, als wie gelungen und geistreich dieselbe Pointe von einem schwarzen Publikum aufgefasst würde.

Gegenstand der Satire sind in diesem Fall gesellschaftliche Minderheiten. Und das Anliegen, diesen Minderheiten zumindest in der Sprache besonderen Schutz zu gewähren, wird unter Ablehnung des politisch Korrekten verweigert und zunichte gemacht. Sprachlich bewusst missgestaltete Kreationen sollen das politisch Korrekte der Lächerlichkeit preisgegeben: Der „Maximalpigmentierte“ ist inzwischen ebenso klassisches Bühnenrepertoire wie das „Sinti- und Romaschnitzel“. Übrigens: Nein, es ist nicht verboten, Zigeunerschnitzel zu sagen. Wer’s nicht glaubt, kann das Wort einfach mal googeln.

Das Bedürfnis nach dem Erhalt des Status quo äußert sich nicht nur hinsichtlich der Ethnien. Jede Art von Abweichung von einer tradierten Norm eignet sich bei bestimmten Bühnenkünstlern mittlerweile als Gegenstand des Spotts. Monika Gruber ist besonders gut darin, gesellschaftliche Entwicklungen zum Schutz von Minderheiten als eine Art Degeneration eines gewohnten (bayerischen) Norm-Zustands darzustellen: Sie findet es bedauerlich, dass der Krampus keine Kinder mehr in den Sack stecken soll. Sie nervt, dass Menschen sich bei psychischen Problemen ohne Scham professionelle Hilfe suchen. Sie nennt es „MeToo-Hysterie“, wenn Frauen sich nicht mehr bequatschen und begrapschen lassen wollen, und die Sache mit dem dritten Geschlecht mag sie auch nicht.

Die Norm ist also heilig, egal wie sinnvoll und heilsam das Abweichende auch sein mag. Was auch immer eine Gesellschaft versucht, um Gruppen zu schützen und ihre Stellung zu verbessern, genau das wird angegriffen. Kabarettist Claus von Wagner hat in der Rolle des „Alten weißen Mannes“ den Kern dieser Strategie prägnant und treffend formuliert:

„Mir geht es nur darum, die Gefühle von Minderheiten weiter ignorieren zu dürfen!“

3. Satiriker als Opfer und Freiheitskämpfer

Wer austeilt, muss auch einstecken können, sagt eine alte Boxerwahrheit. Teile der Berufssatire sind dabei, die Maxime umzuschreiben: Ich teile aus, du steckst ein, das ist Kunstfreiheit. Wenn du austeilst und ich einstecken muss, dann fahre ich alles auf, um deine Kritik als Unrecht für mich und als Gefahr fürs Gemeinwohl hinzustellen.

Satiriker, die sich auf die unter Kapitel 2. beschriebenen Strategien verlegt haben, müssen mit Widerspruch rechnen, nicht nur von den Objekten ihres Spotts, sondern auch von Menschen, denen der Spott nach unten vom Grundgedanken her missfällt. Und so schwer vorstellbar es ist, dass politisch-satirische Beißer wie Georg Schramm oder Sigi Zimmerschied sich je in einer Talkshow oder in selbstmitleidigen Youtube-Videos zum Opfer erklärt hätten, so gängig ist dies heute.

Meinungsfreiheit umfasst nicht das Recht, für meine Meinung nicht kritisiert zu werden.

Und Meinungsfreiheit umfasst auch nicht das Recht, überall aufzutreten, wo ich möchte.

Das zu akzeptieren fällt manchem schwer. „Egal, was ich sage, sobald es im Netz öffentlich wird, gibt es organisierten Hass“, mutmaßt Dieter Nuhr. Da er sich „politisch kritisch gegenüber Linken und Rechten“ äußere, bekäme er negative Reaktionen durch „linke wie rechte Fanatiker.“ Die Shitstorms gegen ihn seien eine „humane Variante des Pogroms“. Deutlicher zum Opfer machen kann man sich nicht.

Monika Gruber betrachtet sich als „konservativ-liberal“, fühlt sich aber „an den rechten Rand“ gestellt von der „Diktatur der Toleranz“.

Lisa Fitz führt aus: „Übrigens hat den Begriff ,Verschwörungstheorie’ die CIA erfunden in der Zeit des Kennedy-Mordes, weil ihr die Zweifler an der offiziellen Einzeltäter-Version zu zahlreich wurden. Er wird benutzt, um kritische Leute mundtot zu machen - wie bei mir“.

Als Lisa Eckhart von einer Lesung in Hamburg ausgeladen wurde, sprach Nuhr von einer „totalitären Maßnahme“ und befand: „Der Protestmob auf der Straße entscheidet also darüber, wer hier bei uns seine Kunst ausüben darf.“

Die Ablehnung eines Gags oder gar des leichtfertigen Umgangs mit antisemitischen Klischees in Deutschland wird umgedeutet zum Akt der Anarchie, des Totalitarismus und der Diktatur. Und das aus dem Munde von Menschen, die von Berufs wegen bewusst mit kalkulierten Verletzungen arbeiten.

Der Satiriker regt sich auf, dass er so vieles nicht mehr sagen darf – und sagt dann all das, was man also offensichtlich doch sagen darf, öffentlich, vor tausenden Gästen auf der Bühne oder in der Fernsehshow. Kritisiert wird also eine behauptete restriktive Wirklichkeit, der man umso mutiger seine kämpferische Freiheit entgegensetzen kann. Beides ist Inszenierung und Pose.

4. Spott den Spöttern

Wenn die Kritik des Publikums und der Presse an satirischen Mitteln von Satirikern als illegitimer Eingriff und gar als Angriff auf demokratische Grundwerte gedeutet wird, so besteht die erste Aufgabe des Publikums und der Presse darin, dies als gekränkten Unsinn zurückzuweisen.

Und auch die Künstler selbst haben in dieser neuen Konstellation eine Aufgabe zu erfüllen. Ihre Verantwortung ist es, Fehlleistungen der Kollegen benennen.

Erste bemerkenswerte Stimmen erheben sich: Claus von Wagner und Max Uthoff legten in der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ offen, dass Dieter Nuhr in der ARD mit falschen Zahlen über die Schädlichkeit von Stickoxid sprach. Literaturkritiker Volker Weidermann rügte im „Spiegel“, die Einladung Lisa Eckharts in von Marcel Reich-Ranicki gegründete Sendung „Das Literarisches Quartett“, die er einst selbst moderiert hatte, sei angesichts ihrer „antisemitischen Witzchen“ unwürdig. Till Hofmann nennt den Schulterschluss von Bruno Jonas und Monika Gruber in der Frage einer möglichen (und inzwischen wegen Gubers neuer Zufriedenheit mit der Überarbeitung doch nicht angemeldeten) Demonstration auf der Münchner Theresienwiese gegen das geplante Heizungsgesetz der rot-grün-gelben Bundesregierung „neue Geisterbahn auf der Wiesn“.

Und beispiellos schonungslos sagt Christian Springer in einem Facebook-Video über Dieter Nuhr: „Es gibt nur ein Problem: dass er als Intellektueller gilt, sich auch gern als Intellektueller gibt und auch so gesehen wird. Und das ist ein fatales Missverständnis.“ Kabarettisten seien in Wahrheit oft gelernte Banker, Schlosser, Köche, „wir sind Unterhalter, Intellektuelle sind wir nicht. Und darum ist es völlig unverständlich, warum Dieter Nuhr in namhaften Zeitungen zwei Seiten über den Islam hat. Er redet über Politik, über Arbeitslosigkeit, über Rassismus. Er hat keine Ahnung davon, und wird aber ernst genommen. Das Problem ist allerdings, dass er lügt. Was er im Fernsehen sagt, da sind immer wieder Lügen darunter. Das erklärt zwar, warum er kein Lehrer mehr ist. Aber warum er nach wie vor im öffentlich-rechtlichen Ersten Deutschen Fernsehen sein darf – da müssen sie andere fragen.“

Harter Tobak. Lange galt dies als unübliche und unschickliche Kollegenschelte. Doch so wie Journalisten selbstverständlich über gefälschte Reportagen von Journalisten berichten, so dürfen Satiriker inhaltlich und auch moralisch Stellung beziehen zu den Werken ihres Berufsstands. Schließlich sind Moral und Haltung der Kompass des satirischen Geschäfts.

Seit Hofnarrs Zeiten war es das Privileg der Satire, zur Abwechslung mal die Mächtigen an den Pranger zu stellen. Mancher Satiriker (und andersrum auch mancher Politiker) heute praktiziert das Gegenteil und kritisiert nicht mehr die Mächtigen, sondern die de facto Machtlosen - Minderheiten, die durch ihre pure Existenz ein Beispiel geben, dass die Dinge auch anders sein könnten und dass der Status quo weder sakrosankt noch alternativlos ist. Es ist erschreckend, wie viele Berufshumoristen anderer Ansicht sind. Und es ist gut, dass Kollegen als Satire-internes Regulativ den Mut finden, dies auch öffentlich zu thematisieren.

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