Stefan Danziger aus Berlin siegt
Schneidig und hinterfotzig: Kritik zum 38. Passauer Scharfrichterbeil

22.06.2023 | Stand 14.09.2023, 22:51 Uhr

„Wie bring ich das Ding jetz’ nach Berlin?“, sagte Stefan Danziger nach seinem Sieg im Gespräch mit unserer Zeitung. „Darf man das überhaupt mitnehmen in den Zug?“ −Fotos: Raimund Meisenberger

Komplimente in Bayern, das ist so eine Sache. Manches, was für Auswärtige wie eine ungustiöse Beleidigung klingt, kann hierzulande auch Respekt und Bewunderung ausdrücken: „A Hund bist scho!“ oder gar „Da leckst mi am Arsch!“ sind in aller Regel positiv gemeint.

So durfte der Gewinner des 38. Scharfrichterbeils, Stefan Danziger aus Berlin, bei der Preisverleihung in der Nacht auf Mittwoch lernen, dass auch „schräg und hinterfotzig“ ein durch und durch respektvolles Urteil der Jury über seinen 20-Minuten-Auftritt im Finale bedeutet.

„So was gibt’s in Berlin nich!“

Mit Charme, Schiebermütze, Schnauzer und Berliner Schnauze hat der 1983 in Dresden geborene Wahlberliner Stefan Danziger das Scharfrichterbeil 2022 gewonnen – 2022 deshalb, weil der Wettbewerb, der traditionell in der ersten Dezemberwoche stattfindet, damals wegen Krankheit von drei von fünf Finalisten verschoben worden war. Das nächste Beil – der Jahrgang 2023 – wird bereits in gut fünf Monaten wieder im Dezember ausgespielt; die ersten Bewerbungen seien schon eingegangen, sagt Scharfrichter-Chef Matthias Ziegler.

„Hallöchen, ick hab hier ooch schon was gelernt“, begrüßt Stefan Danziger im Berliner Zungenschlag das Publikum. „Ich hab gelernt, dass man auf ,pfiadi‘ nicht mit ,schleich di’ antwortet.“ Schon hier hat er die Sympathien im Kabarett-Kellertheater auf seiner Seite. Am Ende verabschiedet er sich mit Blumen an die Stadt: „Passau is ne wirklich wunderschöne Stadt! So was gibt’s in Berlin nich!“ – wo der Mann recht hat, hat er recht.

In seinem Kurzauftritt schlägt der ungemein wach, präsent und professionell agierende Kabarettist den Bogen von seiner neunjährigen Tochter, die er mit apokalyptischen „Mad Max“-Filmen für den künftigen Wüstenplaneten Erde fit macht, über „Prepper“, die sich im privaten Bunker auf den Weltuntergang vorbereiten, bis zur kolonialen Kulturgeschichte der Sonnenblume, die laut Danziger mit der Religionsgemeinschaft der Mennoniten von Mittel- nach Osteuropa, von dort weiter in die USA und vor dort aus wieder nach Europa gewandert sei – eine essbare Blume mit Migrationshintergrund. Auch Schlenker ins Politische macht der Künstler: Wir müssten keine Angst haben, dass Putin auf den Knopf für die Atomwaffen drücke, meint Danziger, schließlich habe dieser seine Kinder in der Schweiz in Sicherheit gebracht. „Der drückt nich aufn Knopf! Erst wenn er die Kinder nach Hause holt, wird’s gefährlich.“

Ein besonders schön hinterfotziger Moment, um es mit der Jury zu sagen, ist eine kleine Alltagsbeobachtung aus dem Taxi, gespeist von der unschönen Erfahrung, wenn der Taxifahrer dem Fahrgast ungefragt ein Gespräch aufs Auge drücken möchte: „Die wollen jetzt das Bargeld abschaffen!“, behauptet der Fahrer. Danziger habe geantwortet: „Es gibt bald selbstfahrende Autos.“ Diese Schlagfertigkeit gepaart mit sympathisch schnoddrigem und lächelndem Auftreten schafft eine Bühnenfigur und eine Atmosphäre im Saal, die sich den ersten Preis – ein handgeschmiedetes Beil – redlich verdient hat.

Der zweite Preis ging an das schleswig-holsteinische Musikkabarett-Trio mit dem Namen Frau Rotkohl (das vom Publikum sogar auf den ersten Platz gewertet worden war), das in seinen Liedern ganz klar Katzen für die Klimakatastrophe verantwortlich erklärt (weil diese Rindfleisch fressen und Rinder Methan ausstoßen) und Bandmitglied Jon Lorenzen abgründig beleidigt, denn wirklich nichts auf Erden sei „So scheiße wie Jon“, der den Backgroundchor zu seinem Schmählied auch noch selber singen muss – eine köstlich fiese Inszenierung. Der dritte Platz ging an den Berliner Comedian, der sich „Der Tod“ nennt, mit vermummten Gesicht unter tief sitzender Kapuze auftritt und 2023 sein viertes Solo „Gevatter Unser“ herausbringt.

Und während Moderator Ludwig Müller harmlose Schüttelreime einstreute („Hör ich Andreas Gabalier, brauch ich an Kasten Lagerbier“), fand Scharfrichter-Gründer Walter Landshuter klare Worte über die Relevanz und Größe des Scharfrichterbeils und über ein seltsames neues Gewächs im Garten des Kabaretts – siehe Kommentar rechts und Essay auf PNP Online.

Raimund Meisenberger


Das aktuelle Kabarettprogramm im Scharfrichterhaus finden Sie hier.