„Mephisto Consulting“ im Scharfrichterhaus
Das Gegenteil von Populismus: Matthias Deutschmann betreibt politische Bildung im Kabarett

05.02.2024 | Stand 05.02.2024, 5:00 Uhr

„Sie lachen – ich zögere!“ Matthias Deutschmann verzichtet darauf, eine verschworene Gemeinschaft mit seinem Publikum zu bilden. Hier genießt er den Schlussapplaus im Passauer Scharfrichterhaus. − Foto: Meisenberger

Der Krieg, da war sich Otto von Bismarck sicher, sei genau das rechte Mittel, um die nationale Einigung Deutschlands unter Führung Preußens durch „Eisen und Blut“ zu vollenden. Der Kanzler des 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreichs wird hoch verehrt von Björn Höcke, der gerichtlich bestätigt „Faschist“ genannt werden darf, und Teilen der AfD; die sogenannten Reichbürger sehen sich als „Bismarcks Enkel“. Da fragt sich so ein kritischer Geist, der seit 40 Jahren politisches Kabarett in Deutschland betreibt, schon mal, was einen bayerischen Ministerpräsidenten eigentlich genau dazu bewegt, zur Fastnacht in Veitshöchheim 2024 gerade als Bismarck aufzutreten.

Die Antwort aber – und das zeichnet Matthias Deutschmann und sein aktuelles Programm „Mephisto Consulting“, das er am Wochenende im Passauer Scharfrichterhaus präsentiert hat, aus – die darf sich das Publikum selbst geben. Der 65-jährige Freiburger benennt viel lieber als zu beurteilen. Wie er tickt, zeigt sich an zwei Lieblingsworten: „Es ist brutal“, sagt Deutschmann, wenn er als Mensch erschüttert ist. „Es ist kompliziert“, sagt er, sobald er anfängt, über Dinge nachzudenken.

Und es ist ein Genuss, ihm beim Denken zuzuhören. „Ein Hochamt“ gar, hört man im Kreise der nicht jünger gewordenen Scharfrichter-Kabarettszene, die Deut-schmann ironisch bauchpinselt: „Einen Satz wie ,Die Schwachstelle der Demokratie ist das Volk selbst‘ spiele ich außerhalb von Passau gar nicht, nur hier, fürs Fachpublikum!“ Das Haus ist nahezu ausverkauft, politisches Kabarett ist hochattraktiv, wenn es so klug ist wie dieses.

Von welchem Kaliber dieser geistreiche, gebildete, Schach und Cello spielende, den „Faust“ liebende und gerne zitierendende Deutschmann ist, erkennt man auch daran, dass er seinem Publikum einiges zumutet: Die Grundlage von Kabarett „Wir alle denken das Gleiche, nur ich kann’s auswendig“ wirft er über Bord, setzt eine vergiftete Pointe, wartet die Lacher ab und sagt: „Sie lachen – ich zögere“. Das Gegenteil von Populismus ist Matthias Deutschmann. Und auch das Gegenteil von „Das kennen wir doch alle!“ und „Regt Sie das auch so auf?“

In schwarzem Anzug und im oft assoziativen Strom von Themen stellt er stattdessen seine Zweifel vor. Deutschmann hat z.B. Zweifel, ob es sinnvoll und der Demokratie nützlich ist, Menschen zu „Nazis“ zu erklären, wie auf den jüngsten Pro-Demokratie-Demos tausendfach geschehen.

Björn Höcke sei „auf jeden Fall völkisch drauf“, meint Deutschmann, er verehre das „2. Reich, nicht das 3. Reich“, Höcke sei stolz auf alles mögliche Deutsche von Hegel bis Bach. Dann sagt der unzweifelhaft linke Deutschmann: „Dass er ein Nazi ist – ich weiß es noch nicht.“ Darüber lässt sich wunderbar streiten. Allein dafür ist das Programm wertvoll: zu reflektieren ob der „Volkssport Nazifizierung“ der Demokratie hilft. Angenommen, einer hegt Sympathien für eine Partei und wird dafür als „Nazi“ beschimpft – wird der Sympathisant dann sagen: „Ja, stimmt“, und eine andere Partei wählen?

Raimund Meisenberger


Live am 25. April in Germering, am 3. und 4. Oktober im wiener Kabarett Niedermair. Karten für Germering gibt es hier