Festspiele Europäische Wochen Passau
Atemberaubend: Geigenstars Julia Fischer und Lena Neudauer in Engelhartszell

03.07.2023 | Stand 14.09.2023, 22:05 Uhr

Ein großes Musikereignis: Die Geigensolistinnen Julia Fischer (l.) und Lena Neudauer mit der Kammerakademie Potsdam in der Stiftskirche Engelszell. −Foto: Festspiele Europäische Wochen Passau

Spannender kann Musikgeschichte kaum sein: die Geigensolistinnen Julia Fischer, Lena Neudauer und die Kammerakademie Potsdam spannten in der Stiftskirche im oberösterreichischen Engelhartszell einen weiten musikalischen Bogen vom Barock bis in die Gegenwart, von Arcangelo Corelli (1653-1713) zu Alfred Schnittke (1934-1998) – ein hoher Anspruch an die Musizierenden, aber auch an das Publikum. Julia Fischer hatte dieses Programm mit dem Concerto grosso C-Dur von Corelli und der dramatisch-spannenden Antwort im Concerto grosso Nr. 1 von Alfred Schnittke aus dem Jahr 1977 selbst zusammengestellt.

Schnittke, 1934 in Russland geboren, einer der großen Komponisten des 20. Jahrhunderts, verbindet in seiner Polystilistik Musik zu einem verstörend-dramatischen Ganzen, er umfasst barocke Anklänge, Halbtonsequenzen als Ausdruck von Schmerz und Klage, aber auch Kinderlieder, eigene Filmmusik bis hin zum Tango. Schnittke experimentiert mit Dissonanzen und Brüchen, setzt die Instrumentalstimmen stringent gegeneinander, über- und miteinander – eine gewaltige Herausforderung an die Musizierenden.

Schon das Präludium Schnittkes wirkt verfremdet: Die Saiten des Pianos und des Cembalos werden, präpariert durch Münzen unter den Saiten, zu einem schwebenden Glockenklang. Die beiden Violinen treten in einen Dialog, in dem Julia Fischer in atemberaubend feinster Nuancierung mit ihrer kongenialen Partnerin Lena Neudauer die einzelnen Stimmen und Einsätze aus der Zerrissenheit immer wieder zu einer klar strukturierten Einheit zusammenführt. Diese Musik Schnittkes lässt sich nicht einfach spielen – Fischer und Neudauer machen sie zur Performance, die fesselt und zugleich verstört – Musik in der Zerrissenheit der Welt, wie sie der Komponist politisch und künstlerisch erfahren hat.

Fast zum „Aufwärmen“ für das Publikum gab es vor dem Werk von Schnittke das Concerto grosso von Arcangelo Corelli, der diese musikalische Gattung im 18. Jahrhundert populär gemacht hat. Auch Corelli setzt auf die Zweiteilung der Komposition – auf das Orchester und die Violinsolisten. Julia Fischer und Lena Neudauer sind zunächst Teil des rundum geschlossenen und fülligen Klangkörpers, setzen klare Akzente, treten mit ihm in Dialog, treiben das Werk temporeich voran, zu barock-beschwingter Lebenslust.

Die Meditation über den altböhmischen Choral „Svatý Václave“ zu Ehren des Nationalheiligen Wenzel und die Serenade Es-Dur op. 6 von Suk entführten in die böhmische Musik des frühen 20. Jahrhunderts. Julia Fischer als Konzertmeisterin der Kammerakademie Potsdam führte das Orchester von anmutiger Ruhe zum lebhaften Finale im Vivace – zu einem eleganten Ausklang eines großen Musikereignisses.

Hans Würdinger