Landkreis Passau
Am Freitag gibt’s Zwischenzeugnisse: „Eltern sollten mit Gelassenheit reagieren“

Schulpsychologe: „Eine schlechte Note ist kein Beinbruch“ – Zeugnistelefon freigeschaltet

13.02.2023 | Stand 13.02.2023, 19:07 Uhr

Am kommenden Freitag werden die Zwischenzeugnisse ausgeteilt, und bei so manchem Kind sorgt das für Bauchweh. −Foto: dpa

Wie gut die Schüler im Passauer Land dieses Schuljahr bislang absolviert haben, sehen sie bald schwarz auf weiß: Am Freitag werden die Zwischenzeugnisse ausgeteilt, und bei so manchem Kind sorgt das für Bauchweh.



Wie Eltern bei schlechten Noten richtig reagieren, wie man Kinder am besten fördern kann und welche Rolle die Pandemie heute noch bei ihren Leistungen spielt, erklärt Gunther Rankl, Schulpsychologe am staatlichen Schulamt Passau und Leiter des schulischen Kriseninterventionsteams Passau.

Welche Bedeutung haben Noten eigentlich für Schüler?
Gunther Rankl: Die meisten Schüler freuen sich aufs Zeugnis, wollen ihre Noten herzeigen und Bestätigung erhalten. Für Kinder und Jugendliche ist das „Hier und Jetzt“ wichtiger als das „Später“.

Und bei schlechten Noten?
Rankl: Wenn auch aktuell eine schlechte Note im Zeugnis steht, ist das kein Beinbruch. Lernen, mit Dingen zurechtzukommen, wenn sie nicht glatt laufen, ist ein lebenslanger Prozess und fördert Alltagskompetenzen. Kinder mit unrealistischen Erwartungshaltungen geraten unter Stress, gefährden ihre mentale Gesundheit. Bei diffusen Versagensängsten bedarf es ggf. professioneller Hilfe.

Welche Rolle spielen dabei die Ansprüche der Eltern?
Rankl: Eltern wünschen sich gute Noten von ihren Kindern. Sie möchten, dass aus ihnen „etwas Gescheites“ wird, dass sie noch erfolgreicher werden als sie selbst. Sind die Erwartungen realitätsfremd und werden die Grenzen im Kind nicht respektiert, leidet der Selbstwert. Projizieren Eltern ihr Unbehagen auf die Notenskala des Kindes, kann das die Beziehungsqualität beeinträchtigten.

Wie sollten Eltern auf schlechte Noten reagieren?
Rankl: Die zentrale Botschaft lautet: „Es gibt weit wichtigere Dinge als Schule!“ Einem Kind, dem dauerhaft das Gefühl vermittelt wird, dass es bei schlechten Noten weniger liebenswert ist, instrumentalisiert man zu einem Leistungsobjekt. Eltern sollten mit Gelassenheit reagieren. Eigene Enttäuschung darf man zeigen, sollte jedoch versuchen, seinen Optimismus wieder zu finden. Sich auf sein Kind einlassen, es in den Arm nehmen, gemeinsam reflektieren, wie es weitergeht, und überlegen, ob es nicht vielleicht gerade andere Themen gibt, die es beschäftigen, sind aufbauende Strategien.

Gibt es noch Lernrückstände infolge der Corona-Pandemie?
Rankl: Lerndefizite sind in erster Linie zu Beginn der Pandemie entstanden, während sich spätere Lockdowns weniger negativ auswirkten. Über alle Schulformen betrachtet, haben aktuell 35 Prozent der Schüler deutliche Lernrückstände. 70 Prozent der Schulleitungen geben an, weitere Fördermittel für die Bewältigung von Lernmängeln zu benötigen. Die Corona-Aufholprogramme stufen nur ein Drittel der Rektoren als effektiv ein, so die Ergebnisse des „Deutschen Schulbarometers“.

Wen trifft das besonders?
Rankl: Primär Schüler aus unteren Klassenstufen sowie leistungsschwache Schüler, dazu solche aus bildungsfernen Familien und mit Migrationsgeschichte. Dieser Fakt ist alarmierend, weil das Schulsystem schon zuvor immense Probleme hatte, sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche effektiv zu fördern und daher kaum auf erprobte Förderkonzepte zurückgegriffen werden kann.

Wie kann man Schüler nun bestmöglich fördern?
Rankl: Für Schüler braucht es dort das beste Equipment, wo sie die meiste Zeit des Tages sind. Wir müssen Schule als sozialen Ort stärken, mit echten Ganztagsangeboten. Es braucht an Schulen multiprofessionelle Teams aus Lehrern, Sonder- und Heilpädagogen, Erziehern, Schul- bzw. Jugendsozialarbeitern, Schulpsychologen, Schulassistenten, Integrationshelfern, Lerntherapeuten oder Mitarbeitern der Jugendhilfe. Der Mehrwert besteht darin, dass für jedes Kind Voraussetzungen geschaffen werden, um es pädagogisch und sozial gerecht zu fördern.

Wie belastet ist die Psyche von Kindern und Jugendlichen noch?
Rankl: Corona wirkt sich nach wie vor negativ auf die psychische Entwicklung aus, neue Krisen rücken nach. Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hat kürzlich die Ergebnisse der 5. COPSY (Corona und Psyche)-Studie vorgestellt. Demnach haben die Belastungen abgenommen, sind jedoch noch deutlich stärker ausgeprägt als vor der Pandemie.

Wie äußert sich das bei den Kindern?
Rankl: Wir sehen Ängstlichkeit, psychosomatische Beschwerden, Nervosität, Reizbarkeit, Schlafstörungen und Niedergeschlagenheit. Jedes zweite Kind leidet mindestens einmal wöchentlich unter Kopf- oder Bauchschmerzen. Die Anzahl depressiver Störungen hat sich wieder auf vorpandemischem Niveau eingependelt. Etwa die Hälfte der Kinder sorgt sich wegen anderer Krisen wie Ukraine-Krieg, Klimakrise, Welthunger oder einer atomaren Bedrohung.

Und wie geht es den Lehrern, wie sind die Schulen aufgestellt?
Rankl: Die Menschen in den Schulen sind sehr erschöpft. Akute Personalnot, zu wenig Unterstützungsangebote, fehlende Kapazitäten für geflüchtete Schüler und eine überhöhte Arbeitslast in den Kollegien sind Themen, mit denen das Schulsystem ringt. Die Aufrechterhaltung des Schulbetriebs ist nur noch auf gesundheitliche Kosten der Lehrkräfte möglich. Engpässe lassen sich vorübergehend kompensieren, doch führen berufliche Dauerbelastungen dazu, dass man an die Grenzen des Möglichen stößt und kürzertreten muss. Die Rahmenbedingungen bergen potenzielle Risikofaktoren für ein Burn-out beim pädagogischen Personal.

Wie oft wird der schulpsychologische Dienst zurate gezogen? Haben Sie noch Kapazitäten?
Rankl: Unsere Wartelisten quellen über. Aufgabenfelder sind komplexer geworden und es bedarf verstärkt Fachstellen übergreifender Vernetzungen, um tragfähige Hilfesysteme zu organisieren. Es fehlt an Ressourcen, um die psychosoziale Entwicklung gefährdeter Kinder, die Stabilisierung vulnerabler Familiensysteme und das Coaching von Kollegien adäquat begleiten zu können. Bei einer Relation von einem Schulpsychologen auf 5000 Schüler mühen wir uns nach Kräften, die Beratung für Schüler, Eltern und Lehrer der Grund- und Mittelschulen im Schulamtsbezirk Passau bestmöglich zu gestalten. Die Generation von Schülern, die aktuell und in den Folgejahren im Schulsystem ist, muss mit einer gravierenden Beeinträchtigung ihrer Lebens- und Integrationschancen rechnen.

− red/rot


Das Zeugnistelefon in Stadt und Landkreis Passau ist erreichbar:
Für Grund- und Mittelschulen am Freitag, 17. Februar, von 10 bis 13.30 Uhr, ✆0851/7562640,
für Realschulen am Montag, 27. Februar, von 9.40 bis 11 Uhr, ✆0851/37932245,
für Gymnasien am Freitag, 17. Februar, von 9 bis 13.30 Uhr, ✆0171/4218329.