Reisbach
Rolf-Peter Holzleitner: Verteidiger unserer Werte und unserer Kultur

Der Reisbacher Bürgermeister im Jahresgespräch

04.01.2024 | Stand 04.01.2024, 19:00 Uhr

Manchmal versteht Rolf-Peter Holzleitner die Welt und die Menschen nicht mehr, deshalb packt er mit all seiner Kraft die für ihn so wichtigen Themen an, dazu gehört die Energiewende genauso wie der Erhalt der bayerischen Kultur. − Foto: Nadler

Was waren die großen Themen in den Gemeinden? Was die größten Aufreger und die schönsten Momente 2023? Was hat die Rathauschefs beschäftigt? Die Gemeindeoberhäupter des Landkreises lassen das Jahr Revue passieren. Heute zieht Reisbachs Bürgermeister Rolf Holzleitner Bilanz.

Wie geht es Ihnen?
Holzleitner: Gut, ja. Ich bin zufrieden.

Gilt das auch für das ganze Jahr?
Ich bin nicht mit allem zufrieden, muss ich sagen. Wenn ich so in die Welt rausschaue, haben wir manche Dinge, die machen mir Sorgen, vielleicht auch Angst. Einige Dinge sind schon sehr beunruhigend.

Was finden Sie beunruhigend?
Also ich spüre schon eine gewisse Unruhe in der Gesellschaft. Was mir auch Angst macht, ist, wenn ich gerade in unseren Landtag reinschaue, dass wir da einige Abgeordnete drin haben, die ganz offensichtlich rechtsextreme Einstellungen haben. Das macht mir Angst. Da sollten wir als Demokraten auch vielleicht einmal mit offenem Visier ganz klar dagegen argumentieren, die demokratische Auseinandersetzung suchen. Deshalb habe ich beim Volkstrauertag das Thema aufgegriffen, da mich die Situation beunruhigt.

Zufrieden sind Sie mit dem, wie es in der Gemeinde läuft?
Im Gemeinderat haben wir die Parteipolitik draußen gelassen, somit gibt es im Gremium ein konstruktives Miteinander.

„Ein Presslufthammer hat am Wertegefüge angesetzt“

Es gibt Situationen, da schüttelt man über die Menschen nur noch den Kopf, dass zum Beispiel Einsatzkräfte angegriffen oder behindert werden. Leider wurden auch bei uns schon in wenigen Fällen Rettungskräfte behindert.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass an unser Wertegefüge, unser Fundament, einer mit dem Presslufthammer angesetzt hat. Da ist irgendwas nicht mehr ganz so stabil, wie es war. Ich war auf einer Beerdigung in München, da merkst du das als Niederbayer noch viel extremer, auch in Bezug auf das Verhältnis zur Kirche, die Welt verändert sich rasant. Da herrscht eine neue Normalität. Manche Entwicklung ist ungesund, die sollten wir gegensteuern. Wenn ich nicht mehr auf festem Grund stehe, versinke ich.

Die Gemeinde Reisbach steht auf festem Grund?
Das hoffen wir und daran arbeiten wir im Marktgemeinderat gemeinsam.

Sie haben heuer so viel Geld ausgegeben wie noch nie. Und trotzdem keine Schulden aufgemacht.
Das ist richtig.

Wie schafft man so etwas?
Solide Arbeit. Man muss schon überlegen: was macht man, was macht man nicht? Wir haben viele Aufgaben, sehr positive Aufgaben. Ob das jetzt ist für den Kindergartenbau, den man da drüben sieht, da steht eh gerade der Kran. Da sind wir jetzt innen drin gerade bei den Putzarbeiten. Wir wollen und werden da im September in Betrieb gehen.

Aber gerade Kindergarten ist eine große Aufgabe.
Ist eine sehr, sehr große Aufgabe. Wir wollen da eigentlich auch immer schon ein bisschen Vorreiter bleiben. Dass man einfach auch die Aufgaben, die auf uns zulaufen, bewältigt. Wir haben St. Michael angebaut. Dann haben wir eine Mensa für die Grund- und Mittelschule gebaut. Da ändert sich gerade einiges in der Gesellschaft. Da kann man sich jetzt hinstellen und lamentieren. Es ist vielleicht nicht jede Entwicklung richtig, z.B. dass man Unter-Dreijährigen mit dem iPad irgendwie versucht, die Digitalisierung einzutrichtern. Trotzdem müssen wir uns den Aufgaben stellen.

Wenn der Kindergarten fertig ist, reicht es dann? Oder ist man dann schon wieder am Limit?
Dann sollte es zumindest ein paar Jahre reichen. Wir haben uns auch vom Personal schon aufgestellt. Es gibt eine Leitung, die wir seit über einem Jahr bekanntgegeben haben. Die arbeitet in der Planung mit und sucht sich eine Mannschaft zusammen. Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen sind ein sehr, sehr begrenztes Gut.

Sie haben vorhin gesagt, man muss vieles auf den Prüfstand stellen. Es gibt zwei Freibäder in der Gemeinde. Die verursachen natürlich hohe Kosten.
Natürlich müssen wir die Struktur der Freibäder anschauen. Ich meine, wir haben ein Freibad in Griesbach, an Steinberg sind wir mit beteiligt und das Bad in Failnbach unterstützen wir. Das verursacht hohe Kosten, die zum Großteil nicht umgelegt werden können. Unser Hallenbad zum Beispiel, hier sind es weit über 100000 Euro pro Jahr, die wir drauflegen. Das ist einfach so. Das sind freiwillige Leistungen. Nichtsdestotrotz sollten wir uns immer bewusst sein, wir arbeiten für diese Gesellschaft. Wir kriegen unser Mandat von den Menschen. Und sie geben uns ihr gutes Geld. Und wollen, dass wir damit vernünftig umgehen und auch Angebote jenseits der Pflichtaufgaben anbieten. Diese Angebote machen den Markt Reisbach attraktiver.

Für Bäder gibt es momentan ein zeitlich begrenztes, einmaliges Förderangebot, welches wir beantragen könnten. Es gibt im Leben immer eine Tür, die aufmacht. Und wenn man dann nicht reingeht, dann ist die Tür wieder zu. Und so muss man im Leben immer schauen, wann gibt es da eine Tür, wo ich reingehen kann, wo ich mir vielleicht auch eine gewisse Entlastung holen kann? Vor dieser schwierigen Entscheidung stehen wir.

Wir machen uns die Entscheidung nicht leicht. Ich habe am Anfang der Planungen gesagt, wenn das Projekt mehr als 500 000 Euro kostet, dann stimme ich dagegen. Jetzt gibt es einen sehr lukrativen Zuschuss, jedoch stehen Kosten im Raum, die bei zwei Millionen Euro sind. Wenn wir Pech haben, bleiben 800000 Euro bis eine Million bei uns hängen. Können wir uns dies leisten, wollen wir uns dies leisten? Dass wir das entscheiden, erwarten der Bürger von uns, deshalb wurden wir gewählt.

Erhalt der Kultur in der Gemeinde ist wichtig

Sie und der Marktgemeinderat haben sich entschieden, dass man das Haus der Bürger in Haberskirchen und eben auch in Reisbach haben will.
Das ist natürlich auch ein Batzen Geld.

Warum ist Ihnen das so wichtig?
Weil wir eine Kultur haben, eine sehr, sehr alte Kultur, wo wir halt herkommen von den Altgemeinden. Das zeichnet unser schönes Niederbayern aus. Das gehört erhalten. Und man braucht in verschiedenen Ortsteilen auch Punkte, wo man das Dorfleben leben kann. Und so sollte jede Eigenart, die wir in Bayern haben, auch miteinander gelebt werden können. Wo man einfach auch die Gemeinschaft pflegen kann, wo man als Gemeinschaft zusammenwächst. Das ist für mich etwas ganz Wichtiges.

Warum?
Da gehören solche Dinge dazu, dass man ein Haus der Bürger hat, wo die Damen miteinander tanzen, turnen, reden, wo man auch angeregt diskutieren kann. Wenn man sowas nicht mehr macht, dann verkümmern unsere Kultur und Identität. Das ist für mich ein Stück erhaltenswertes Bayern.

Daher war eines der wichtigsten Themen des Jahres, dass der Schlappinger Hof weitergeht.
Das war für mich ein sehr wichtiges Thema. Es ist wieder Leben eingekehrt. Das ist auch wieder bayerische Kultur. Ich bin froh, dass wir ein solch traditionsreiches Gasthaus haben.

In der Gemeinde gibt es noch einige Wirtshäuser, aber keine Brauerei mehr.
Wir hatten sieben Brauereien. Da schräg gegenüber vom Rathaus gibt es einen Platz, da stand eine Brauerei. Da haben wir jetzt auch etwas sehr Wichtiges. Da ist eine Tagespflege drin. Im Prinzip haben wir es geschafft, dass sich die Dinge entwickelt haben. Wenn etwas von der Geschichte her nicht mehr geht, muss man sich dem auch stellen.

Was passiert jetzt mit dem Haus der Bürger in Reisbach?
Es war ein altes Kloster, ein Frauenkloster, das gehört mit dem Ensemble der Kirche zusammen, man muss da behutsam vorgehen. Der Marktgemeinderat hat hier bereits die Weichen gestellt, wir sind in enger Abstimmung mit der Regierung von Niederbayern.

Sie haben gerade das Langareal angesprochen und natürlich hat man auch das Seniorenheim in der Gemeinde. Ist man für Senioren gut aufgestellt?
Man kann gar nicht gut genug aufgestellt sein, und das wird uns die Zukunft zeigen. Wir sind ja gerade dabei, an einem Hitzeschutzaktionsplan zu arbeiten. Wir haben zur Unterstützung den sehr engagierten Herrn Dr. Hottenroth in der Gemeinde, er hatte das Impfzentrum geleitet. Wir haben schon viele Gespräche gehabt, was wir in der Zukunft machen, dass wir uns auf den Klimawandel einstellen. Wir müssen uns frühzeitig mit diesen Themen auseinandersetzen. Hier wollen wir eine Vorreiterrolle einnehmen.

Mit viel Herzblut in der Energie-AG dabei

Deswegen sind Sie mit viel Herzblut bei der Energie-AG dabei?
Ja, schon seit 10 Jahren, das ist mir ein sehr wichtiges Thema. Ich kenne das Buch des Club of Rome, ich habe ja noch vor den 80ern studiert, und kann mich noch an die Diskussionen in den Vorlesungen erinnern. Ein schlauer Physik-Professor hatte uns gesagt, Atomkraftwerke gelten ja als sicher und gut. Wenn das so ist, stelle ich die Frage – ihr seid jetzt alle werdende Ingenieure – wenn das so sicher ist, dann gehört ein Atomkraftwerk in München unter den Marienplatz, und dann gehören die Häuser direkt mit der Abwärme versorgt. Jetzt frage ich euch, warum macht man das nicht? Solchen Themen muss man sich frühzeitig stellen und das birgt Grenzen des Wachstums, wie der Club of Rome sagte. Ich stelle mich heute auch hin und sage, meine Generation hat es verpennt, wir haben zu wenig laut geschrien und den Klimawandel thematisiert.

Aber Sie machen doch Druck.
Ich versuche es schon, dass man was macht, aber wenn ich es jetzt gesamtgesellschaftlich anschaue, passiert zu wenig.

Reisbach möchte bei der Energiewende voranschreiten. Was ist denn mit dem Elektrolyseur?
Es geht um Grundstücke, wo stellt man sowas hin, das muss man alles zuerst einmal unter Dach und Fach bringen, bevor dies öffentlich diskutiert werden kann. Unsere Studie zum Wasserstoff ist abgeschlossen und veröffentlicht. Ein Ergebnis der Studie ist, allein Photovoltaik reicht nicht, weil ein Elektrolyseur dann nicht wirtschaftlich läuft, also wird Windkraft erforderlich. Wir haben vor, in diese Richtung weiterzuarbeiten, ohne Investoren geht das nicht, weil als Gemeinde würden wir das Investitionsvolumen nicht stemmen können.

Also es geht weiter?
Ja, da geht es weiter!

Was ist so schön in Reisbach?
Das sind zum einen die Menschen, das ist das Allerwichtigste, dieses Gemeinschaftsgefühl. Ich habe es gemerkt, als wir diesen schrecklichen Brand gehabt haben, wie man dann zusammenrückt. Die Heimat und Natur, wenn man bloß zur Vils rausgeht, auch wenn es neblig ist, wenn man dann entlang geht, was man da alles sehen kann, wo man leider viel zu wenig Zeit hat, dass man das öfters tut. Das ist unsere Heimat, schön und liebenswert. Wenn ich da an der Vils vorbeifahre, denke ich daran, dass ich dort als Bub gebadet habe. Schwimmen habe ich da leider nicht gelernt, leider haben wir seit Corona auch wieder viel mehr Nichtschwimmer, da sind wir wieder bei den Bädern.

„Ich bin eine ganz gefährliche Mischung“

Ist Reisbach alleine ihre Heimat?
Ich bin so ein Gemisch aus Preußen und Niederbayern. Stettin und Zwiesel, also ich bin eine ganz gefährliche Mischung, trotzdem bin ich hier aufgewachsen, bin hier geboren, bin Niederbayer. Darum gefällt mir auch Schottland, weil die eine sehr ähnliche Mentalität haben. Diese Art, die man hier hat, die gilt es auch zu schützen, es gibt nicht nur einen Artenschutz in Bezug auf Bienen und auf Insekten, sondern schon auch auf Menschen, auf Kultur, die man sich erhalten sollte.

Insofern, haben Sie den schönsten Job der Welt?
Bürgermeister ist ein schöner Job, allerdings ist er auch durchaus einer, der viel Zeit kostet, und manchmal auch Nerven, wie wir es gerade erzählt haben. Ich bin viel draußen bei unseren Rettungskräften, wenn Einsätze sind und wenn ich dann so etwas mitkriege, dass es Leute gibt, die dann so Sachen sagen oder einem fast über den Fuß drüberfahren, da denke ich mir dann schon, das hat ein Bürgermeister früher, vor ein paar hundert Jahren, schon noch anders regeln dürfen. Unterm Strich muss ich sagen, es ist schon schön, wenn ich das sehe, da drüben spielen Kinder und dann gibt es einen Ratsch, das ist schön und das ist Bayern und das gefällt mir.

Welche Ziele setzen Sie sich als Bürgermeister?
Das Thema, wo ich weiterarbeiten werde, auch wenn ich nicht mehr Bürgermeister bin, das ist das Thema mit der Energiewende. Da bringe ich mich schon mit Herzblut ein. Das mit dem Elektrolyseur interessiert mich auch als Ingenieur. Das bin ich immer noch mit Leib und Seele und da hoffe ich, dass der Herrgott mir noch lange einen klaren Verstand lässt, dass ich da weiterarbeiten kann.

Was wünschen Sie sich persönlich für 2024?
Frieden.

Und was wünschen Sie den Reisbachern?
Ich wünsche uns allen miteinander Frieden, Glück und Gesundheit, dass wir miteinander schöne Feste feiern dürfen, was ich ganz wichtig finde, dass man einfach beieinander ist, Gemeinschaft pflegt und dass unser Zusammenhalt bleibt, den wir haben. Friedlich miteinander umgehen, tolerant nach außen, und dass wir uns ein Stück nach dem anderen weiterentwickeln und für die Zukunft fit machen.


Fragen: Bernhard Nadler