Osterhofen
Weit mehr als ein Städtchen: Spannender Vortrag von Prof. Dr. Christian Kuchler zur Nachkriegsgeschichte

30.11.2022 | Stand 18.09.2023, 22:46 Uhr
Michael Kufner

Prof. Dr. Christian Kuchler referierte im Kolpingsaal über die Nachkriegsgeschichte der Stadt Osterhofen. −Foto: Kufner

Was ist Osterhofen? Prof. Dr. Christian Kuchler hat darauf im Rahmen eines äußerst spannenden Vortrags für die vhs Deggendorfer Land sowohl spannende als auch amüsante Antworten über die Nachkriegsgeschichte Osterhofens geliefert.

„Im Stadtrat waren die Baufirmen schon stark vertreten“, merkte Kuchler schmunzelnd im voll besetzten Saal des Kolpinghauses an. „Das Handwerk ist immer stark in Osterhofen gewesen“, erwiderte prompt Ehrenbürger Horst Eckl. Da war sie wieder, die Zeit um die Jahrtausendwende: Der Geschichtsstudent Christian Kuchler als Stadtrat für die Junge Liste auf der einen Seite, der damalige Bürgermeister Horst Eckl auf der anderen. Nur die Rollen waren quasi vertauscht: Der an der RWTH Aachen lehrende Didaktik-Professor Kuchler legte das wissenschaftliche Fundament, die Ehrenbürger Horst Eckl und Bruni Irber erzählten als Zeitzeugen, wie sie die Integration der Heimatvertriebenen erlebt hatten und was die evangelischen Schüler bisweilen durch nicht so aufgeschlossene Katholiken erdulden mussten.

Vortrag und Erzählungen von Zeitzeugen

Das Publikum, darunter Bürgermeisterin Liane Sedlmeier und Landrat Bernd Sibler, verfolgte interessiert den Vortrag und die Erzählungen der Zeitzeugen. Beim Einmarsch der Amerikaner wies der Passauer Bischof die Pfarrer an, Berichte über das Geschehen zu verfassen. Der Osterhofener Stadtpfarrer Max Eglseder bezeichnete Osterhofen als Städtchen. „Osterhofen ist weit mehr als ein Städtchen“, rückte Prof. Kuchler die Verhältnisse gerade. Wichtigste historische Quelle aus der Nachkriegszeit ist die von Hermann Nestler verfasste Nestler-Chronik, die bis zum Erscheinen der Osterhofener Zeitung mangels Presseberichten ganz modern anmutend auf Augenzeugenberichte zurückgreift.

Landwirtschaftliche Prägung bis zum Krieg

So ist dort die Rede von Einquartierungen amerikanischer Soldaten. Zum ersten Mal seit napoleonischer Zeit waren fremde Soldaten als Besatzer in der Stadt. Das stieß freilich nicht bei allen auf Wohlgefallen, wie der Chronik zu entnehmen ist. Einzigartig für die Osterhofener Gegend ist ein Votivbild in der Frauenkapelle, das die Zerstörungen am Plattlinger Bahnhof und im Deggendorfer Hafen darstellt.

„In den Pfarrchroniken wird nicht reflektiert, dass die Zwangsarbeiter nicht als freiwillige Fremdarbeiter hier waren“, sagte Kuchler. Bis zum Krieg war die Stadt Osterhofen noch stark landwirtschaftlich orientiert. Vor dem Krieg waren noch 279 Osterhofener in der Landwirtschaft tätig, nach dem Krieg waren es noch 93. Osterhofen ist seit der Gebietsreform die Großgemeinde Osterhofen plus die ehemals eigenständigen Gemeinden zwischen Vilstal und Donau.

Einheimische und Heimatvertriebene mussten sich nach dem Krieg erst zusammenraufen. So waren etwa in Gergweis zeitweise mehrere hundert Heimatvertriebene untergebracht. Diese Menschen waren häufig einen höheren Lebensstandard gewöhnt. In der neuen Heimat fehlte es hingegen an Dingen wie einer Klospülung. Bayern nahm zwei Millionen Heimatvertriebene auf, gut ein Viertel der bayerischen Bevölkerung. Ankunft und Integration der Heimatvertriebenen lassen sich gut an den Wahlergebnissen ablesen: So wählten 1950 in Anning 19,2 Prozent der Wahlberechtigten den Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE). In Gergweis entfielen 20,4 Prozent auf den BHE. Als „Bayerns vierter Stamm“ fanden die Heimatvertriebenen in den 50er Jahren ihre politische Heimat in der CSU. Osterhofen lag ganz im bayernweiten Trend.

Eine Besonderheit im katholisch geprägten Teil Bayerns stellt die Einweihung der evangelischen Christuskirche am 11. Oktober 1953 dar: Fast der komplette Stadtrat und die städtischen Honoratioren nahmen am Festzug durch die Vorstadt teil. Kuchler stellte die These auf, dass dies „40 Jahre vorher unmöglich gewesen“ sei und sprach von einer „gelungenen Integration“.

Neue Absatzmärkte und wirtschaftlicher Aufschwung

Mit der Gebietsreform und dem damit verbundenen Bau der Donaubrücke bei Winzer bekam Osterhofen den lange ersehnten Anschluss an den überörtlichen Verkehr und erlebte dank neuer Absatzmärkte einen wirtschaftlichen Aufschwung. Zu empfehlen ist in diesem Zusammenhang der von Christian Kuchler und Jörg Zedler 2016 bei Pustet erschienene Sammelband „Das 20. Jahrhundert aus lokaler Perspektive. Osterhofen im Zeitalter der Extreme“.

Zwischen dem Kriegsende 1945 und der Gebietsreform 1972 erlebten die Osterhofener viele Zäsuren und Umbrüche. Das formte die Mentalität der Menschen der heutigen Stadtgemeinde. Vhs-Leiter Bernhard Greiler sprach von einer „Zeitenwende“. So bleibt die Frage, welche Lehren die Menschen von heute aus den Krisen und Zäsuren der Vergangenheit ziehen?