100 Jahre SRG Deggendorf
Obmann mit 24: Florian Steininger über Nachwuchssorgen, Profiverhalten, Anfeindungen – und warum er nie den Clasico pfeifen würde

17.10.2023 | Stand 17.10.2023, 10:06 Uhr

„Einmal ein Bundesliga-Spiel zu pfeifen, würde mich reizen – und müssen unbeschreibliche Gefühle sein!“ Obmann Florian Steininger will gemeinsam mit seiner ebenfalls noch jungen Führungsmannschaft die Gruppe Deggendorf weiter auf Erfolgskurs halten. In einer Zeit, wo das Nachwuchs-Problem der Referee-Gilde mehr und mehr durchschlägt, sicherlich eine große Herausforderung. − Foto: Helmut Müller

1923 – 2023: Die Schiedsrichtergruppe Deggendorf feiert im September ihr 100-jähriges Jubiläum. Der Heimatsport unternimmt einen Streifzug durch die Jahrzehnte und beleuchtet in einer Serie verschiedene Themenbereiche. Heute Teil 4: Obmann Florian Steininger (24) über Karriere, negative Erlebnisse, Gewalt – und warum er nie den deutschen Clasico pfeifen würde.

Herr Steininger, Sie sind erst 24. Wie wird man in so jungen Jahren schon Obmann der Schiedsrichter-Gruppe Deggendorf?
Florian Steininger: Das ist tatsächlich eine gute Frage. Grundsätzlich war ich schon in jungen Jahren jemand, der gerne Ansprechpartner für andere war, Verantwortung übernehmen und Dinge voranbringen wollte. Begonnen hat meine „Funktionärskarriere“ bereits mit 16 Jahren, als ich zum Jugendkassier gewählt wurde – einem Amt innerhalb der Leistungs- und Förderschiedsrichter, zu denen ich damals zählte. Gemeinsam mit meinen beiden Kollegen Sebastian Barton und Michael Erndl im Jugendausschuss hatten wir unter anderem das Bubble Soccerturnier unserer Schiedsrichtergruppe 2017 auf die Beine gestellt und waren Hauptansprechpartner der jungen Mitglieder der Gruppe. Das hat mir bereits viel Spaß gemacht und hierbei hatte ich das Interesse entwickelt, noch mehr Verantwortung zu übernehmen.

Mit erst 18 Jahren erhielt ich die tolle Gelegenheit, mich als Schiedsrichtereinteiler für den Jugendbereich zu engagieren und mich so einzubringen. Mich hat diese Anfrage sehr gefreut und ich war sehr stolz darauf, diesen verantwortungsvollen Posten bekleiden zu dürfen. Da kam eine neue Herausforderung auf mich zu: Nun standen die erfahrenen und älteren Kollegen im Fokus und so lernte ich nach und nach alle Generationen unserer Gruppe immer besser kennen.

Auch dieser Posten gefiel mir sehr gut und nach einigen Jahren wurde ich dann letztendlich Schiedsrichtereinteiler für die 1. und 2. Herrenmannschaften. Eine Aufgabe, die mir auch heute noch viel Freude bereitet und durch die der Kontakt zum damaligen Obmann Matthias Braun immer mehr wurde. Wir tauschten uns über die Einteilung aus, ich bekam viele Tipps und Ratschläge von ihm und lernte dabei enorm viel. Nachdem Matthias Braun dann eine komplette Legislaturperiode in Doppelfunktion als Gruppen- & Kreisschiedsrichterobmann hinter sich hatte, merkte er, dass beide Positionen gleichzeitig auszuüben eine zeitliche Herausforderung darstellt. Aus diesem Grund entschied er sich, sein Amt zur nächsten Neuwahl im Jahr 2021 zur Verfügung zu stellen. Etwas überraschend bat er mich, seinen Posten zu übernehmen und mich zur Wahl zu stellen. Diese Bitte verstand ich als große Auszeichnung, aber auch als große Herausforderung.

Gemeinsam mit meinem jetzigen Stellvertreter Michael Erndl haben wir dann viel Zeit investiert und ein umfangreiches Konzept aufgestellt, wie wir als junge Führungsmannschaft die Schiedsrichtergruppe Deggendorf weiterhin auf Erfolgskurs halten können.

Als junger Mensch wächst man in Sachen von selbst hinein, wenn einem etwas extrem gefällt. Dadurch, dass ich sehr früh verantwortungsvolle Positionen in der Schiedsrichtergruppe Deggendorf ausüben durfte, arbeitet man sich von einem Posten zum Nächsten durch, ohne groß darüber nachzudenken. Und – es fühlt sich für mich zumindest so an – wird man quasi wie automatisch zum Obmann.

Habe selbst gespielt und war mit den Schiri-Leistungen nicht zu frieden



Was hat Sie dazu bewegt Schiedsrichter zu werden?
Florian Steininger: Ich habe selbst lange Fußball gespielt und war nicht immer ganz zufrieden mit den Schiedsrichterleistungen. Als naiver, junger Mensch dachte ich mir: „Das kann doch nicht so schwer sein kann, Schiedsrichter zu sein!“ Also habe ich bei meinem Heimatverein SV Deggenau das Interesse bekundet, ein Jugendspiel in der U9 pfeifen zu wollen. Ich wurde eines besseren belehrt: Es ist manchmal doch gar nicht so einfach, Referee zu sein! Gleichzeitig habe ich aber auch gemerkt, dass mir diese Aufgabe einen riesigen Spaß bereitet. So habe ich dann 2012 die Schiedsrichterprüfung abgelegt und bin es bis heute geblieben.

Und warum hören dann so viele Schiedsrichter auf?
Florian Steininger: Ich denke, dass mein Negativerlebnis ziemlich genau den Grund beschreibt, warum sehr viele vor allem direkt nach der Prüfung auch gleich wieder aufhören. Andere halten noch ein wenig durch und haben halt dann irgendwann später die Nase voll. Mangelnder Respekt und die Tatsache, dass viele ihre Aggressionen gerne am Sportplatz ausleben wollen, treibt viele irgendwann verständlicherweise dazu, mit unserem eigentlich geliebten Hobby aufzuhören. Vor allem in der heutigen Zeit gibt es so viele tolle Möglichkeiten, wie man seine Freizeit anderweitig verbringen kann. Dabei kann Schiedsrichterei sehr viel Spaß machen und das Hobby an sich prägt einen fürs ganze Leben. Man gewinnt viele wertvolle Erfahrungen insbesondere im Umgang mit Menschen und man lernt auch tolle Spielorte, Mannschaften und Freunde in der Schiedsrichterei kennen.

Irgendwann A-Klassenspiele ohne geprüften Referee



„Die wahren Helden sind die Referees im Amateurfußball, sagte letztes Jahr Bundesliga-Schiedsrichter Tobias Welz in Anlehnung an zahlreiche erschreckende Bilder bis hin zu rüden Jagdszenen“. Hat er Recht?
Florian Steininger: Natürlich hat der Kollege Recht. Auch in der vergangenen Saison hat ganz Fußball-Deutschland wieder einige, teils extrem schreckliche und verstörende, Aufnahmen im Amateurbereich gesehen, bei denen Schiedsrichter wie in einem rechtsfreien Raum quer über den Platz gejagt oder aufs Übelste bedroht und beleidigt werden. Aber der Fußball funktioniert nun mal nicht ohne Schiedsrichter. Und wenn sich der negative Trend an sinkenden Zahlen nicht aufhalten lässt, werden wir irgendwann beispielsweise A-Klassen-Spiele ohne einen geprüften Schiedsrichter sehen. Die genannten Bilder bestärken nur den Trend und ich glaube nicht, dass das im Sinne der Leute sein kann, die den Fußball leben und lieben.

Sie haben selbst gepfiffen bis zur Bezirksliga. Gab es für Sie als Schiedsrichter ein besonderes Negativerlebnis?
Florian Steininger: Ich bin sehr froh, dass ich tatsächlich bis heute kein extremes Negativerlebnis im Rahmen des Hobbys hatte. Zumindest wurde ich nie körperlich angegriffen oder aufs übelste beleidigt oder bedroht. Einzig geprägt hat mich ziemlich am Anfang meiner Karriere eines der ersten D-Jugendspiele (U13), die ich zu leiten hatte. Der Trainer der Mannschaft schrie dermaßen vehement über das ganze Spiel hinweg auf mich ein, sodass ich kurzzeitig überlegt hatte, die Pfeife wieder an den Nagel zu hängen. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch keine 14 Jahre alt war, hat mich das extrem beschäftigt und fertig gemacht. Man muss sich mal vorstellen, dass ein Erwachsener um die 40 Jahre einen 13-Jährigen anschreit und verunsichert, obwohl die Kinder, die er zu betreuen hat, selbst ungefähr in dem Alter sind. Diese Bilder werde ich wohl nie aus meinem Kopf bekommen, dieses Spiel habe ich bis heute nicht vergessen – es hat mich in gewisser Weise aber auch zu einem robusteren Menschen und Schiedsrichter gemacht. Heute denke ich nur noch mit einem Kopfschütteln an dieses Spiel und muss mich über das Verhalten des Trainers immer noch ärgern.

Das Verhalten der Profis beeinflusst insbesondere die Kinder und Jugendlichen



Beeinflusst der Profi-Fußball und insbesondere das teilweise respektlose Verhalten mancher Spieler und Trainer auch das Verhalten der Spieler und Trainer im Amateurbereich bis hin zu den Zuschauern?
Florian Steininger: Ja, da bin fest davon überzeugt. Insbesondere im Jugendbereich. Die Kinder nehmen ganz genau wahr, was in der Bundesliga oder Champions League alles abgeht und machen das natürlich nach. Im Erwachsenenbereich ist es selbstverständlich dasselbe. Daher ist es für die Amateurschiedsrichter sehr wichtig, wie im Profi-Bereich insbesondere mit Respektlosigkeit und Unsportlichkeiten umgegangen wird. Hier würde ich mir ohnehin wünschen, dass schneller und härter durchgegriffen wird. Die Akteure im Amateurbereich nehmen die Grenzen im Profibereich als Vorbild für ihre Spiele, was aus meiner Sicht nicht immer richtig ist.

Wie kann man aus der Perspektive der Schiedsrichter präventiv und deeskalierend arbeiten? Ist das überhaupt noch möglich im Amateurfußball?
Florian Steininger: Im Grunde genommen tut ein Schiedsrichter nichts anderes, als präventiv zu arbeiten. Wenn ein Spieler oder jemand auf der Trainerbank eine Grenze – sei es Foulspiel oder Unsportlichkeit – überschreitet, erhält man eine persönliche Strafe mittels einer Verwarnung, einer Zeitstrafe oder des Feldverweises auf Dauer, der roten Karte. Man spricht diese aus, um aufzuzeigen, dass diese Art und Weise des Spielens nicht erlaubt ist und nicht geduldet wird. Allerdings sind persönliche Strafen natürlich auch nicht immer Mittel zum Zweck. Vor allem deeskalierend kann man als Schiedsrichter mit seiner eigenen Persönlichkeit einwirken. Manchmal gelingt es einem und manchmal eben nicht. Und genau das ist das, was einen als Schiedsrichter immer wieder aufs Neue reizt. Sich dieser Herausforderung zu stellen und nach Ende des Spiels ohne Beschwerden vom Platz gehen zu können.

Welche Stärken sind für einen Schiedsrichter enorm wichtig?
Florian Steininger: Ich finde Persönlichkeit extrem wichtig ist. Ein guter Schiedsrichter findet mittels seiner gut einwirkenden Art und Weise einen gesunden Mittelweg zwischen Kommunikation und persönlicher Strafe, um ein Fußballspiel unauffällig zu begleiten. Aber auch etwas Robustheit und Selbstsicherheit sind wichtige Indikatoren, um Kritik und Einflussnahme wegstecken zu können. Andernfalls lässt man sich automatisch in seinen Entscheidungen beeinflussen, was normal und menschlich ist.

Gleichzeitig können wir bei unseren jungen Unparteiischen beobachten, wie sich die Persönlichkeit durch unser Hobby entwickelt und entfaltet. Das macht schon ein bisschen stolz, das so verfolgen und unterstützen zu können!

Auch bei uns nimmt es zu, dass Schiris nach dem Spiel über Social Media kontaktiert, bedroht oder beleidigt werden



Fußball lebt auch von Emotionen, auf dem Feld und auch auf den Rängen. Wo sind für Sie Grenzen erreicht? Was sind absolute No-Gos?
Florian Steininger: Emotionen enden für mich, wo es gegenüber anderen ins Persönliche geht. Freude, Trauer, Wut – Emotionen gehören selbstverständlich zum Fußball. Auch wir Schiedsrichter leben bei unserem Hobby Emotionen und müssen uns teilweise auch selbst zügeln. Für mich würde das Fußballspielen oder das Pfeifen ohne Emotionen gar keinen Spaß machen. Ich verstehe allerdings nicht, was persönliche Beleidigungen oder gar Bedrohungen und verbale Attacken mit Emotionen zu haben. Ich frage mich immer, ob die Personen die sowas tun auch selbst gerne beleidigt, bedroht oder körperlich attackiert werden. Besonders präsente No-Gos momentan sind Vorfälle nach einem Spiel. Wir haben in der vergangenen Saison im Profibereich mehrmals mitgekriegt, dass Schiedsrichter und ihre Familien bedroht werden. Das geht mir gar nicht in meinen Kopf, dass Leute sich nach einem Spiel die Mühe machen, und einen Menschen ausfindig machen wollen, um ihn zu bedrohen. Auch im Amateurbereich nimmt es zu, dass ehrenamtliche Schiedsrichter nach einem Spiel beziehungsweise über Social Media kontaktiert und bedroht beziehungsweise beleidigt werden.

Einmal ein Bundesliga-Spiel zu pfeifen, am besten noch den deutschen Clasico Bayern gegen Dortmund. Würde Sie das mal reizen?
Florian Steininger (lacht): Den Clasico würde ich nie pfeifen wollen beziehungsweise gar nicht erst können, da ich einen der beiden Vereine mag und den anderen nicht. Aber ein Bundesliga-Spiel pfeifen zu dürfen würde mich durchaus reizen. Das müssen unbeschreibliche Gefühle für die Kollegen in den Profiligen sein, wenn sie jede Woche aufs Neue mit hochkarätigen Mannschaften im Rücken riesige Stadien mit Zehntausenden von Zuschauern betreten. Diese Gefühle einmal selbst durchleben zu dürfen, würde mich schon sehr reizen, ja.

Warum hat’s nicht geklappt?
Florian Steininger: Für mich war es aufgrund zeitlicher Engpässe irgendwann nicht mehr möglich, Funktionär zu sein und gleichzeitig als Leistungsschiedsrichter in ganz Bayern unterwegs zu sein. Sowohl das eine als auch das andere sind extrem zeitintensive Hobbys. Ich habe mich gegen die Leistungsschiedsrichterei entschieden und daher wird es deswegen leider nie klappen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Schiedsrichter-Gruppe Deggendorf?
Florian Steininger: Steigende Mitgliederzahlen, mehr aktive Schiedsrichter. Und vor allem eins: Uns zeichnet unser gesellschaftliches Leben in der Gruppe aus. Das möchte ich als Obmann bewahren und ausbauen und hoffe darauf, dass uns das gelingt.


Zum Thema:

Teil 1 – Leistungsschiri im Amateurfußball früher und heute: Was sich für die Unparteiischen geändert hat

Teil 2 – Wie sich die Ausbildung der Fußball-Schiedsrichter verändert (hat) – und warum es immer weniger gibt

Teil 3 – Martha Scheungraber und Katharina Schwitz: Wie zwei taffe Frauen eine Männerdomäne erleben – und verändern