Deggendorf
"Mein erstes Mal" – den Takt angeben

In der Interview-Serie spricht Stadtkapellmeister Oliver Kellermeier von seinen Anfängen als Musiker

04.11.2020 | Stand 18.09.2023, 5:00 Uhr

Ein Bild aus besseren Tagen: Beim Frühlingsfestauszug 2018 führte Oliver Kellermeier (vorne rechts) mit dem Dirigentenstab in der Hand die Stadtkapelle an. Er ist seit 2014 Kapellmeister. −Foto: Archiv Birgmann

"Das erste Mal vergisst Du nie", heißt es. Gemeint sind wichtige Ereignisse im Leben eines Menschen: der erste Fall eines Juristen oder die erste OP eines Arztes. Warum diese Erfahrungen unvergesslich sind, zeigt die Interview- Serie "Mein erstes Mal". Heute: Oliver Kellermeier (37), Kapellmeister der Deggendorfer Stadtkapelle.

Corona bremst die Kultur- und Musikbranche heuer enorm aus. Wie denken Sie darüber?
Ich stand bisher hinter jeder Maßnahme, die von der Regierung kam. Inklusive dem Lockdown. Man wusste im März noch nichts über das Virus und wie groß die Durchseuchung in der Bevölkerung ist. Den jetzigen Teil-Lockdown finde ich aber etwas unglücklich und unverhältnismäßig. Es trifft genau die, die eh schon Schwierigkeiten haben. Die Wirte, die Kulturschaffenden und viele andere. Mir wird immer mehr bewusst, dass Kultur und Musik auch systemrelevant sind. Wir sind eine große Familie an Kulturschaffenden und wenn daran niemand teilhaben kann, geht viel verloren.

Was hat sich konkret für die Stadtkapelle verändert?
Der Probenbetrieb. Anfangs durften wir gar nicht proben, dann konnten wir nicht mehr in die Pestalozzi-Schule und sind in das alte Gewächshaus der Stadt ausgewichen. Als es im September früher dunkel wurde, brauchten wir wieder einen neuen Probenort. Bis Ende Oktober konnten wir in die Grundschule St. Martin, wo wir bis vergangenen Freitag geprobt haben. Auftritte hatten wir heuer fast keine. Einer der letzten war im Januar beim Besuch von Angela Merkel in der Stadthalle.

Wäre heuer noch etwas Großes geplant gewesen?
Ganz bitter war der ‚Verlust‘ unseres Frühjahrskonzerts in der Stadthalle. Neben Pflichtterminen und Konzerten hätten wir im November auch noch eine CD-Aufnahme gehabt. Die ist nun um zwei Jahre verschoben worden. Es ist ein groß angelegtes Projekt mit drei Kapellen zu Thema ‚Tausend Takte Blasmusik‘ vom Musikbund Niederbayern/Oberbayern. Zudem wollten wir heuer ein Andachtskonzert für vier verstorbene Mitglieder machen, die jahrelang bei der Stadtkapelle waren. Es ist sehr schade, dass das jetzt nicht möglich ist.

Zurück in die Vergangenheit: Sind Sie in einem sehr musikalischen Elternhaus aufgewachsen?
Nein gar nicht, weder Vater noch Mutter haben ein Instrument gespielt. Bei meinem Vater weiß man nicht genau, wie musikalisch er ist. Er hat es nie so rausgelassen (lacht). Er hat immer viel Musik gehört, aber nie Musik gemacht. Meine Mutter hat mit mir angefangen, ein Instrument zu lernen.

Was war das erste Instrument, das Sie gelernt haben?
Das allererste war Blockflöte im Kindergarten, dann habe ich mit Hackbrett angefangen und in der dritten Klasse bin ich relativ schnell zur Trompete gekommen.

Warum Trompete?
Ich schäme mich ein bisschen dafür, aber Stefan Mross war schuld. Ich habe ihn im Fernsehen gesehen und wollte können, was er kann. Da wusste ich nicht, dass ich nach einem Jahr auf seinem Niveau spiele (lacht).

Und wann ging’s dann zur Stadtkapelle?
Gleich als ich mit Trompete angefangen habe. Unser stv. Landrat Roman Fischer hat mich dazugeholt. Er war ein Polizeikollege von meinem Vater und hat viele Jahre aktiv bei der Stadtkapelle gespielt. Er hat mich zur Probe eingeladen. Mir wurde dann ein Trompetenlehrer vorgestellt und ich habe ein Leihinstrument bekommen. Nach einem Jahr Unterricht habe ich in der großen Besetzung mitgespielt.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Auftritt vor Publikum?
Mein allererster Auftritt war bei einem Marathon in Natternberg. Ich weiß noch, dass es mich total fasziniert hat, Teil von so einem Apparat wie der Stadtkapelle zu sein. Ein Orchester ist wie eine Maschine, die zusammenarbeitet. Am Anfang ist man nur ein kleines Rädchen, das sich mitdreht. Irgendwann wird das Rad größer und greift mehr ein.

2014 haben Sie den Dirigentenstock von Ihrem Vorgänger Franz Sprenzinger übernommen. Es war sicher eine Umstellung, auf einmal den Takt anzugeben?
Definitiv, es ist etwas ganz Anderes. Das erste Mal, als ich als Dirigent vor Stadtkapelle stand, war ein ganz komisches Gefühl. Viele Mitglieder kannten mich schon, da habe ich noch nicht mal die Füße bis zum Boden gebracht und auf einmal schaffe ich vorne an. Aber alle haben ganz willig mitgemacht und es war eine super Probe. Man wächst hinein in diese Aufgabe und es macht Spaß. Was mir ein bisschen fehlt, ist das aktive Musizieren. Ich habe mittlerweile mehr Leitungstätigkeiten, dadurch dass ich Musiklehrer bin und vor der Klasse stehe. Zudem leite ich in der Schule die Juniorband, einen Chor, einen Kammerchor und die Big Band der Stadtkapelle, die gerade aufgebaut wird. Durch Corona ruht sie jetzt.

Das erste große Highlight als Dirigent – was war das?
Das war das erste Donaufest. Da habe ich im Voraus gedacht ‚Was wird das denn‘. Wir sollten fünf Stunden Programm runterspielen und die Bühne war so klein, dass wir nicht alle draufgepasst haben. Aber der Auftritt war richtig schön. Es ist musikalisch so viel passiert. Wir haben saugute Musik gemacht und konnten unsere ganze Bandbreite vor 10000 Menschen zeigen. So viele haben uns noch nie zuvor gesehen. Die Leute haben mich am nächsten Tag noch darauf angesprochen, wie gut wir waren. Das war der Moment, wo ich mir dachte, wir müssen viel mehr Open-Air-Konzerte geben und uns trauen, auch mal was anderes als das übliche Repertoire zu spielen.

Welche Musik hören Sie privat gerne?
Ganz unterschiedlich. Zu meinen Favoriten gehören Nena, R.E.M. und Heinrich Schütz. Deren Musik spricht mir direkt aus dem Herzen. Ich mag aber auch die Band Haindling, das Blechbläserensemble German Brass oder die deutsche Hip-Hop-Band Blumentopf.

Gibt es jemanden, vor dem Sie gerne mit der Stadtkapelle spielen würden und zeigen, was sie können?
Hm. Wem würde ich das gerne zeigen, wer es noch nicht weiß (lacht). Es ist natürlich schön, wenn Honoratioren wie Angela Merkel, Papst Benedikt oder Markus Söder uns spielen hören. Aber in der Regel haben sie wenig Ahnung von dem, was wir da machen. Ich würde vor jemandem spielen wollen, der wirklich Ahnung von Blasmusik hat und weiß, was die Mitglieder ehrenamtlich in ihrer Freizeit auf die Beine stellen. Eine bestimmte Person fällt mir nicht ein.

Was wünschen Sie sich, wie es künftig weitergeht?
Ich hoffe, dass wir möglichst bald den normalen Probenbetrieb wieder aufnehmen können und in einen geregelten und vorhersagbaren Auftrittsbetrieb zurückkehren. Heuer war alles unter Vorbehalt und das war belastend. Künftig weiß man Sicherheiten wieder mehr zu schätzen.

Zur Person:

Oliver Kellermeier ist 1983 geboren und in Deggendorf aufgewachsen. Er hat in München Musik für Lehramt an Gymnasien und Musiktheorie studiert. Nach dem Referendariat und mehreren Planstellen kam er 2018 als Musiklehrer ans Robert-Koch-Gymnasium, wo er selbst Schüler war. Seit 2019 studiert er nebenbei Informatik in Passau. Er ist seit seiner Kindheit bei der Stadtkapelle, seit 2014 auch Dirigent. Er spielt Trompete, Flügelhorn und Kornett. Mit seiner Frau und den drei Söhnen lebt er in Neuhausen.

− ref