Bombe schlug am Trainingsplatz ein
Mit dem Zug aus der Kriegshölle – Jetzt ist Artur (18) Hoffnungsträger beim SV Wacker

01.11.2023 | Stand 01.11.2023, 16:53 Uhr
Thomas Ernstberger

Robust, schnell – und wild entschlossen: Wacker-Youngster Artur Andreichyk (rechts), hier im Regionalliga-Spiel gegen den FC Augsburg II. Der Kriegsflüchtling aus der Ukraine lässt an seinen großen Fußball-Ambitionen keinen Zweifel. − Foto: m.b.-Presse

Das ist eine dieser wunderbaren Geschichten, die nur der Fußball schreibt. Am 8. März 2022 flüchtete Artur Andreichyk mit Mutter Mariana und seiner 72-jährigen Oma aus der Ukraine nach Deutschland. Vater Vitali, ein erfolgreicher Fußball-Trainer, wollte und musste in Kiew bleiben. Jetzt lebt der 18-Jährige glücklich in Burghausen – und ist die große Hoffnung des SV Wacker.



Gerade wurde der Vertrag des jungen Außenstürmers vorzeitig bis 2027 verlängert – und dafür bedankte er sich beim 5:3 gegen Memmingen mit seinem ersten Tor im Herrenbereich. „Endlich! Ein geiles Gefühl, alle haben mir gratuliert“, sagt er. 16 Mal lief Artur in dieser Saison in der Regionalliga auf, zuvor spielte er 22 Mal in der Bayernliga-U19 – und schon fünfmal in der Ersten. „Er ist uns in der Jugend aufgefallen und wir haben ihn hochgezogen“, erzählt Karl-Heinz Fenk (56), Wackers sportlicher Leiter und „väterlicher Freund und Ratgeber“ des jungen Ukrainers. „Artur ist ein tolles Talent. Er hat eine gute Grundschnelligkeit, er ist top durchtrainiert und hat einen unglaublichen Ehrgeiz. Am liebsten würde er jeden Tag zweimal trainieren.“

Diesen Ehrgeiz legt Andreichyk nicht nur auf dem Fußballplatz an den Tag: Gerade hat er seinen Führerschein bekommen. „Alle Prüfungen aufs erste Mal bestanden“, berichtet er stolz – und freut sich aufs erste eigene Auto, einen gebrauchten Golf. Der junge Kriegsflüchtling macht in Pirach eine Ausbildung zum Elektroniker, besucht die Berufsschule in Altötting und hat schon prima Deutsch gelernt. In der Schule und natürlich auch mit Unterstützung von Freundin Camilla. Die beiden haben sich zum ersten Mal am Bahnhof in Burgkirchen gesehen, sind seit anderthalb Jahren ein Paar und wohnen seit kurzem in Burghausen zusammen. „Sie ist die schönste Frau der Welt“, schwärmt er. Ein freundlich-kräftiges „Servus!“, zur Begrüßung – und dann erzählt er vom Krieg in der Heimat und seiner Flucht. „Wir waren in Kiew mittendrin, immer wieder schlugen Raketen ein, unser Haus und die Schule haben längst keine Fenster mehr. Einmal wollte ich zum Training, aber mein Vater hat’s mir verboten. Ich bin dann mit Kopfhörern gelaufen, als ganz in meiner Nähe eine Bombe fiel – genau auf den Platz, auf dem ich eigentlich trainieren wollte…“

Anfang März 2022 dann die abenteuerliche, winterliche Zugfahrt nach Deutschland. „Eine lange Geschichte, echt Sch…“, erzählt er: Fünf Stunden Warten im Zug in der Ukraine, „draußen weinende Frauen und Kinder, die nicht mitdurften“, zehn Stunden an der polnischen Grenze, acht Kilometer zu Fuß zur nächsten Station, „viermal umsteigen in Polen, fünfmal in Deutschland.“ Dann waren Artur, Mama und Oma endlich in München. Cousin Dimi holte die drei ab und brachte sie nach Burgkirchen, wo sie drei Monate bei ihm wohnen durften.

Über die Vereine in der Nähe hatte er sich schon ausführlich informiert. Nach einer Trainingseinheit in Gendorf entschied er sich schnell für Wacker, wo er in der der U17 begann und dann durchstartete. „Das ging alles aber nur, weil mich hier alle ganz toll unterstützt und mir geholfen haben, neben dem „Fenki“ besonders die U19-Trainer Gerry Straßhofer und Gerhard Hansbauer sowie Hannes Sigurdsson und Thomas Kurz bei der Ersten. Dafür bin ich unendlich dankbar.“

Regionalliga in Burghausen ist jetzt für Artur der erste Schritt in Deutschland. Weitere sollen folgen: „Ich will mit Wacker nicht nur nicht ab-, sondern aufsteigen.“ Und dann hofft er, dass sich irgendwann sein Kindheitstraum erfüllt: „Ich wollte immer Fußball-Profi werden. Aber nicht irgendein Profi, sondern der beste...“