Literatur Live Burghausen
Gisela Schneeberger liest „Kindheitsgeschichten“: Jünger war auch nicht alles besser

12.03.2023 | Stand 17.09.2023, 1:06 Uhr

Zwei ergreifende „Kindheitsgeschichten“ hat die Schauspielerin und Kabarettistin Gisela Schneeberger für ihre Lesung im Burghauser Ankersaal ausgewählt. −Foto: Huber

Ein schwarzer Regenschirm, der wichtiger ist als der eigene achtjährige Sohn und eine zeitlebens frostige Beziehung einer Tochter zu ihrer inzwischen 80-jährigen Mutter. Es sind ergreifende Geschichten von Eugen Roth und Elke Heidenreich, die Schauspielerin Gisela Schneeberger für die abendliche Lesung mit dem Titel „Kindheitsgeschichten“ im Rahmen des Literatur-Live-Festivals in Burghausen ausgesucht hat.

Schneeberger schafft sofort eine entspannte Atmosphäre

Gisela Schneeberger betritt mit einer Selbstverständlichkeit die Bühne, die sofort Nähe schafft. Der vielfach preisgekrönten Schauspielerin, einem Millionenpublikum bestens bekannt aus Gerhard-Polt-Filmen wie „Man spricht deutsch“ oder bayerischen Erfolgskomödien wie „Eine ganz heiße Nummer“, scheint es wichtig, im leider nur halb gefüllten Ankersaal unmittelbar eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. Nach nur wenigen einleitenden Worten konzentriert sie sich aufs Wesentliche – und fängt an zu lesen.

So fällt es leicht, mittels der vertrauten Stimme Schneebergers den achtjährigen Jakob mit seinem Sonntagszugticket vierter Klasse auf der Reise zur liebevollen Tante Berta nach Grafing zu begleiten. Man darf miterleben, wie dem eben noch schwermütigen Buben in Eugen Roths Geschichte „Der Regenschirm“ seine „tief verschüttete Lebensgewalt der Jugend spontan ins Gesicht springt“, als er Bekanntschaft mit einem Uhrmacher samt Dackel Waldl schließt, der ihm zuerst beherzt mit einem Fünfzigpfennigstück aus der Patsche hilft und ihm obendrein noch einen Ausbildungsplatz verspricht. Dem Uhrmacher fällt sofort das „Mordstrum Paraplü“ auf, das der Junge bei sich führt – die kaltherzige Mutter Affra hatte ihm das unerwünschte Gepäckstück aufgezwungen, welches nur ja nicht verloren gehen dürfe.

Dem gebannten Auditorium ist es sichtlich eine Freude, Schneebergers eindrücklicher Lesung zu lauschen. Die 74-Jährige schafft es auch dank ihrer natürlichen Ausstrahlung, Jakob und seiner Geschichte Leben einzuhauchen.

Dieser tritt nach zwei sorglosen Tagen bei Tante Berta die Heimreise an. Ein „holdes Eingreifen des Geschicks“ sorgt dafür, dass Jakob im Zug erneut auf den netten Uhrmacher stößt. Diesem fällt gleich auf, dass der Bub den Schirm nicht mehr bei sich hat. Der Schreck des Jungen ist riesengroß, denn in diesem Fall gäbe es daheim ein „Ohrwaschelrennen“. Der Junge sinkt vor Erschöpfung von der Aufregung in einen Dämmerschlaf.

So wird Mutter Affra informiert, ihr Junge läge nach einem Zugunglück schwer verletzt im Krankenhaus. Der gebannte Zuhörer ahnt es schon – die erste Sorge der Mutter gilt nicht etwa ihrem Sohn, sondern dem Verbleib des Regenschirms. Die bedrückte Stimmung im Saal wurde noch intensiver, als die Mutter den Sohn alleine zurücklässt und sich aufmacht, nach dem Schirm zu suchen. Die eilig angereiste Tante Berta ist es, die Jakob in seinen letzten Stunden im Krankenhaus beisteht...

Privates erfährt man an dem Abend leider nicht

Nach einer kurzen Pause, in der man sich emotional vom unheilvollen Ende erholen kann, folgt der zweite von Gisela Schneeberger präsentierte Text: Elke Heidenreichs Erzählung „Die schönsten Jahre“ über eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung. Dieser zweite Text ist mit viel mehr Leichtigkeit verfasst und so gibt es im Publikum zahlreiche Schmunzler und Lacher.

Gisela Schneeberger konzentriert sich während ihrer Lesung voll und ganz auf eine lebendige und emotionale Präsentation ihrer „Kindheitsgeschichten“ und rückt dabei als Person völlig in den Hintergrund. Einige privatere Momente gibt es, als sie sich auf Grund ihres „Gestriches und Gestreiches“ im Text erst wieder zurechtfinden oder die Brille wechseln muss. Details über zweifellos interessante Geschichten aus ihrer eigenen Kindheit oder die konkreten Gründe für die Auswahl der beiden tiefgründigen Texte erfährt man an diesem trotz alledem unterhaltsamen Abend leider nicht.

Martina Huber