Deggendorf
Was der Landkreis mit der Griechenland-Krise zu tun hat

15.07.2015 | Stand 18.09.2023, 0:27 Uhr

Ankunft König Ottos und seines Regierungschefs Graf Armansperg in Griechenland im Februar 1833.

Deggendorf. Was der Landkreis Deggendorf mit der Griechenland-Krise zu tun hat? Ausgerechnet hier wurden die europäischen Entscheidungsträger des 19. Jahrhunderts fündig auf der Suche nach einem Regierungschef für Griechenland, nachdem sich dieses Land in einem lang andauernden Befreiungskampf von der türkischen Oberhoheit gelöst hatte und in die europäische Staatengemeinschaft einreihen wollte. Der allererste Vorgänger Alexis Tsipras‘ stammte aus dem Landkreis Deggendorf. Sein Name: Joseph Ludwig Franz Xavier Graf von Armansperg (1787-1853), dem damals Schloss Egg gehört hat. Die Hintergründe erläutern die Deggendorfer Geschichtsblätter in der neuen Ausgabe.

Es war ein alter Briefumschlag aus dem philatelistischen Handel, gelaufen am 20.8.1840 von Deggendorf nach Athen, der nach eigener Aussage den Historiker und 1. Vorsitzenden des Geschichtsvereins für den Landkreis Deggendorf, Dr. Ernst Schütz, zur Untersuchung dieses aktuellen Themas verleitet hatte. Das Schreiben war gerichtet an den britischen Gesandten in Athen, einen gewissen Sir Edmund Lyons, dessen Tochter in Griechenland einen bayerischen Militär geheiratet hatte und wohl gerade auf Schloss Egg zu Besuch beim Grafen war. Wie war es dazu gekommen?

Am Anfang war der Aufstand. Aufgrund einer chaotischen Interessenvermengung auf dem der türkisch-osmanischen Oberhoheit zugehörigen Balkangebiet war es Anfang der 1820er Jahre eher beiläufig als systematisch zu einem national gefärbten Aufbegehren der griechischen Untertanen des Sultans gekommen, das sich recht schnell in die nationalstaatlichen Wunschträume des frühen 19. Jahrhunderts einfügte und zum Symbol für Freiheit und Nationalstaatlichkeit in ganz Europa wurde – vor allem dort, wo es keine Nationalstaaten gab. Nachdem dies vor allem auf dem Gebiet des politisch nur lose miteinander verbundenen "Deutschen Bundes" der Fall war, bildeten sich hier zahlreiche "Philhellenen"-Gruppen heraus, die den Kampf der Griechen gegen die Osmanen vor allem durch finanzielle Zuwendungen unterstützten. Auch in Deggendorf und Hengersberg gab es jeweils eine solche Gruppe.

Dann geschah das Unglaubliche: Mit Unterstützung der europäischen Mächte England, Frankreich und Russland konnte sich ein souveräner griechischer Staat gründen – unter lediglich einer Bedingung: Die Griechen sollten sich einen König suchen. Die Wahl fiel 1832 auf Prinz Otto von Bayern, den jüngeren Sohn des Philhellenen König Ludwig I., welcher schon vorab per Dekret die Schreibung "Baierns" mit dem griechischen Buchstaben "y" verfügt hatte. Da aber Otto noch minderjährig war, musste ihm eine Regentschaft zur Seite gestellt werden, die an seiner Stelle die Staatsgeschäfte übernehmen sollte. Der einstige bayerische Außen- und Finanzminister Graf von Armansperg (von der bayerischen Bevölkerung ausgerechnet wegen seiner Austeritätspolitik spöttisch "Sparmansperg" genannt) wurde zum Präsidenten der Regentschaft ernannt.

Seine Regierungszeit in Griechenland erwies sich als stürmisch, sie war geprägt von gegenseitigen Intrigen der sich in die griechische Innenpolitik weiterhin mischenden englischen, französischen und russischen Faktionen, sowie von der in der Öffentlichkeit weithin umstrittenen Persönlichkeit Armanspergs. Der sich in der Facon eines liberalen englischen Gentleman gebärdende bayerische Xenokrat (also "Fremdherrscher") wirkte auf die Menschen vielfach kühl und distanziert, sprach kein Wort Neugriechisch und unternahm auch keine Anstalten, an diesem Umstand etwas zu ändern.

Seine alles andere als mundfaule Gattin hingegen brüskierte die feine Gesellschaft im noch jungen Athen mit ihren extravaganten Äußerungen nicht minder als mit ihrer üppig-avantgardistischen Garderobe, um die sie wohl auch ein Karl Lagerfeld beneiden würde. Überhaupt ließ sie die Welt auch ungefragt jederzeit wissen, dass ihr Mann allein geeignet sei, Hellas zu regieren. Ihre Schwiegersöhne hätte sie sehr gerne in den Reihen der königlichen Familie gesucht; an Verehrern ihrer hübschen Töchter jedenfalls ließ man es weder von dieser noch von anderer Seite jemals fehlen.

Innen- wie außenpolitisch blieben die Erfolge des Grafen durchwegs "griechisch": Durch seine klare Positionierung auf Seiten der Engländer, insbesondere seines Busenfreundes Sir Lyons, sowie durch die mangelhafte Übertragung eines bayerischen Fiskal- und Steuersystems kamen die Griechen politisch wie wirtschaftlich von Anfang an nicht richtig auf die Beine. Die Kredite der Schutzmächte reichten nicht vorne, nicht hinten aus, um nachhaltig zu einer Verbesserung der Lage zu kommen; sie konnten folglich auch nicht zurückbezahlt werden. Die feste Überzeugung des Regentschaftspräsidenten (den der König nach Erreichen seiner Volljährigkeit zum ersten "Erzkanzler" des Königreichs ernannt hatte), wonach man das Land eben nur mit den Menschen regieren könne, die es dort gebe, war sicherlich eine sehr pragmatische, führte aber letztlich wiederum zu der nicht minder festen Erkenntnis: Ohne ausländische Einmischung läuft hier nichts – und mit erst recht nicht.

Ob sich daraus die Abneigung der Hellenen von heute erklären lässt, sich von deutschen oder schweizerischen Beratern unter die Arme greifen zu lassen? Zumindest mit Blick auf die Ereignisse zwischen 1832 und 1862, als sich unter König Otto von Wittelsbach tausende von Bayern und Deutschen in Athen tummelten, scheint diese Annahme durchaus gerechtfertigt. Sie waren damals aus meist selbst prekären Verhältnissen nach Griechenland gekommen, um dort bei den bayerischen Hilfstruppen, in der regulären griechischen Armee oder auch bei Hofe Dienst zu tun und sich ein kleines Stückchen Land zu ergattern, durch dessen Bewirtschaftung sie sich wenigstens ein kleines bisschen Wohlstand auf fremdem Boden aufzubauen erhofften.

Anhand der aus dem Deggendorfer Raum dorthin aufbrechenden Personen lässt sich recht leicht nachvollziehen, was aus diesem Experiment geworden ist: Abgesehen von ein paar Abiturienten aus dem Mittelstand, die in der Armee und im unmittelbaren Umfeld des Königs kurzfristig "Karriere" machten (wie beispielsweise der Zeughausmeister Hartwagner aus Deggendorf oder der königlich griechische Tafeldecker Stenzer aus Hengersberg), waren die allermeisten von ihnen zu Hause verschuldet bis über beide Ohren und erblickten in Hellas eine Möglichkeit, ihrer Misere zu entfliehen – stellvertretend sei verwiesen auf den Grundholden des Erzkanzlers, Georg Prior aus Egg, der dem Grafen auch am anderen Ende Europas hunderte von Gulden für sein Häuschen an der Straße nach Metten schuldig bleiben sollte. Bayern, der vermeintliche Hort des Philhellenismus in Europa, schickte beileibe nicht seine Elite zur "Rettung" der Griechen – und die merkten das.

Resigniert stellte 1835 der katholische Garnisonspfarrer von Athen (und nachmalige Schlosskaplan Armanspergs auf Schloss Egg), Johann Nepomuk Visino, fest: "Aber noch mehr schaudert’s mich, wenn sich bey Betrachtung der Zeitläufe mir die schreckliche Gewissheit aufdrängt: Alle diese Opfer fallen umsonst! Und würde man Hellas‘ Thäler mit deutschem Blute düngen, es wird nie zur Blüthe kommen, denn seine Bewohner wollen sich nicht helfen lassen!"

− dz

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