Fußball-Missionar mit Titel-Makel: Mastermind Pep scheitert in München an der eigenen Verkopftheit

05.05.2016 | Stand 05.05.2016, 20:46 Uhr

Der Meister der großen Gesten: Pep Guardiola lebt und leidet das Spiel an der Seitenlinie. −F.: Rst., MiS/2

Vorwürfe? Nein, Vorwürfe kann man den Bayern keine machen. Zumindest nicht nach diesem Spiel, das fußballerisch in der ersten Halbzeit nahezu perfekt war und später von einer Willenskraft lebte, die in dieser Form nur selten zu beobachten ist. Eigentlich servierten die Münchner die perfekte Mixtur für eine magische Europapokal-Nacht, doch am Ende reichte Diego Simeones "Schurkentruppe" aus Madrid ein einziger Moment der bayerischen Unachtsamkeit, um den Traum vom Triple zu zerstören. Das Champions-League-Finale findet zum dritten Mal in Folge ohne die Bayern statt. Und Pep Guardiolas Titel-Mission in München? Sie ist endgültig gescheitert.

"Ich bin noch nicht tot, my friends", hatte der vielleicht beste Fußballtrainer der Welt nach der 0:1-Pleite im Hinspiel trotzig gerufen. "Ich habe noch ein Bullet." Vielleicht wäre Müllers Elfmeter diese eine Kugel gewesen. Doch Müller traf nicht. Diese eine verdammte Kugel. Vorbei. Bayern flog raus. Und damit war das Feuer auf den Trainer eröffnet. "Ich weiß, was passieren wird. Sie schreiben ja bereits", raunte Guardiola am Dienstag gegen Mitternacht den Berichterstattern in der Allianz Arena zu. Das katalanische Trainergenie – ausgeschieden, angezählt, an den Pranger gestellt.

Doch was bleibt tatsächlich nach drei Jahren Guardiola in München? Welche Schublade wird in der Zukunft geöffnet werden, wenn an der Säbener Straße über den Spanier gesprochen wird? Die der Gescheiterten, wo Namen wie Ribbeck, Trapattoni und Klinsmann schlummern? Oder steht Guardiola doch ein Platz zu in der Galerie der großen Bayern-Trainer, dort, wo die Porträts von Jupp Heynckes und Ottmar Hitzfeld prangen?

121 Siege in 158 Pflichtspielen hat Guardiola geholt. Aber die werden schon bald vergessen sein. Drei deutsche Meisterschaften in Folge. Aber wäre das nicht einem Hermann Gerland als Chef auch gelungen? Dreimal in Folge im Champions-League-Halbfinale. Ja mei, sagt man in Bayern, aber eben auch kein Endspiel. Und das hat einst sogar ein Louis van Gaal erreicht. Mit einer fußballerisch wesentlich limitierteren Mannschaft wohlgemerkt.

Dass Guardiola einzig und allein am Titel in der Champions League gemessen wird, nervt ihn schon lange. Manche Kenner behaupten gar, dass er aus diesem Grund München nach drei Jahren verlassen wird. Ergebnisse und Erfolge – in Guardiolas Gedanken spielen sie eine andere Rolle als in der öffentlichen Wahrnehmung. Jeden seiner Akteure besser machen. Das Spiel revolutionieren. Taktisch in neue Sphären tauchen. Schachbrett statt Schlachtfeld – das ist Guardiolas Welt. Er ist besessen von Fußball, vom schönen Spiel, von Ballbesitz und doppelten Doppelpässen.

Tatsächlich hat Guardiola das Spiel des FC Bayern revolutioniert. Oft genug hat sich Fußball-Deutschland berauscht an einzigartigen Ballstafetten. Doch wenn es in der Saison wirklich ernst wurde, dann war es mit dem Spaß vorbei. Erstes Halbfinale gegen Madrid? Ins offene Messer gelaufen, verzockt mit einem fatalen 4-2-4-System. "Es war meine Schuld", gab Guardiola später zu. Dann Barcelona. Auf die extreme Verletzungssituation im Team reagierte der Trainer mit ganz viel Mut, ließ offensiver verteidigen als jemals zuvor. Das ging lange gut. Am Ende stand es 0:3. Und jetzt also Atlético. Guardiola schickte im Hinspiel seine spanische Schönspieler-Fraktion um Thiago in den Ring, wo eine Bande von Fußball-Fieslingen wartete. Und verlor 0:1.

Sicher, nicht alles was schiefging, darf dem Trainer angelastet werden. Und doch ist ein gewisses Muster zu erkennen. In den entscheidenden Schlachten hat Guardiola die falschen Waffen gewählt. In den entscheidenden Phasen der Saison haben die Bayern unter ihm nicht ihr volles Potenzial abrufen können. Warum? Vielleicht, weil der Trainer taktisch zu verkopft gehandelt hat. Weil er die Dinge nicht einfach Mal laufen ließ, so wie 2013 Jupp Heynckes, der seine Triple-Mannschaft nicht ständig neu erfinden musste.

Guardiola hat vom FC Bayern alles bekommen, was er gefordert hat. Thiago, einen Hybrid-Rasen, ja sogar der über Jahre heilige Medizinmann Müller-Wohlfahrt wurde für den spanischen Fußball-Missionar geopfert. Ein Trainer, der einem Club derart viel abverlangt wie Guardiola, muss sich an mehr messen lassen, als am eigenen Anspruch, die Spieler und das Spiel besser gemacht zu haben. Er muss große Titel liefern. Das hat Guardiola nicht getan.

Nun wird der rastlose Spanier also weiterziehen. Als Unvollendeter. Manchester statt München, mit dem Ziel, den englischen Fußball umzukrempeln. Und die Bayern? Die bekommen mit Carlo Ancelotti einen neuen großen Trainer. Einen absoluten Fußballfachmann, dem ein hervorragender Umgang mit Stars vorausgesagt wird. Vielleicht, weil er sich nicht ganz so wichtig nimmt, weil er es menscheln lässt in der Mannschaft. Unter Ancelotti gilt: Der Trainer und seine Spielidee sind nicht größer als der Club und die Spieler. Keine Frage, Bayern wird in Zukunft wieder ruhiger werden. Einfacher. Bayerischer. Und das ist nach drei Jahren Pep auch gut so.