Lange Schlangen vor den Kinos in Cannes
Nur echt mit Hut und Peitsche: Harrison Ford spielt zum letzten Mal Indiana Jones

19.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:54 Uhr
Doris Groß

Mit seinen 80 Jahren ist er knorriger und langsamer geworden: Harrison Ford als Indiana Jones – oder Dr. Henry Walton Jones Jr., promovierter Archäologe, wagemutiger Schatzjäger und immer im Kampf gegen die bösen Nazis. −Foto: dpa

Für ein paar Minuten flackerte Harrison Fords Leben an ihm vorbei – nicht alles, aber ein guter Teil davon. „Es heißt, das passiert, bevor man stirbt“, sagte die sichtlich gerührte Schauspiellegende in Cannes auf der Bühne des großen Premierensaals Lumière.

Im Falle des 80-Jährigen handelte es sich aber nur um eine Karrierehommage, um Ausschnitte aus seinen Filmen, eine Erinnerung an die vielen Rollen, in denen er Hollywoodgeschichte schrieb. Quicklebendig war er kurz zuvor mit Mads Mikkelsen, Phoebe Waller-Bridge und seiner Frau Calista Flockhart über den roten Teppich gelaufen und erhielt im Saal dann die Goldene Ehren-Palme für sein Lebenswerk.

„Aber jetzt müssen wir einen Film gucken“

„Ich bin sehr bewegt von dieser Auszeichnung, aber jetzt müssen wir einen Film gucken“, fügte er trocken hinzu. Und dieser Film war: „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“, der fünfte und letzte Teil der Abenteuerreihe. Darin schlüpft Ford noch einmal in die ikonische Rolle des Archäologen mit Hut, Peitsche und Schlangenphobie, den sich unter anderem George Lucas einst ausdachte und Steven Spielberg vier Mal auf die Leinwand brachte.



Der Ansturm auf die Eintrittskarten war riesig, die Schlangen vor den Kinos waren lang wie keine anderen für das große Finale 42 Jahre nach „Jäger des verlorenen Schatzes“. Dabei war mit dem Film fast nicht mehr zu rechnen. Die Produktion war lange angekündigt, dann aber mehrfach verschoben, Spielberg sprang als Regisseur ab, James Mangold („Logan – The Wolverine“) dafür ein. Und Ford? Wurde derweil auch nicht jünger. Als 2021 endlich gedreht wurde, wurde er schon 79.

In der langen Anfangssequenz ist davon noch nichts zu sehen: Eindrucksvoll digital verjüngt jagt er einmal mehr einem archäologischen Artefakt nach und muss dabei – natürlich – den Nazis entkommen. Die Szene ist ein Actionwirbel, mit Indiana Jones am Strick, einer Bombe und einer Verfolgungsjagd auf Motorrad und Zug, die mitreißend den Geist der alten Indy-Filme einfängt. Dann aber: Schnitt und Zeitsprung ins New York Jahrzehnte später, an den Tag an dem Dr. Jones in Rente geht – eigentlich.

Schon beginnt die Suche nach der zweiten Hälfte des geteilten Rads des Schicksals und nach dem Grab des Archimedes: Mal ist er auf der Flucht im Tuk-Tuk in den engen Gassen von Tanger. Mal beim Tauchgang in der Ägäis. An seiner Seite ist kein Flirtanhängsel in Stöckelschuhen wie einst, sondern Phoebe Waller-Bridge als seine erwachsene Patentochter Helena: zeitgemäß, smart, eigenwillig, zulangend. Mads Mikkelsen gibt den Widersacher und unverbesserlichen Nazi namens Jürgen Voller. „Noch bevor ich Schauspieler werden wollte, wollte ich Indiana Jones sein“, sagte der Däne über den Einfluss der Filme.

Regisseur Mangold zögerte zunächst, Spielberg auf den Regiestuhl zu folgen. „Das ist eine große Verantwortung und verbunden mit so vielen Erwartungen, von denen man nur einige erfüllen kann“, sagte er. Sein „Rad des Schicksals“ ist nicht der ganz große Wurf geworden, aber doch ein Actionabenteuer, das Motive der Reihe variiert und in seinen besten Momenten nostalgisches Indiana-Jones-Gefühl erzeugt.

Vor allem Fords rauer Charme trägt den Film noch etwas weiter, wenn er auch hier die aussichtsloseste Situation noch trocken kommentiert. Durch sein Alter ist er knorriger und langsamer. Trotzdem schwingt er sich aufs Pferd für einen Ritt in der New Yorker U-Bahn, läuft, springt und vermöbelt die Nazis. Wo es denn danach für ihn hinginge, wurde er auf der Pressekonferenz gefragt? „Ist das nicht offensichtlich“, antwortete er darauf lachend. „Ich muss mich hinsetzen und ausruhen.“

Sascha Rettig