Sonderschau in Garmisch-Partenkirchen
Michael Endes „Momo“ wird 50 Jahre alt

25.08.2023 | Stand 25.08.2023, 16:09 Uhr

In der Ausstellung werden auch zahlreiche Werke von Michael Endes Vater Edgar Ende gezeigt, etwa „Der Tänzer“ aus dem Jahr 1951. −Foto: VG Bild-Kunst, Bonn

Ein Roman im Zentrum einer Ausstellung – das kennt man normalerweise nur von international berühmten Großschriftstellern. Aber ein Jugendbuch wie „Momo“? Tatsächlich machte es seinen Autor Michael Ende weltweit bekannt: in mehr als 50 Sprachen übersetzt, 20 Millionen mal verkauft, und heute nicht weniger aktuell, denn die Zerstörung unseres Planeten schreitet weiter voran. Deshalb nun widmet das Werdenfels-Museum dem 1973 veröffentlichten, durchaus visionären Werk zum 50. Geburtstag unter dem Titel „Geh doch zu Momo“ eine ungewöhnliche Hommage, die auch unbekanntere Facetten der Biografie des Schriftstellers in den Blick nimmt.

Die Dunkelkammer kannte Michael Ende schon als Kind

Sie startet in der „Dunkelkammer“, einem alten Kellergewölbe, mit einem Bildnis des 22-Jährigen, porträtiert vom Vater Edgar Ende. Die „Dunkelkammer“ kannte Michael Ende (1929–1995) bereits als Kind, saß der Vater doch immer wieder stundenlang im verdunkelten Atelier und wartete auf innere Bilder. Die Ergebnisse prägten den Sohn, entwarf der Maler doch in der surrealistischen Tradition eines René Magritte, noch mehr des Salvador Dali, fantastische Visionen, erschreckende Dystopien der drohenden Endzeit. Im großen Raum des zweiten Obergeschosses füllen sie eine ganze Wand: blattlose Wälder, ein Stelzen-Mann ohne Unterleib, der in einer Zelle aufgehängte „Gefangene Kentaur“, ein Todesengel, aber auch hoffnungsfroh ein „Felsen der Weisheit“.

Mit umfangreichem dokumentarischem Material zu Werdegang und Werk wird Michael Ende dem Besucher nahe gebracht. Auch er fertigte Zeichnungen an, von denen einige zu „Momo“ zu sehen sind, etwa das „Sternenkloster“.

Den ganzen Treppenschacht füllt eine Installation, die wie ein vertikaler Zettelkasten daherkommt: Gedankensplitter, Wortspielereien, kleine Notate. Wer die Lampen-Kreationen des berühmten Designers Ingo Maurer kennt, wird an die „Zettel’Z 5“ erinnert. Neben der Schreibmaschine, auf der alle Manuskripte getippt wurden, darunter „Jim Knopf“, „Lukas der Lokomotivführer“, „Die unendliche Geschichte“, „Der Wunschpunsch“ oder „Norbert Nackendick“ in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Wilfried Hiller, findet sich auch ein Typoskript der ersten Seite von „Momo“. Nur der bekannte Anfang blieb ohne handschriftliche Korrekturen; er stimmte im Märchenton auf die Geschichte der kleinen Momo, die nichts als Zeit besitzt, der Schildkröte Kassiopeia und den grauen Männern ein: „In alten, alten Zeiten, als die Menschen noch ganz andere Sprachen redeten ...“

Die Figur Momo in unterschiedlichen Formen

Momo begegnet einem in unterschiedlichsten Formen: als selbst gebaute Marionette des Düsseldorfers Anton Bachleitner, an dessen Marionettentheater die meisten Geschichten dramatisiert wurden, als Schattenriss und auf vielen Farbfotografien. Aber auch als Figur aus dem Film, den Autor Ende total ablehnte, oder als Cover auf vielen Publikationen, die neben der Treppe in die beiden oberen Geschosse des Museums liegen. Dazu findet sich Anekdotisches zur Ideenfindung; bei „Momo“ wurde eine Taschenuhr ohne Zeiger zur Initialzündung. Im Kontrast zu den Gemälden seines Vaters steht eine Videowand, auf deren bewegtem Wabengitter ein wenig verwirrend Bildschnipsel zum Hauptwerk sausen. Davor eine Vitrine mit Michael Endes Schildkröten-Sammlung sowie dessen japanisches Tee-Service. Bekanntlich hatte sich der Schriftsteller mit seiner zweiten Frau, einer Japanerin, frustriert, um nicht zu sagen verbittert, nach Italien zurückgezogen. Warf man ihm doch in Deutschland in einer Zeit, wo auch Kinderbücher realistisch in der politischen Realität verankert sein sollten, Eskapismus und Weltflucht vor – ohne zu ahnen, wie sehr er die heutige Entwicklung der Welt vorausgesehen hatte.

Ein Literaturklassiker feiert Geburtstag

Momo ist ein besonderes Mädchen. Eines Tages taucht sie plötzlich am Rand der großen Stadt auf und fasziniert ihre Nachbarn mit einer Gabe: Sie kann zuhören wie kein anderer. Am Ende rettet sie die Menschen, weil sie ihnen die Zeit zurückbringt, die ihnen die „grauen Herren“ gestohlen haben.

Am 1. September 1973 erschien der Märchen-Roman „Momo“ von Michael Ende. Jetzt wird der 50. Geburtstag des Kinderbuches gefeiert, mit einer Neuauflage und einem Bilderbuch im Thienemann-Esslinger-Verlag, einem Hörspiel und einer Ausstellung in Garmisch-Partenkirchen, dem Geburtsort Endes. Es scheint, als sei das Buch heute so aktuell wie damals.

Die Zeit ist das Kernthema von „Momo“. „Sie ist eine der Urerfahrungen des Menschen, das hat Michael Ende beschäftigt“, sagt Roman Hocke, langjähriger Freund und Lektor von Michael Ende (1929-1995).

Die Theaterwissenschaftlerin Floriana Seifert hat ihre Doktorarbeit über Michael Ende geschrieben und zum 50-Jahr-Jubiläum zusammen mit Constanze Werner die Ausstellung „Geh doch zu Momo“ in Garmisch-Partenkirchen kuratiert. „Die Geschichte von ,Momo‘ beginnt in einer positiven Welt: Es gibt eine Gemeinschaft, die Menschen treffen sich und nehmen sich Zeit füreinander“, erzählt sie. Als das Mädchen Momo auftaucht, bemerken alle schnell deren besondere Gabe: Sie kann so zuhören, dass sie dadurch Streits schlichten, Probleme lösen und aus jedem Menschen dessen verborgene Fähigkeiten herauslocken kann.

Doch dann kommen die grauen Herren in die Stadt. Unter dem Vorwand, sie für ein späteres, besseres Leben aufzubewahren, stehlen sie den Menschen ihre Zeit. Diese werden nun missmutig, müde und verbittert, haben keine Zeit mehr für Gespräche, für ihre Kinder, ihre Freunde. Den Mangel an Zeit versuchen sie, mit Konsum zu kompensieren.

„Für mich sind die grauen Herren nichts anderes als die Repräsentanten des nur und ausschließlich quantifizierbaren Denkens“, sagte Michael Ende einmal. Alles werde zählbar und messbar – und damit gleichgültig. Am Ende stehe die „totale Entfremdung des Menschen von seiner Lebenswirklichkeit“.

„Momo“ ist das erfolgreichste Buch von Michael Ende: 1974 erhielt es den Deutschen Jugendliteraturpreis, bis heute wurde es in 53 Sprachen übersetzt und über zwölf Millionen Mal verkauft.

Barbara Reitter/epd


Museum Werdenfels, Garmisch-Partenkirchen, Ludwigstraße 47; bis 7. Februar 2024, Di-So 10-17 Uhr.