Salzburger Festspiele
Mitten in der Dunkelheit ist Erlösung: So gut ist Bohuslav Martinůs Oper „Eine griechische Passion“

14.08.2023 | Stand 12.09.2023, 23:33 Uhr

Die Dorfbewohner (Wiener Staatsopernchor) scharen sich um Priester Grigoris (Gábor Bretz, links) und bereiten die Passion vor. −F.: SF/Rittershaus

Statt der Ouvertüre, eine Prozession. Dorfbewohner scharen sich um den Priester Grigoris, der die Rollen für das Passionsspiel verteilt: Manolios als Christus, Katerina als Maria Magdalena, Yannakos als Petrus, Panais als Judas. Da schleppt sich eine Schar Geflüchteter auf die Bühne, schwer bepackt und angeführt von ihrem Priester Fotis. Als eine der Geflüchteten vor Entkräftung tot zusammenbricht, behauptet Grigoris hinterlistig, es sei die Cholera. Das greift: Die Dörfler wollen die Asylsuchenden loswerden. Einzig Manolios und Katerina, die sich mit ihren Passionsrollen identifizieren, bieten ihnen Hilfe an.

Die Handlung basiert auf einem Roman von Nikos Kazantzakis und hat einen historischen Hintergrund: ethnische „Säuberungen“ Anfang der 1920er Jahre, im Griechisch-Türkischen Krieg. 30 Jahre darauf verfasst Bohuslav Martinů Libretto und Musik zur Oper „A Greek Passion“. Die Salzburger Festspiele haben dieses faszinierende Werk wiederentdeckt. Die Premiere letzten Sonntag in der ausverkauften Felsenreitschule war ein fulminanter Erfolg. Die schrecklich aktuelle Thematik und Martinůs vielschichtige Musik trafen den Nerv des Publikums. Dirigent Maxime Pascal führte die Wiener Philharmoniker, die Chöre (Wiener Staatsopern- sowie Salzburger Festspiel- und Kinderchor) und die Solisten mit präzisen Einsätzen. Dass das Orchester mitunter etwas laut wirkte, mag der Saalakustik geschuldet sein. Es gibt auch ergreifend leise Klänge und a-cappella-Stellen in dieser Oper. Martinů verlangt zwei Chöre. Regisseur Simon Stone und Kostümbildnerin Mel Page stellen sie sinnfällig einander gegenüber: die statischen, eisgrau gekleideten Dörfler und die mobilen, bunt gekleideten Geflüchteten.

Die Gesangssolisten: Weltklasse. Sebastian Kohlhepp (Manolios) und Charles Workman (Yannakos) glänzen tenoral und überzeugen darstellerisch. Gleiches gilt für die Sopranistinnen Sara Jakubiak (Katerina) und Christina Gansch (Lenio). Großartig verkörpern Gábor Bretz und Łukasz Golinski die konträren Priester Grigoris und Fotis.

Das Bühnenbild (Lizzi Clachan) ist ein riesiger, grauer Guckkasten. Manchmal öffnet sich der Boden, wobei sich die Symbolik des Auftauchens und Versenkens nicht immer erschließt. Drei Wandmaler seilen sich ab und pinseln ockerfarbene Buchstaben auf die graue Wand, ein zynisches Manifest der Fremdenfeindlichkeit: „Refugees out! Aufgestachelt vom Hassprediger Grigoris, ermorden Dorfbewohner Manolios.

Dennoch klingt seine Aussage nach: „Mitten in der Dunkelheit ist Erlösung am Werk.“ Ob sie für die Asylsuchenden kommt, bleibt offen. Sie ziehen weiter, mit klagendem Unisono. Eine ergreifende, grandiose Inszenierung, die sich ganz in den Dienst von Martinůs Musik und der Thematik des Buches stellt. Das Premierenpublikum erhob sich von den Plätzen und spendete zehn Minuten lang tosenden Beifall.

Helmut Rieger


• Weitere Aufführungen in der Felsenreitschule: 18., 22., 27. August