Politisches Kabarett
Im Krisensturm: Urban Priol in der Passauer Redoute

24.10.2022 | Stand 19.09.2023, 3:58 Uhr

Die Frisur ist sturmerprobt wie eh und je, statt ätzendem Spott gibt es bei Urban Priol in Passau aber immer wieder und gänzlich unironisch ein Plädoyer für Zusammenhalt und Empörungsabrüstung. −F.: Schweighofer

Politisches Kabarett in diesen Zeiten? Geht das noch? Diese Frage kann man durchaus stellen. Angesichts der Krisen, die sich immer höher über den Köpfen der verantwortlichen Politiker auftürmen. Angesichts ihrer schieren Dimension. Gibt es was zu lachen über den Krieg in der Ukraine? Welches Satirepotenzial steckt im Klimawandel?

Urban Priol gehört zum Inventar des politischen Kabaretts, seit 1982 ist er dabei und hat es etwa als Moderator von "Neues aus der Anstalt" zu großer Beliebtheit gebracht. Wenn der Aschaffenburger also in der rappelvollen Passauer Redoute sein Programm "Im Fluss" auf die Bühne bringt, dann ist das eine gute Gelegenheit, der Frage nach der Satirefähigkeit dieser Zeit nachzuspüren.

"Man darf nicht nur Satire machen, man muss sogar." Urban Priol macht diese Ansage gleich zu Beginn seines Auftritts – und legt los. Dass der 61-Jährige mit der Sturmfrisur, den knallbunten Turnschuhen und den interessanten Hemden – diesmal mit Fischmotiven – ein großartiger Stimmenparodist ist, weiß man, seitdem er sich als "Mutti Merkel" durch seine Programme rautete. Neue Paraderollen für Priols Stimmbänder sind der rheinische Singsang von Gesundheitsminister Karl "davor kann ich nur warnen" Lauterbach und der schwäbelnde Pathos von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Herrlich.

"Im Fluss" hat Priol sein Programm genannt, weil es sich tatsächlich ständig verändert, anpasst an den steten Strom des politischen und gesellschaftlichen Wahnsinns. Immer noch eine große Rolle spielt bei ihm die Corona-Pandemie – als "Metamorphose des Covid". Es geht dem Schlingerkurs der Politiker an den Kragen, noch mehr aber den Impfgegner und Querdenkern: "Leute, die glauben, dass eine Impfung ihre DNA verändert, sollten das als Chance begreifen."

Schnell wird klar, wer die Priolschen Lieblingsopfer an diesem Abend sein würden – die Union samt einer ehemaligen Kanzlerin, deren Politik über 16 Jahre einem ganzen Land nun auf die Füße falle, sowie eines bayerischen Ministerpräsidenten, den Priol in voller Montur, also "in Niedertracht", auflaufen lässt. Und dann die Liberalen: "Man kann nur richtig schlecht regieren, wenn die FDP mit im Boot ist." Der "Schildbürgerstreich" von Verkehrsminister "Wirsing", äh Wissing, der behauptet hatte, für ein Tempolimit auf deutschen Straßen würden die Schilder fehlen, sei da nur ein Beispiel.

Genüsslich und mit enormem Tempo seziert Priol die Unzulänglichkeiten der Regierenden und die Widersprüchlichkeiten der Regierten. Er wird dabei immer wieder erstaunlich ernst: Sei es bei einem gänzlich unironischen Lob für Annalena Baerbock, die endlich das Duckmäusertum im Auswärtigen Amt beendet habe, oder wenn es an grundsätzliche Fragen unseres Zusammenlebens geht. In der Corona-Krise habe es immer geheißen, man müsse die Alten, also die vulnerable Gruppe, vor den Jungen schützen. In der Klimakrise sei es doch genau umgekehrt – da müssten die Jungen vor den Alten geschützt werden, die davon nun aber plötzlich lieber nichts mehr hören wollen und stattdessen über jugendliche "Klima-Chaoten" herziehen würden.

Und dann sei da die unheimliche Empörungswilligkeit unserer Social-Media- und Clickbait-Welt mit all ihren aufgeblasenen Scheindebatten von Winnetou bis "Layla", die nur ablenken vom Wesentlichen. Statt sich um Gendersternchen zu streiten, sollten alle gemeinsam auf die Straße gehen, um für gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu streiten. "Wir verästeln uns", konstatiert Priol. Und wünscht sich, ebenfalls ganz unironisch, eine Welt, in der auch mal weniger reicht, dafür die Menschen wieder netter zueinander sind. Statt ätzendem Spott serviert der 61-Jährige ein Plädoyer für Zusammenhalt. Ist also noch die Zeit für politisches Kabarett? Mehr denn je.

Dominik Schweighofer