Nach Rauswurf von Putin-Freund Gergiev
Der Jüngste seiner Art: Lahav Shani (34) wird Chef der Münchner Philharmoniker

01.02.2023 | Stand 17.09.2023, 4:08 Uhr

Jung und zugleich konservativ ausgerichtet: Lahav Shani, 1989 geboren in Tel Aviv. −Foto: Marco Borggreve

Im Orchesterleben tut sich derzeit gewaltig viel. Konventionen und Rituale werden hinterfragt. Das Münchener Kammerorchester arbeitet nicht mehr mit einem Chefdirigenten, sondern mit drei eng verbundenen Dirigenten, das Concertgebouw-Orchester hat ab 2027 den 27-jährigen Finnen Klaus Mäkelä zum Chef des Spitzenorchesters gewählt. An diesen Trend knüpfen nun die Münchner Philharmoniker an. Auf einer Pressekonferenz mit dem Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter und dem Orchester wurde am Mittwoch offiziell bekannt gegeben – samt Vertragsunterzeichnung –, dass Lahav Shani Chefdirigent des Klangkörpers wird.

Manches erinnert an Mentor Daniel Barenboim

Lahav Shani wurde 1989 in Israel geboren und ist mit 34 Jahren der jüngste Chef der Münchner Philharmoniker seit über 100 Jahren. Ähnlich wie im Fall von Mäkelä in Amsterdam geht es auch für Shani in München erst später los, nämlich 2026. Sein Vertrag läuft dann zunächst für fünf Jahre. Damit beerbt Shani den zuvor geschassten Valery Gergiev. Nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hatte die Stadt den Vertrag Gergievs aufgehoben, weil sich dieser nicht vom Krieg und von der russischen Politik öffentlich distanzieren wollte.

Auf den ersten Blick wirkt die jetzige Wahl Shanis wie ein Paradigmenwechsel. Stadt und Philharmoniker setzen nicht auf einen Stardirigenten, sondern auf ein junges Talent. Shani zählt zu den begabten jungen Dirigenten. Allerdings wirkt sein künstlerisches Profil ähnlich konservativ wie bei seinem großen Mentor Daniel Barenboim. Wie dieser ist auch Shani als Pianist aktiv, und wie Barenboim liebt er den breiten, runden, vollen Orchesterklang samt gemäßigten Tempi. Einen historisch informierten Beethoven darf man genauso wenig von ihm erwarten wie einen frisch-frechen Mozart.

Allein mit dieser eher konservativen Grundhaltung fügt sich Shani im Grunde sehr gut in die Reihe der bisherigen Philharmoniker-Chefdirigenten seit Sergiu Celibidache ein. In Orchesterkreisen stößt man auf ein geteiltes Echo auf Shanis Interpretationen, auch in München. Ob beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, beim Bayerischen Staatsorchester und den Münchner Philharmonikern: Manche Musiker bezeichnen seine Interpretationen als „solide“ bis „langweilig“. Auch bei den Philharmonikern in Rotterdam, wo Shani seit 2018 und noch bis 2026 wirkt, gehen die Meinungen auseinander. So sei Shani zwar ein „Meister der Ausbreitung von Strukturen im Horizontalen“.

Mit den Berlinern blieb er irritierend blass

Bei Spätromantik und Moderne, die in die Vertikale strebt, bleibe das Ergebnis jedoch eher blass. Das hört man aus Rotterdam zu Shanis Gestaltungen von Igor Strawinsky, Richard Strauss und Gustav Mahler. Für die Münchner Philharmoniker ist das durchaus problematisch. Immerhin hatte das Orchester einst zwei Mahler-Sinfonien uraufgeführt: die „Vierte“ und die „Achte“. Auch das Münchner Kindl Strauss zählt freilich zum Stammrepertoire.

Zweifel aufkommen ließ auch 2021 das Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker: Shani war für den erkrankten Kirill Petrenko eingesprungen. Max Bruchs Violinkonzert Nr. 1 klang irritierend schwerfällig, Strawinskys „Feuervogel“ recht farblos, in der martialischen „Fledermaus“-Ouvertüre von Johann Strauss wähnte man sich beim Einmarsch preußischer Truppen in Österreich. In Shanis Generation gäbe es künstlerisch spannendere, verfügbare Persönlichkeiten, übrigens auch Frauen. So mutig waren die rot-grün regierte Stadt und die Philharmoniker nicht.

Marco Frei