Traunstein
Umfangreiche Hilfe nach einem Blitzstart ins Leben

Kinderintensivstation und zwei Nachsorge-Organisationen kümmern sich um Frühchen und ihre Eltern

18.11.2022 | Stand 25.10.2023, 11:15 Uhr

Frühchen sind Winzlinge, eine Hand voll Menschlein, die viel zu früh das Licht der Welt erblickt haben. Für ihren plötzlichen Start ins Leben brauchen sie viel medizinische und pflegerische Hilfe. Die Kinderintensivstation der Traunsteiner Kinderklinik ist spezialisiert auf die Behandlung von Frühgeborenen. Hier weiß man auch um die Sorgen und Ängste der Eltern. Man gibt ihnen Halt und Kraft, um die schwierige Anfangszeit zu überstehen, und auch Nachsorgeangebote. Damit aus Frühchen fröhliche, aufgeweckte und ganz normale Kinder werden.

Die beiden Schwestern Lina und Lotta sprudeln nur so vor Lebensfreude. Lina ist 19 Jahre alt, hat das Abitur in der Tasche und absolviert gerade ein soziales Jahr in Spanien. Demnächst will sie mit zwei Freundinnen nach Nicaragua reisen. Die 14-jährige Lotta spielt Schlagzeug, reitet gerne und möchte mal Grundschullehrerin werden. Dass die beiden Mädchen elf Wochen zu früh auf die Welt kamen und nicht mal eineinhalb Kilogramm wogen, sieht man ihnen längst nicht mehr an. Aber Mama Andrea Hochhäusler kann sich noch sehr gut an die schwere erste Zeit nach den beiden Geburten erinnern, die sich frischgebackene Eltern so ganz anders erträumen: Statt ihr Neugeborenes stolz in den Armen zu halten, lag sowohl Lina als auch Lotta unter Schläuchen und an Sensoren verkabelt im Inkubator, dem Brutkasten. Monitore überwachten permanent ihre wichtigsten Körperfunktionen.

Telemedizin und innovative Augen-Kamera

Deutschlandweit werden pro Jahr etwa 60000 Kinder zu früh geboren. Eines von zehn Neugeborenen ist ein Frühchen. Jedes Jahr am 17. November macht der Welt-Frühgeborenentag auf sie aufmerksam.

Auf der Kinderintensivstation der Traunsteiner Kinderklinik mit dem Schwerpunkt Neonatologie ist man spezialisiert auf die Behandlung und typische Erkrankungen von Neugeborenen. "Wir entwickeln ständig neue Konzepte, um unsere Versorgung nach neuesten Erkenntnissen und Modellen weiter auszubauen. Dieses Jahr haben wir beispielsweise die Telemedizin eingerichtet, damit wir als Neonatologen bei unvorhersehbaren Komplikationen jetzt auch die Geburtsstation der Kreisklinik Bad Reichenhall von Traunstein aus mitbetreuen können", sagt Professor Gerhard Wolf, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Traunstein. Auch eine innovative RetCAM für die schonende Untersuchung der sensiblen kleinen Augen wurde pünktlich zum Frühgeborenentag in Betrieb genommen. So ein Gerät findet man fast nur an großen Universitätskliniken.

"Der Wunsch nach einem ebenso seltenen neuartigen Erstversorgungstisch bleibt noch offen. Dieser Tisch kann in den OP gefahren werden, und die Erstversorgung des frühgeborenen Kindes findet dann ganz nah bei der Mutter und noch an der Nabelschnur statt. Den Start ins Leben so sanft wie möglich zu gestalten, ist uns einfach ein großes Anliegen", fügt die leitende Oberärztin Dr. Virginia Toth hinzu.

Kuscheln wie ein Känguru

Frühgeborene müssen nicht nur einige Tage, sondern Wochen und Monate auf der Kinderintensivstation versorgt werden. Eine Zeit, die den Eltern extrem viel abverlangt, die Sorgen um ihren Nachwuchs sind groß. In der Kinderklinik Traunstein werden sie deshalb von Beginn an in die Pflege eingebunden. Sie können jederzeit zu ihrem Kind, es streicheln und liebkosen. "Känguruhen" nennt man den engen Körperkontakt zwischen Frühchen und Eltern, bei dem das Baby nur mit einer Windel bekleidet und zugedeckt auf der nackten Brust von Mama oder Papa liegt und Liebe und Wärme tanken kann.

"Als Lina beim Känguruhen anfing, an mir hochzukrabbeln, habe ich gleich Angst bekommen, aber es war ein schönes Gefühl", weiß Andrea Hochhäusler noch. Sie und ihr Mann haben sich in der Krankenhauszeit abgewechselt, so dass tagsüber fast immer jemand bei den Töchtern im Krankenhaus war. "Die Mädchen waren beide nicht viel größer als eine Handpuppe. Aber die Kinderintensivpflegekräfte auf der Frühchenstation waren uns eine riesengroße Hilfe", erzählt Andrea Hochhäusler, die selbst ausgebildete Intensivpflegerin ist und größten Respekt vor der Arbeit der Kolleginnen hat: "Das ist gigantisch, was sie leisten."

Ihre größere Tochter Lina entwickelte sich damals rasch. "Als sie stabil genug war, dass wir sie mit nach Hause nehmen konnten, wollte ich sie unbedingt stillen. Die ersten zwei Wochen waren nicht einfach, aber schließlich hat es geklappt", macht Andrea Hochhäusler anderen Frühchen-Mamas Mut.

Leonie: 410 Gramm bei Geburt in der 27. Woche

Ihre jüngste Tochter Lotta musste hingegen auch daheim während ihres ersten Lebensjahres vom Monitor überwacht werden, anfangs rund um die Uhr, später nur nachts. "Lottas Lungen waren nicht richtig mitgewachsen, sie musste die erste Woche nach der Geburt beatmet werden. Natürlich machen einen so eine Überwachungsmaschine und das Gepiepse erstmal nervös. Aber man gewöhnt sich daran und lernt sein Kind immer besser kennen."

Auf der Kinderintensiv- und der Neugeborenenstation Traunstein kümmert sich ein ganzes Team ums Frühchen, und alle haben stets auch ein offenes Ohr für die Sorgen der Eltern. Das wusste auch Mama Janina Ramelsberger sehr zu schätzen. Ihre Tochter Leonie ist heute ein knappes Jahr alt. Ein quietschvergnügtes Mädchen, das gerade mit dem Laufen beginnt und die Welt erkundet. Dabei kam sie in der 27. Woche zur Welt, sie wog nur 410 Gramm. "Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie klein sie mal war", sagt Janina Ramelsberger. Drei Monate war Leonie in der Klinik, eine herausfordernde Zeit, die vor allem Mama Janina viel Kraft kostete. "Ich war zehn bis zwölf Stunden täglich dort und habe sogar das Essen vergessen. Irgendwann haben mich die Ärzte und Schwestern regelrecht nach Hause geschickt, um mal zu entspannen und etwas Schönes mit meinem Mann zu unternehmen."

Bevor Leonie entlassen wurde, durften die Eltern mit ihrer Tochter noch ein paar Tage auf die Mutter-Kind-Station, als sanften Übergang zum Daheimsein. Denn auch wenn Frühchen-Eltern den Zeitpunkt der Entlassung herbeisehnen, plagt sie ein Gefühl der Überforderung. Nach einer "intensiven" Zeit der "High-Tech"-Überwachung und "Rund-um-die-Uhr"-Betreuung sind sie zuhause plötzlich allein und auf sich gestellt. "Es war eine Umstellung, die Vitalwerte von Leonie nicht mehr zu sehen, aber wir haben uns sehr schnell daran gewöhnt und uns super zuhause eingelebt", erzählt Janina Ramelsberger.

Am Klinikum Traunstein bieten zwei Nachsorge-Organisationen Begleitung durch die erste Zeit in der häuslichen Umgebung an: Der "Bunte Kreis" bietet Nachsorge im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe an. "Wir unterstützen Familien mit Frühgeborenen unter der 32. Schwangerschaftswoche oder mit kranken Neugeborenen. Eine persönliche Nachsorgeschwester bietet den Eltern in den ersten Monaten zuhause ihre Hilfe mit Hausbesuchen an und vernetzt zu passenden Hilfs- und Therapieangeboten", so Anita Wimmer, pflegerische Leiterin und "Case-Managerin" des Bunten Kreises am Klinikum.

Zusätzlich gibt es auch die "Harl.e.kin"-Nachsorge, die vom Diakonischen Werk getragen wird. "Wir begleiten und beraten Familien mit früh- und risikogeborenen Kindern nach der 32 Woche ganz individuell, unter anderem in Fragen der Pflege, der Entwicklung oder auch bei Problemen mit häufigem Schreien", erklärt Rebecca Seidler, die Koordinatorin von "Harl.e.kin".

Auch Andrea Hochhäusler und ihr Mann haben damals Unterstützung in Anspruch genommen. Was sich seitdem aber nicht geändert hat: Ihre beiden mittlerweile großen Töchter halten sie noch immer voll auf Trab.