Traunreut
Das Alfa Mobil macht Halt in Traunreut: Auch Erwachsene haben Probleme beim Schreiben und Lesen

6,2 Millionen Betroffene in Deutschland

10.05.2023 | Stand 16.09.2023, 22:20 Uhr
Pia Mix

Passanten konnten beim Alfa Mobil testen, ob sie wissen, wie manche Wörter geschrieben werden. Heißt es richtig Karusell, Karrusell, Karussell oder Karrussell? −Foto: Mix

Von Pia Mix

Den Tag am Morgen mit der Zeitungslektüre beginnen, das Mittagessen nach einem Rezept kochen, ein Antragsformular ausfüllen, eine E-Mail schreiben oder den Kindern vorlesen. Für die meisten erwachsenen Menschen sind das ganz normale, alltägliche Verrichtungen. Es gibt aber in Deutschland 6,2 Millionen Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren, für die solche Tätigkeiten ein Problem darstellen. „Man kann seine Schwäche gut überspielen.

Wenn man es nicht will, kommt keiner drauf“, erklärt Klaus Dräger, der früher selbst betroffen war und heute als „Lernbotschafter“ mit dem Alfa Mobil unterwegs ist. Das Alfa Mobil des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung macht auf die Problematik von Lese- und Schreibschwächen aufmerksam und zeigt Hilfen auf. Nach Traunreut kam das Alfa Mobil auf Einladung des Mehrgenerationenhauses.

Die beiden Koordinatorinnen des MGH Veronika Ebner und Angela Auer luden Fachkräfte aus sozialen Einrichtungen der Region zu einer Schulung ein. Sie erhielten einen Überblick über das Thema, aber auch praktische Tipps, wie damit umzugehen ist, wie man Betroffenen helfen kann. Ein großes Problem sei es, überhaupt erst an die Menschen heranzukommen, die nicht richtig lesen und schreiben können. Oft könne es nur über Dritte geschehen. Denn in der Zeitung davon lesen können diese ja nicht.

Und dass man zumindest eine vertraute Person braucht, die von der Schwäche weiß und einem zur Seite steht, weiß auch Klaus Dräger. Er konnte nur mangelhaft lesen und hatte große Probleme beim Schreiben. „Ich hab das immer verborgen.“ Es gebe viele Möglichkeiten, wie man sich immer wieder herausredet: „Ich nehm das Formular mit und fülle es zuhause aus“ oder „ich hab meine Brille gerade nicht dabei“, sind da nur ein paar der gängigen Ausreden. Als er aufgrund einer Krankheit an einen anderen Arbeitsplatz versetzt wurde, wo er viel Schreibtätigkeit gehabt hätte, war für ihn der Zeitpunkt gekommen, die Schwäche gegenüber dem Arbeitgeber zuzugeben.

Die Reaktionen darauf seien sehr unterschiedlich ausgefallen. Er habe sowohl Verständnis als auch Ablehnung und Verachtung zu spüren bekommen. Klaus Dräger hat damals einen vhs-Kurs gemacht und ein Lerncafé besucht. Heute ist er mit dem Alfa Mobil unterwegs und gibt seine Erfahrungen an andere weiter. Denn Angebote, auch als Erwachsener noch lesen und schreiben zu lernen, gibt es durchaus. Der Lernbotschafter sagt heute: „Ich bin selbstsicherer und dadurch offener im Kontakt mit anderen geworden. Vor meiner Zeit im Lese- und Schreibkurs habe ich mich abgekapselt und eingeschränkt gefühlt. Jetzt muss ich mich nicht mehr verstecken.“ Die Ursachen für Analphabetismus können ganz unterschiedlich sein. Negative Schulerfahrungen, geringes Selbstbewusstsein, Probleme im Elternhaus oder Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb können eine Rolle spielen. Und mit der Zeit sowie zunehmendem Alter wird die Hemmschwelle sich zu outen immer größer.

Im Mehrgenerationenhaus können Betroffene Hilfe finden. Ein Alphabetisierungskurs musste zwar aufgrund mangelnder Teilnehmer gestrichen werden. Es gibt jedoch die Formularwerkstatt, in der man Hilfe beim Ausfüllen von Formularen oder beim Schreiben von Briefen bekommt. Außerdem sind die Frauen im MGH immer ansprechbar und können an Stellen verweisen, wo Betroffene Hilfe finden. Ob der Besuch des Alfa Mobils in einer Stadt erfolgreich war und Früchte trägt, ist nicht leicht feststellbar. „Oft kommen erst später Reaktionen in Form von Rückfragen bei uns an, beispielsweise übers Telefon“, berichtet Daniel Weber. Es gäbe auch immer wieder als Folge des Besuches Anmeldungen bei entsprechenden Kursen. Die größte Hürde sei die Scham der Betroffenen. „Hier läuft viel über Vertrauen, das erst aufgebaut werden muss.“