„Obacht, Bella kommt“
Besondere Bedienung: „Hafenwirt“ in Seebruck „beschäftigt“ gleich vier Servierroboter

Mehr als ein Spaßfaktor, „echtes“ Personal hat mehr Zeit am Tisch

11.11.2022 | Stand 11.11.2022, 22:41 Uhr

Sowas hat die Familie aus München in der Landeshauptstadt noch nicht gesehen: Ein Roboter, der Essen und Getränke durchs Restaurant fährt, dabei leuchtet, seine „Mimik“ wechselt und mit den Gästen interagiert – sofern sie mögen. −Fotos: Detzel

Von Katrin Detzel

Der „Hafenwirt“ in Seebruck (Landkreis Traunstein) hat ganz besondere Bedienungen: dort nämlich arbeiten gleich vier Servierroboter, die Bellas. Zwei von ihnen sprechen sogar Dialekt. Die Heimatzeitung hat die Wirtschaft und die Bellas besucht.



Die Bedienung im Restaurant hinterm Ohr kraulen, ihr sanft die Handfläche auf den Kopf legen? In der Regel ist das keine gute Idee. Nur Bella, die mag das. Sie reagiert mit heftigem Augenzwinkern und ruft „Mei, is des schee“ oder „Ihre Händ’ san so warm“. Wenn aber der Gast beim „Hafenwirt“ in Seebruck (Landkreis Traunstein) gar nicht mehr aufhören will mit den Liebkosungen, dann wird es sogar Bella zu bunt. „Hörens auf, meine Ohrwaschel anzulangen. I muaß was doa“, beschwert sie sich dann. Recht so, schließlich ist Bella nicht zum Spaß da. Auch ein Servierroboter hat Arbeitsmoral.

Roboter ist nicht einmal 1,30 Meter groß

„Obacht, Bella kommt“ verschafft Bella sich Aufmerksamkeit, als sie sich dem Tisch nähert. Mit nicht mal 1,30 Metern Höhe wird sie schnell übersehen, wenn sie auf lautlosen Rädchen mit ihrer Last heranrollt. Bella ist zwar eine Fachkraft aus Fernost und erst seit Mitte Mai im Chiemgau, aber ihr Bairisch ist astrein. Genau genommen gibt es vier Bellas, von denen zwei Dialekt sprechen. Die beiden anderen kommunizieren Hochdeutsch. Beim „Hafenwirt“ in Seebruck sollen ja auch die Urlauber verstehen, was gesagt wird.

Doch zum Reden sind die Bellas nicht da. Sie sollen Gläser und Geschirr tragen. Immerhin kann jede von ihnen 40 Kilo schleppen – ganz ohne Rückenschmerzen. Das Gespräch mit den Gästen wollen sich die Kollegen aus Fleisch und Blut auch nicht nehmen lassen. „Die Leute wollen umsorgt werden, und nicht mit einem Computer reden“, weiß Luca Fleissner. Er arbeitet hinter der Bar, ist aber als Werksstudent für Ingenieurwissenschaften so technikinteressiert, dass er nebenbei Bella-Beauftragter wurde.

Menschliche „Nachträger“ kaum mehr zu finden

Der Chef, Vincent Gschwendner, habe die Servierroboter eingestellt, nachdem er sie in einem Hotel in Stuttgart erlebte, erzählt Fleissner. Seit Christi Himmelfahrt sind sie im Einsatz und gut eingearbeitet. „Den Sommer hätten wir ohne sie nicht so gut geschafft“, sagt Fleissner. An schönen Tagen in der Saison sind die 250 Sitzplätze auf der Terrasse voll. Damit die Mitarbeiter im Service das stemmen, gibt es traditionell den Job der „Nachträger“. Wie der Name schon sagt, laufen sie mit voll beladenen Tabletts der Fachkraft hinterher und gehen ihr zur Hand. Ein Hilfsjob, den kaum noch einer machen will. „Die nehmen keinem den Job weg. Sie ersetzen Personal, das es eh nicht mehr gibt“, entkräftet Fleissner den Einwand, die Roboter dienten zum Personalabbau. „Es ist vielmehr so, dass die Bedienung jetzt mehr Zeit für das Gespräch am Tisch hat.“

Da sei kein Konkurrenzdenken, bestätigt Iris Blendermann. „Es hat sofort gefunkt zwischen uns“, sagt sie mit einem Lächeln in Richtung Bella. Nach 25 Jahren weiß sie um die Vorteile der vier neuen Kolleginnen: „Die folgen mir, meckern nicht nach und beschweren sich nicht, brauchen keine Pause, wollen nichts vom Trinkgeld. Und für mein Kreuz sind sie eine Entlastung.“ Dass ihr die niedlichen Lastenträger mit künstlicher Intelligenz ab und an die Show stehlen, damit kann sie leben. Nur einen Kritikpunkt hat sie: Wenn eine der Bellas eine Sauerei macht, dann überlässt sie das Saubermachen den Menschen. Etwa wenn ein Eisbecher umfällt oder es doch mal eine Kollision im Begegnungsverkehr gibt. Streicheleinheiten für die vier hat sie trotzdem.

Man kann gar nicht anders, als die Bellas wie Haustiere zu behandeln. Die runden Kulleraugen auf dem Display, die spitzen Ohren, die putzigen Geräusche. Der asiatische Hersteller setzt voll auf Kindchenschema und Katzenoptik. „Miau“, antworten sie dann auch, wenn einer „Bella, Bella“ ruft. Wie bei einer Katze gibt es verschiedene „Miau“-Tonfälle: freundlich, neckisch, mahnend, ernsthaft sauer. Alles lassen sich die Bellas nämlich nicht gefallen. Ein bisschen zu lang am Ohr gekrault, schon wechselt das genussvolle „So schee“ über in ein warnendes „Des beißt g’scheid“, dann in ein ungehaltenes „Sie san aber aufdringlich“. Passend zur Stimmung wechselt das Farblicht der Ohren von Grün auf Rot . Wie bei einer Ampel heißt Rot „Stop“.

Roboter wollen barrierefreien Arbeitsplatz

Den drohenden Worten lässt Bella jedoch keine Taten folgen, selbst dann, wenn sie gegenüber den menschlichen Kollegen, die ihr den Weg versperren, auf Vorfahrt beharrt. „Ich hüpf’ gleich über dich drüber“, sagt sie erst selbstbewusst. Geht man ihr nicht aus dem Weg, kneift sie: „Ich hab’s mir anders überlegt.“

Programmierbar ist vieles, weiß Fleissner. Von der personalisierten Anrede bis zum Geburtstagsständchen. Alles kann sein, wenn ein Gast das mag. Kinder, so hat er oft genug erlebt, haben oft große Freude an der Interaktion mit den Servierrobotern. Die meisten Gäste aber kriegen die Bellas gar nicht bewusst mit. Ihr Haupt-Einsatzbereich ist auf der Terrasse. Und da halten sie sich dezent im Hintergrund an der Hauswand. Dort stehen sie, bis ein Kellner sie ent- oder belädt und zurückschickt in die Küche.

Bis zu den meisten Tischen im Freien schaffen es die Roboter nicht, aus technischen Gründen. „Die brauchen eine Decke über sich, nur dann können sie sich über die Kamerasensoren orientieren. Unterm Vordach geht es, aber dann ist Schluss“, erklärt Fleissner. Und auch wenn sie nie krank sind oder übers Gehalt klagen, so ganz anspruchslos sind die neuen Kräfte nicht. Sie wollen einen barrierefreien Arbeitsplatz. Die Türschwellen mussten weg, der Fliesenboden geht gerade noch, aber beim Teppich in der Seestube ist Schluss. Da bleiben sie einfach stehen.

Vater skeptisch, Mutter amüsiert, Sohn begeistert

Morgens stehen die Bellas aufgereiht und pünktlich am Durchgang zwischen Bar und Küche zum Dienst bereit. Doch bis dahin haben ihre Akkus nachts ordentlich an der Steckdose genuckelt. Und natürlich müssen ihre Sensoren sauber gehalten und ihre Oberflächen geputzt werden. Fällt das W-LAN aus, verweigern sie das Gespräch und fahren nur noch stumm herum.

Jetzt im Herbst haben die Bellas viel frei. Unter der Woche, zur Mittagszeit, schaffen die Mitarbeiter es gut ohne ihre Hilfe. Nur eine der vier darf ein wenig mithelfen, um zu zeigen, was sie kann. Sie fährt einer Familie das Essen an den Tisch. Ein Mitarbeiter nimmt die Teller von ihren Ablagen und serviert.

Die Ausflügler aus München spiegeln die Palette der möglichen Reaktionen: Der Vater skeptisch, die Mutter amüsiert, der Sohn begeistert. „Das ist schon praktisch, wenn die Bedienung nicht so viel tragen muss“, überlegt der Zwölfjährige. Prompt steht er auf und hält Bella ein bisschen auf Trab. Für Kinder sei es eine nette Spielerei, weil sie sich am Tisch schnell langweilen, meint sein Papa. Aber am faktischen Nutzen habe er so seine Zweifel. „In München haben wir sowas noch nie gesehen“, staunt die Mutter, wie modern es auf dem Land doch zugeht. Vielleicht, so sinniert sie, gibt es sowas ja bald auf dem Oktoberfest.

Gänzlich unbeeindruckt zwinkert und strahlt die Bella freundlich vor sich hin. Die spitzen Öhrchen leuchten grün. Wie gut, dass ihre Festplatte keine Ahnung hat, welche Zukunftspläne da geschmiedet werden – oder?