Pfarrkirchen
Warum ein Gerichtssaal wie eine Theaterbühne ist

23.01.2023 | Stand 17.09.2023, 4:49 Uhr

Beim Neujahrsempfang von Stadt und Wirtschaft: (vorne von links) Stefan Rickinger (Freie Wähler), Landrat Michael Fahmüller, Ex-MdL Reserl Sem, Bezirkstagsvizepräsident Dr. Thomas Pröckl, MdL Martin Wagle, Hauptredner Peter Küspert, Wifo-Vorsitzende Stephanie Schlagmann, Bürgermeister Wolfgang Beißmann, Bezirksrätin Mia Goller, Rainer Niedermeier (SPD) und Tobias Hanig (Grüne) sowie (hinten von links) Kaspar Sammer (Geschäftsführer Euregio), Rainer Brandl (Alpenverein), Anja Gaßner (JL/BL), MdL Alexander Muthmann, Ehrenbürger Georg Riedl sowie die stellvertretenden Bürgermeister Hans Hirl und Hermann Gaßner. −Foto: Koschinski

Was haben Kunst und Justiz gemeinsam? Auf den ersten Blick gar nichts. Doch wenn man genauer hinschaut oder besser gesagt hinhört, so tut sich die ein oder andere Gemeinsamkeit auf. Peter Küspert, ehemaliger Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und des Oberlandesgerichts München, schaffte es fast beiläufig, mit seiner Rede beim Neujahrsempfang von Stadt und Wirtschaft am Sonntagabend zu erklären, warum Kunst und Justiz einander brauchen.

„Ist das Kunst oder kann das weg? – Zum schwierigen Verhältnis von Kunst und Justiz“ lautet der Titel seines Vortrags. Was trocken klingt, kann aber durchaus unterhaltsam sein, wie die über 200 Gäste schnell merken. Küspert zeigt mit vielen teils amüsanten Beispielen, wie Kunst und Justiz miteinander in Berührung kommen. Sei es gewollt oder ungewollt.

Wie das Theater, habe auch der Jurist seine Bühne – nämlich den Gerichtssaal. Nicht selten komme es hier vor, dass man sich verkleide. Zwar nicht wie früher mit Perücke, Barett und Goldschnur, so Küspert, aber immerhin mit Robe. Das, was sich dann im Gerichtssaal selbst zuträgt, gleiche einem Schauspiel. Den Verhandlungen liege ein Drehbuch zugrunde, bei dem mal stärker und mal weniger stark improvisiert werde. Küspert erzählt von einem fiktiven Fall, der verdeutlicht, dass sich Juristen des Öfteren mit folgender Frage beschäftigen müssen: „Was ist Kunst überhaupt?“ Kunst zu beschreiben, sei laut Küspert schwieriger als Justiz zu definieren. Er zitiert diverse Paragrafen der Bayerischen Verfassung und kommt zu dem Schluss: „Die Kunst ist frei. So weit, so gut? Ganz so einfach ist es aber leider nicht.“

Es müsse jemanden geben, der Regeln durchsetze, also die Freiheit der Kunst und der Künstler schütze. Eine Instanz also, die entscheide, wer Recht hat und wer nicht: die Justiz. „Und die Justiz ist es auch, die im Zweifel entscheiden muss, ob es sich überhaupt um Kunst handelt.“ Dies sei gar nicht so leicht, müsse Kunst das notwendige Mindestmaß an eigenschöpferischem Gehalt vorweisen. Wann und wo das der Fall sei, würden die Richter festlegen. Und so kann es schon mal sein, dass RTL verklagt werde, Pflichtabgaben an die Künstlersozialkasse zu zahlen, weil die Leistung eines Sängers bei der Castingshow DSDS eine künstlerische Darbietung ist. „Selbst wenn sie sich auf sehr niedrigem Niveau befindet.“

Zu beurteilen, wie ästhetisch die künstlerische Qualität eines Werks sei, obliege selbst den Gerichten nicht, meint Küspert. Jedoch gebe es gewisse Grenzen, an die Kunst immer wieder stoße. „Denn die Freiheit der Kunst ist bekanntlich nicht total“, sagt der Jurist, der mit einer gebürtigen Pfarrkirchnerin verheiratet ist. In diesem Zusammenhang spricht er den Jugendschutz oder allgemeine Persönlichkeitsrechte an. So seien beispielsweise künstlerische Werke, die Satire und Karikatur zum Gegenstand haben, häufig Gegenstand von Kunstprozessen. Hier führt er die Majestätsbeleidigung im Fall Böhmermann an, der wegen seiner Schmähkritik an Erdogan eine Strafanzeige erhielt. Jedoch wurde das Verfahren eingestellt. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit dem satirischen Charakter, die das Werk aufweise.

Bei der Klage auf Schadensersatz für zerstörte oder beschädigte Kunstwerke muss sich die Justiz dann doch daran versuchen, ein Kunstwerk zu bewerten. Als Beispiel nennt Küspert die Zerstörung von Kunstwerken durch die „Letzte Generation“. Dabei gilt nach seinen Worten: Die Täter sind zu Schadenersatz verpflichtet.

Und dann gibt es immer wieder besondere Fälle – etwa den einer 91-jährigen Teilnehmerin eines Seniorenschreibkurses. Sie stand, wie Küspert erzählt, im Neuen Museum Nürnberg vor dem Werk „Reading/Workpiece“ (Versicherungswert 80000 Euro), zu dem auch ein aus einer Zeitung ausgeschnittenes Kreuzworträtsel mit leeren Kästchen gehörte. „Sie bat eine andere Teilnehmerin um einen Stift und schritt zur Tat.“ Konsequenzen für die Frau hatte das offenbar nicht.

„Sie sehen“, sagt Küspert: „Das Phänomen Kunst gerät auf seinen ewigen Kreisbahnen immer wieder unter den Einfluss justizieller Schwerkraft, entzieht sich aber mit einigem Erfolg allen Bemühungen der vollständigen Einhegung und Durchdringung. Und das ist natürlich gut so.“