Kuriose Vorgabe
Pfarrkirchner muss sich davon befreien lassen, krebserregenden Asbest zu verbauen

24.02.2024 | Stand 24.02.2024, 5:00 Uhr

Ein Kuriosum: Dieses Schreiben vom Landratsamt bestätigt schwarz auf weiß, dass Karl Heigl 75 Euro bezahlen soll, um sich beim Dach seines geplanten Wintergartens in der Johann-Sinzinger-Straße vom Verbau von Asbestzement befreien zu lassen. − Foto: Herwig Slezak

Es ist kein Aprilscherz: Karl Heigl (67) hat dem Landratsamt 75 Euro dafür überwiesen, dass er bei seinem neuen Wintergarten das Dach nicht mit Asbestzement-Wellplatten, in der Regel Eternit genannt, eindeckt. Obgleich dieser Stoff nachweislich Krebs erregt, zieht dies der Bebauungsplan der Stadt aus den sechziger Jahren in Betracht – und bleibt bis heute juristisch gesehen gültig.

Und darum geht es. Seit Kurzem ist IT-Fachmann Heigl in Rente. Nun pendelt der Rottaler nicht mehr nach München, sondern wohnt fest in Pfarrkirchen. Aus diesem Grund, und weil er jetzt die nötige Zeit dafür findet, will er in seinem Reiheneckhaus in der Johann-Sinzinger-Straße den Wohnkomfort verbessern und energiebewusster leben. Er plant, auf der Südseite seines vor 66 Jahren errichteten Eigenheims einen Wintergarten anzubauen.

60 Jahre alter Plan bleibt wirksam



Wie es sich gehört, holt er für sein Vorhaben die nötige Genehmigung ein und erfährt: „Der dazugehörige Bebauungsplan aus den sechziger Jahren bleibt weiter wirksam.“ Demnach sollte das Dach entweder aus dunkelbrauner Asbestzement-Wellplatte oder aus Falzpfannen bestehen. „Sich von der im Bebauungsplan festgeschrieben Auflage zu befreien, ist kostenpflichtig“, so Heigl. Die dafür fälligen 75 Euro musste er bereits berappen. Ob das Ganze Sinn macht oder nicht, scheint seinem Empfinden nach zweitrangig zu sein.

Auf Nachfrage will die Stadt den Ball flachhalten. Man pocht schlicht und ergreifend darauf, die weiterhin rechtsgültigen Bebauungspläne korrekt und sorgfältig anzuwenden. Von den darin getroffenen Regelungen könne man sich, wie geschehen, ja befreien lassen.

Stefan Lang, Leiter des Amts für Bau und Stadtentwicklung, weist auf die Vielzahl alter Bebauungspläne hin, die es in der Kreisstadt gibt wie etwa für Pfarrkirchen West II von 1967. „Den alten Bebauungsplan ändern oder anpassen, ist nicht verhältnismäßig“, findet Lang. Schließlich habe es in diesem Bereich in den letzten zehn Jahren nur drei neue Anträge zu bewilligen gegeben. Und die Befreiung für die im Bebauungsplan vorgesehene Dacheindeckung wurde ja erteilt.

„Aus heutiger Sicht ist natürlich jedem klar, dass Asbest nicht mehr verbaut wird“, stellt Stefan Lang klar. Die alternativ zugelassenen Falzpfannen seien immer noch zu haben, wenn auch für den geplanten Wintergarten aus Glas ebenso ungeeignet.

75 Euro sind nicht die Welt



Bei alledem wanderte Karl Heigls Antrag von der Stadt zur Baugenehmigungsbehörde, dem Landratsamt. Dieses setzt auch die Gebühren fest. Die für die Befreiung von der vorgeschriebenen Dacheindeckung veranschlagten 75 Euro sind nicht die Welt, dennoch findet Heigl die erhaltene Kostenrechnung in diesem Punkt für „hirnrissig“. Kein Problem hat er damit, für die zusätzlich beantragte und genehmigte Befreiung von der im alten Bebauungsplan vorgegebenen Dachschräge noch einmal 150 Euro zu bezahlen. „Ich verspreche mir von meinem fertigen Wintergarten energetische Vorteile“, so Heigl.

Auf Nachfrage teilt das Landratsamt mit, dass grundsätzlich die Stadt für eine Änderung dieses Bebauungsplans zuständig sei. „Ob sich eine solche Änderung angesichts der extrem wenigen zu erwartenden Anträge in diesem Bereich lohnt, liegt ebenfalls im Ermessen der Stadt Pfarrkirchen“, so Pressesprecher Mathias Kempf. Sollte es ihm zufolge zu einer Änderung kommen, etwa bezüglich der heute nicht mehr zu verwendenden Baumaterialien, stünde das Landratsamt dem Vorhaben sicher nicht im Weg.

Aktualisierung wäre nötig



Ungeachtet dessen wundert sich auch der Planer des Wintergartens, Ingenieur Josef Lackner, über die Kostenrechnung. Wie folgt bringt es der Hochbau-Architekt aus Anzenkirchen auf den Punkt: „Es ist befremdlich, sich von der Verwendung eines Baustoffs befreien zu lassen, der heute verboten ist.“ Als Praktiker gibt er zu bedenken: „Den über 60 Jahre alten Bebauungsplan könnte man schon einmal aktualisieren.“