Zwiesel
Die „tote Sprache“ bleibt lebendig

In Bayern wählen immer weniger Schüler Latein, doch vor Ort ist die Sprache nach wie vor beliebt

10.03.2023 | Stand 17.09.2023, 1:10 Uhr

Amphoren statt Instagram-Story: Im Latein-Unterricht bringt Lehrerin Christina Bauer den Sechstklässlern nicht nur die Sprache näher, sondern auch die Kultur des antiken Roms. Da teilte man Dinge, auf die man stolz war, nicht über eine Instagram-Story. Stattdessen wurden mit dem Erfolgserlebnis bemalte Amphoren in Umlauf gebracht. −Fotos: Mühlehner

Von Corinna Mühlehner

„Aulus mercator bonus est. Wer kann das übersetzen?“ Latein-Lehrerin Christina Bauer braucht nicht lange in die Reihen der Sechstklässler im Klassenraum des Zwieseler Gymnasiums zu blicken, bevor die ersten Finger nach oben schnellen. „Aulus ist ein guter Kaufmann“, übersetzt ein Schüler ins Deutsche. Sie sind hochmotiviert, die Buben und Mädchen. Keine Spur von Verdruss ob einer „toten Sprache“, die keiner mehr als Muttersprache spricht. Im Gegenteil: Im Unterricht wirkt Latein so lebendig wie eh und je.

Dabei ist die Zahl der Schüler, die Latein lernen, laut Kultusministerium im Schuljahr 2021/22 im Vergleich zum Schuljahr 2017/18 um ganze 5,5 Prozent gesunken. Ein Einbruch, den man am Gymnasien Zwiesel nicht beobachten kann, wie Daniel Lauber, Fachschaftsleiter für Latein, sagt. „Bei uns wählt nach wie vor gut die Hälfte Französisch und die Hälfte Latein“, so Lauber.

Das war auch am Dominicus-von-Linprun-Gymnasium in Viechtach lange Zeit so, wie Schulleiter Martin Friedl erklärt. „Die Zahlen sind jetzt tatsächlich ein bisschen zurückgegangen.“ Nun wählten knapp 40 Prozent Latein, 60 Prozent Französisch. „Ob das dauerhaft so bleibt, traue ich mich nicht einzuschätzen.“

Es gebe jedoch nach wie vor gute Gründe, Latein zu lernen, betont Martin Friedl. „Latein ist eine sehr strukturierte Sprache. Wenn man das System kapiert hat, hat man meist keine Schwierigkeiten mehr in den höheren Stufen. Das ist für manche Schüler einfacher.“ Da stimmt auch Zwiesels Latein- Fachschaftsleiter Daniel Lauber zu. „Latein ist ein gutes Mittel, um strukturiertes Denken zu lernen. Das ist für Schüler, die eher unsortiert denken, gut, weil sie so ein System bekommen und lernen, wo sie Dinge im Hirn ablegen.“

Zudem biete Latein eine gewisse Verlässlichkeit, etwas Beständiges im hektischen Schulalltag. Denn in Latein liege der Fokus auf der Arbeit mit Texten, wenn an der perfekten Übersetzung gefeilt wird. „Das hilft auch Schülern, die einen starken Ablauf brauchen“, erklärt Daniel Lauber.

Genauigkeit und Struktur seien ein großes Ziel im Latein-Unterricht. Das merkt man auch bei den Sechstklässlern von Christina Bauer. Sie übersetzen weiter die Geschichte von Aulus, dem guten Kaufmann. „Vinum clarum enim vendit“ – „Er verkauft nämlich berühmten Wein“, hat eine Schülerin schon die richtige Antwort parat. „Und warum haben wir uns für die Übersetzung ,berühmt‘ entschieden?“, will Lehrerin Christina Bauer wissen. Immerhin könne „clarum“ auch als „hell“ oder „klar“ übersetzt werden. „Weil es in diesem Satz so am besten passt“, antwortet ein Schüler.

„Latein ist auch viel wie Deutschunterricht“, sagt Daniel Lauber. Denn man lerne beim Übersetzen auch viel über die korrekte Anwendung der deutschen Sprache. Gerade das findet der Sechstklässler Jakob Hamel (12) gut. „Es kommt viel vor, was wir auch im Deutschunterricht haben und das macht es einfacher“, sagt er. Und: „Ich tu’ mich mit der Aussprache leichter, weil man fast alles genauso sagt, wie man es schreibt.“

Auch viele Fremdwörter gehen auf Latein zurück. „Latein ist die ’Mutter’ der romanischen Sprachen“, sagt Lauber. „Entsprechend kann man diese mit Latein auch besser verstehen.“ Das wiederum war der Grund, warum sich Sechstklässlerin Anna Müller für Latein entschieden hat: „Latein ist die Grundlage für viele andere Sprachen und ich will in der Achten Spanisch anfangen. Außerdem hat mein Bruder gesagt, Latein sei spannend“, erzählt die Elfjährige. Dem stimmt auch ihre Klassenkameradin Franziska Breu zu: „Es macht Spaß, Latein zu übersetzen. Und mich hat interessiert, wie man es spricht.“

Dass Latein auch als „tote Sprache“ oft sehr aktuell ist, zeigen die Beispiele, die Daniel Lauber aufzählt: „Wenn wir uns etwa mit Originaltexten Cäsars befassen, analysieren wir auch, welche Manipulationsstrategien er darin angewendet hat. Und solche Propaganda findet man heute noch, zum Beispiel beim aktuellen Krieg zwischen Russland und der Ukraine“.

Latein bestehe eben nicht nur aus dem Erlernen der Sprache. „Das Fach zeigt auch Bezüge zu anderen Kulturen auf“, nennt Lauber einen weiteren Aspekt. Geschichte, Philosophie, Politik oder auch Architektur – viele weitere Themengebiete würden in den Unterricht mit einfließen. „Die Schüler sollen lernen, auf diese Themen einen kritischen Blick zu werfen.“

Sowohl Lauber als auch Martin Friedl ist wichtig zu betonen, dass zwischen den beiden Zweitsprachen keine Konkurrenz herrsche. „Wir informieren im Vorfeld sehr ehrlich über den Nutzen der jeweiligen Sprache“, sagt Martin Friedl. Und den haben beide, wie Daniel Lauber betont. „Keine der Sprachen ist schwerer oder leichter. Sie haben einfach unterschiedliche Schwerpunkte.“

Die Wahl der Zweitsprache hänge auch viel von der Persönlichkeit des Schülers ab. „Französisch ist eine moderne Sprache, bei der man Lust aufs Sprechen haben muss“, sagt Daniel Lauber, der neben Latein selbst auch Französisch unterrichtet. Für viele Schüler sei Latein aber gerade deshalb attraktiv, weil es viel Arbeit mit Texten und weniger mündliche Aufgaben sind. „Das kommt Schülern zugute, die gerne in Ruhe arbeiten.“

Das Fach Latein habe sich aber auch sehr verändert, betont Daniel Lauber. „Das ist nicht mehr wie früher, wo der Lehrer geschaut hat, wo er eine Lücke findet und genau das fragt, was der Schüler nicht kann“, sagt er. „Stattdessen versuchen wir, auch bei den Schülern, die sich nicht so leicht tun, das letzte Bisschen rauszuholen und sie mitzunehmen.“

Dass Latein gewählt wird, weil man es später als Zugangsvoraussetzung für bestimmte Studiengänge braucht, gebe es nach wie vor. „Aber das Latinum kann man nachholen. Und Voraussetzung ist es tatsächlich oft bei Studiengängen, bei denen man es eher nicht erwartet“, sagt der Fachschaftsleiter. Zum Beispiel bei romanischen Sprachen, Geschichte, Archäologie oder Theologie. Für die oft genannten Beispiele Medizin oder Jura sei das Latium hingehen nicht vorgeschrieben. „Aber es ist natürlich hilfreich“, sagt Viechtachs Schulleiter Martin Friedl. „Wenn ich alle Knochen auf Latein lernen muss, tu’ ich mich schon leichter, wenn ich bereits ein Gefühl für die Sprache habe.“

Das ist zum Beispiel der Grund, warum sich die Zwieseler Achtklässlerin Magdalena Vornehm für Latein entschieden hat. „Ich wollte früher Tierärztin werden, deshalb habe ich Latein genommen“, erzählt die 14-Jährige. Sie sei außerdem Ministrantin. „Da steht alles auf Latein und das wollte ich lesen können.“

Dass Latein bei Schülern durchaus weiter gut ankommt, bezeugt Achtklässler Christian Maurer (14), der wohl mit dem größten Lob aufwartet, das ein Unterrichtsfach von einem Schüler erhalten kann: „Für das, dass es Schule ist, ist es schon ganz lustig“.