Passau
Zucker ist eine Zicke

Kochschürze statt Blazer: Nach einer Finanz-Karriere stürzt sich Karin Brandl auf die Bonbon-Manufaktur

28.11.2022 | Stand 28.11.2022, 5:00 Uhr

Nach dem Roll kommen die Rocks (dt.: Brocken, Steine): Karin Brandl hackt die erkaltete Bonbonstange, die sie vorher im warmen Zustand ständig rollen musste, in kleine Stücke, die Bonbons eben. Das ist die alte Rock-Technik. −Foto: privat

Das erste Mal ist etwas ganz Besonderes. Der erste Auftritt eines Musikers, das erste Tor einer Fußballerin, der erste Fall eines Juristen. Solche Momente bleiben in Erinnerung und können Menschen ihr Leben lang prägen. Um solche Erfahrungen geht es im PNP-Interview „Mein erstes Mal“. Heute: Bonbon-Macherin Karin Brandl.

PNP:
Frau Brandl, nach 30 Jahren im Büro haben Sie 2021 völlig neu angefangen mit einer Bonbon-Manufaktur in Rittsteig. Wie kam es dazu?
Karin Brandl: Weil ich unzufrieden war. Ich habe gutes Geld verdient bei einem tollen Arbeitgeber, aber ich war nicht glücklich damit: „War das jetzt alles?“

Ich wollte was anderes machen auf der einen Seite – auf der anderen gibt man natürlich die Sicherheit auf in einem Job, in dem man daheim ist. Ich wollte auch einfach am Ende des Tages ein Ergebnis meiner Arbeit sehen. Das ist das Schöne an meinem neuen Beruf, auch wenn da natürlich auch wieder (meine neu gelernte) Geduld gefragt ist - tatsächlich sehen wir immer erst am Ende einer Produktion, wie gut wir gearbeitet haben.

Es war eine schwierige Entscheidung, aber jetzt bin ich mit „Pink Rabbit“ in meinem Metier angekommen.

Welchen Beruf hatten Sie vorher und wie bezeichnen Sie ihn jetzt?
Ich komme aus dem Finanzbereich, jetzt bin ich Bonbon-Macherin. Kochschürze statt Blazer (lacht).

Verschieben wir die Historie nach hinten, springen wir mitten hinein ins süße Leben: Was machen Sie genau?
Bonbons! Und zwar in Handarbeit und hauptsächlich auf Bestellung. Es gibt sie auch in ausgewählten Geschäften in und um Passau zu kaufen, aber der Großteil wird individuell auf Wunsch gefertigt.

Wer bestellt bei Ihnen?
Brautpaare, die ihr ganz persönliches Bonbon als Gastgeschenk haben möchten. Und Firmen, die Bonbons mit ihrem Logo verschenken wollen an Mitarbeiter oder Kunden. Süße Botschaften mit persönlichen Touch. Es ist einfach eine etwas andere, außergewöhnliche Idee, um Gäste und Kunden mit etwas Besonderen zu erfreuen. Zudem handgemacht aus hochwertigen Zutaten.

Was ist das Besondere an Pink-Rabbit-Bonbons?
Jeder Kunde bekommt sein ganz persönliches Bonbon – ein handgefertigtes Unikat als Gastgeschenk bei Hochzeiten, Taufen, Geburtstagen, Jubiläen oder eben auch als kleine Aufmerksamkeit für Messeauftritte, Kundengeschenke und viele weitere Anlässe.
Unsere handgemachten Hochzeits-Bonbons mit den Initialen in des Brautpaars und in den Lieblingsfarben und mit Wunschgeschmack – sowas ist ein Hingucker, ein Gaumenschmaus und ganz besonderes Geschenk.
Hört sich aufwendig an...
...ist es ehrlich gesagt auch. Bei uns werden die Bonbons nicht einfach bedruckt, sondern in echter Handarbeit mit viel Liebe gefertigt. Die Farben und Aromen haben fast ausschließlich natürlichen Ursprung. Unsere Bonbons enthalten nur, was auch hineingehört: Zucker, Wasser, Glukosesirup, natürliche Aromen sowie vorwiegend natürliche Farben aus Obst, Gemüse und essbaren Pflanzen oder färbende Extrakte. Die Bonbons sind vegan (außer gekennzeichnete Sorten), glutenfrei, laktosefrei sowie natürlich gefärbt. So ist man beim Schenken auf der sicheren Seite.
Was den Online-Shop betrifft haben wir im Übrigen auch eine kostenlose Abholstelle in der Passauer Innenstadt. Die Läden haben nicht so viel Platz und daher nur eine bestimmte Auswahl an Sorten vorrätig und vielleicht ist da dann genau die Wunschsorte nicht dabei. Eine gute Möglichkeit also, immer die Lieblingssorte zu erhalten.

Haben Sie selbst einen Lieblings-Geschmack?
Tatsächlich ja: Granatapfel-Rose ist mein persönlicher Favorit und jetzt dann zu Weihnachten mag ich sehr gern Lebkuchen-Orange.

Wieviele Sorten produzieren Sie?
Es sind 30 Sorten, von Apfel bis Zitrone. Rezepte gibt‘s mehr, weil ich kann mich kaum bremsen und probiere ständig was Neues aus
(lacht). Aber es macht einfach keinen Sinn, eine unendliche Vielfalt im Online-Shop anzubieten, man muss sich aufs Wesentliche konzentrieren.

Woher erhalten Sie die Rohstoffe?
Bis vor kurzem alle aus der Region. Aber auch in unserem Bereich gibt es Unterbrechungen in Lieferketten, deshalb kommt nun viel aus dem Eis- und Konditorenbedarf – aber weiterhin alles aus Deutschland.

Bei den Farben arbeiten wir beispielsweise mit Karotte, Rettich, Süßkartoffel und vielem mehr, also natürliche Produkte. Das heißt, dass wir zum Beispiel kein Neon-Pink machen können, außer der Kunde wünscht es.

Können Sie kurz erklären, wie Sie Bonbons produzieren?
Zunächst kocht man eine Lösung mit Zucker und Glukosesirup auf, bis fast das ganze Wasser verdampft ist. Die über 150 Grad heiße Zuckermasse wird zum Auskühlen auf eine Granitplatte gegossen – dann kommen Farben und Aromen hinzu. Damit die Bonbonmasse schön cremig wird, wird sie über den Zuckerhaken gezogen, das sogenannte Zuckerziehen. Dabei wird Luft in die Masse eingearbeitet, und genau so entsteht später der typische Crunch, den nur handgemachte Bonbons haben.
Danach baut man zunächst ein Riesenbonbon mit Motiv, das zu einer Rolle zusammengesetzt und auf einer Wärmeplatte in dünne Stränge gezogen wird. So entstehen unendlich viele Bonbonstangen, die man nach dem Auskühlen in kleine Stücke hackt, die sogenannten Rocks (zu Deutsch: Brocken, Steine).

Wenn man Ihnen beim Produzieren zuschaut, dann sind Sie ständig in Bewegung, warum?
Weil Zucker eine Zicke ist (lacht)! Man muss zum Beispiel die warme Masse immer schön gleichmäßig rollen, sie darf nicht stehen bleiben, damit immer ein gleichmäßig schönes Muster entsteht.

Meine Mitarbeiterin Sonja Riethmüller hat mich am Anfang immer gefragt, wie sie denn weiß, dass die Masse beim Zuckerziehen die richtige Konsistenz hat. „Das musst du im Gefühl haben“, hab’ ich ihr gesagt. Klingt komisch, ist aber so. Zum Bonbon-Machen braucht es vor allem Leidenschaft, Zeit und viel Gefühl.

Es könnte also am Anfang nicht alles glatt gelaufen sein...?
Natürlich nicht! Es ist ziemlich viel nicht glatt, bzw. in unserem Fall: nicht rund gelaufen. Versuch und Fehler eben. Langweilig wird‘s auf jeden Fall nie. Ich war früher ziemlich ungeduldig, jetzt habe ich wieder gelernt, dass ich Geduld haben muss.

Zurück zur Entstehungsgeschichte: Sie sind ja Quereinsteigerin, wie kommt man von den Zahlen zum Zucker?
2020 habe ich die ersten Schritte gemacht, ich durfte in einer kleinen, wundervollen Manufaktur in Wien Neubau zum ersten Mal live miterleben, wie Bonbon-Unikate hergestellt werden: Die Herstellung der kleinen, bunten Kunstwerke beobachten, die Gerüche aufsaugen, die Geschmacksrichtungen genießen und viel staunen.
In Wien wurde mir klar: Das möchte ich auch lernen! Nach 30 Jahren als Zahlenmensch im Büro war es an der Zeit für einen kompletten Richtungswechsel.
Wie ging‘s weiter?
Ziemlich mühsam leider, weil seit 40 Jahren gibt es den Bonbonmacher nicht mehr als Ausbildungsberuf in Deutschland. Durch die Industrialisierung sind die meisten Manufakturen verschwunden. In Bayern existiert außer Pink Rabbit nur noch eine weitere Manufaktur.

Bonbons kann man auf verschiedene Arten machen, welche haben Sie sich ausgesucht?
Eine fast verschwundene, die Rock- Technik. Durch sie entstehen Motiv-Bonbons. Dabei werden aromatische Stränge so zusammengerollt, dass im Inneren winzige Bilder entstehen: Kleeblätter, Buchstaben, Gesichter, Früchte, Tiere, Herzen, Namen oder Logos... Die Rock-Technik ist schon mehr als 250 Jahre alt und der Legende nach im 17. Jahrhundert in England entstanden. Viel gelernt habe ich in einer Manufaktur auf Sylt.

Wo produzieren Sie?
Im ehemaligen Nebengebäude meines Elternhauses in Rittsteig, also in einem Anbau mit Blick in den Garten, wunderbar. Er ist knapp 30 Quadratmeter groß und komplett neu gemacht, inklusive Elektro- und Wasserinstallation. Da steht jetzt eine Profi-Küche drin mit glatten Oberflächen und so, denn wir müssen absolut hygienisch einwandfrei arbeiten. Auch die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit sind wichtig.

Was ich toll an Passau finde: Ich kann andere Zuckerbäcker wie Konditoren fragen und bekomme Kniffs und Tricks. Das ist nicht überall so, am Anfang rannte ich anderswo oft gegen Wände, weil man Konkurrenz befürchtete.

Was ist eigentlich aus der Zahlen-Frau Karin Brandl geworden?
Ich stehe nicht nur in der Küche und mache bunte Bonbons, das wäre schön. Leider sitze ich weiterhin auch viel am Schreibtisch. Jedes neue Bonbon beginnt mit einer Skizze, mit Bleistift und Lineal. Das Verhältnis der einzelnen Farben und Mengen zueinander muss ermittelt werden. In meiner Schulzeit dachte ich nicht, dass ich so etwas wie Flächenberechnung nochmal so viel brauchen kann.

Und vieles mehr kommt dazu wie neue Etiketten, neue Gläser, Rohstoffe, Rezepte...

Weiter, immer weiter also. Was spukt dem Pink Rabbit aktuell im Kopf herum?
Aktuell arbeiten wir gerade an einem weiteren neuen Bonbon: Einem Gute Laune Drops – Zitrone mit Brizzel. Kommt im Dezember, also genau recht für graue Wintertage.

Und im kommenden Jahr wollen wir mobil rausgehen um unser schönes Handwerk zu zeigen, als Bonbonshow bei Veranstaltungen oder auch als Team-Event bei Firmen oder als Überraschung bei Kindergeburtstagen.


Interview: Franz Danninger