Rache nach Blockbuster-Art
Tatort-Star Miroslav Nemec eröffnet Festspiele Europäische Wochen Passau mit „Kriemhild“

11.05.2023 | Stand 16.09.2023, 22:17 Uhr

Die Hauptdarsteller in der Großproduktion zur Eröffnung der Europäischen Wochen Passau: „Tatort“-Schauspieler Miroslav Nemec und die Passauer Sopranistin Theresa Pilsl. −Fotos: Gerd Krautbauer/Studio Weichselbaumer

Allein schon das Wort klingt nach Grimm und Krieg. „Kriemhild“, so könnte eine nervenaufreibende Serie auf Netflix heißen – und so heißt das monumentale Live-Ereignis, mit dem am 1. Juli 2023 die Festspiele Europäische Wochen Passau eröffnet werden. Mit Tatort-Star Miroslav Nemec, mit der Sopranistin Teresa Pilsl, Chor und Orchester, Video und Sound. „Ich glaube, es ist uns gelungen, ein Stück zu entwerfen, das die Menschen gut unterhält, begeistert und mitreißt. Mit einer Musik, die fast wie ein Blockbuster daherkommt“, sagt Carsten Gerhard, Intendant der Festspiele.

„Dann schlägt sie zurück und kennt keine Grenzen“

Vorstellen lässt sich das Werk als sinfonisches Spiel zum Nibelungenlied oder als Live-Hörspiel, bei dem es zudem viel zu sehen gibt. Der populäre Schauspieler Miroslav Nemec erzählt die legendär gewordene Geschichte einer Frau, die völlig unschuldig verstrickt wird in Macht und Emotionen, die Opfer wird von Intrigen.

„Dann schlägt sie zurück, völlig haltlos und kennt keine Grenzen mehr“, sagt Intendant Gerhard uns sieht Parallelen zur Gegenwart: „Alle wissen von Anfang an, das läuft auf eine Katastrophe hinaus, und keiner schafft es, den Knoten zu durchschlagen und die die Katastrophe abzuwenden.“

Er ist überzeugt, dass dies der Grund war, warum der Passauer Fürstbischof Wolfger von Erla aller Wahrscheinlichkeit nach den Auftrag gegeben hat, die davor mündlich überlieferten 10000 Verse niederzuschreiben. „Er wollte den Menschen diese Denkaufgabe mitgeben.“

Das erste Passauer Nibelungenspiel aus dem Jahr 1912 zum Nachlesen finden Sie hier.

Die wörtliche Rede der Kriemhild singt die mehrfach preisgekrönte Passauer Sopranistin Theresa Pilsl. Die Partie wurde ihr auf den Leib geschrieben von Enjott Schneider, einem der renommiertesten zeitgenössischen Komponisten, der eine Fülle von Soundtracks für Kino und Fernsehen geschaffen hat, von „Herbstmilch“ und „Stalingrad“ bis zum „Wunder von Bern“. Enjott Schneider wisse, wie man einen Stoff spannend inszeniert und die Emotionen des Publikums lenkt, sagt EW-Intendant Gerhard. „Gleichzeitig ist er ein arrivierter zeitgenössischer Komponist. Seine ‚Kriemhild‘ hat auch über die szenische Bebilderung hinaus Gültigkeit.“ Noch mehr kinoartige Atmosphäre soll entstehen durch eingespielte Klänge vom Flügelschlag des Falken bis zum Drachenkampf sowie durch die Videos der Wiener-Burgtheater-Künstlerin Sophie Lux, die nach Art eines Triptychons dreiteilig auf Leinwand und Stoffskulpturen hinter die Künstlerinnen und Künstler des Abends projiziert werden.

Rund 120 Mitwirkende stehen auf der Bühne der Passauer Dreiländerhalle – in anderen Räumen ließe sich die Großproduktion laut Intendant nicht realisieren. Es musizieren das Orchester des Konzertvereins Passau und ein eigens gegründeter Festspielchor, beides einstudiert und dirigiert von Markus Eberhard, künstlerischer Leiter des Liebhaberorchesters, das sich der Herausforderung des anspruchsvoll zu bewältigenden Werks stellt.

Mit dem Tatort-Star, dem namhaften Komponisten, der erfolgreichen Sopranistin und den vielen Musikerinnen und Musikern aus Passau wollen die Festspiele zugleich ihren überregionalen Anspruch und die Verwurzelung in jener Stadt verdeutlichen, in der das Nibelungenlied im 12. Jahrhundert wohl einst niedergeschrieben wurde. Hundertprozentig zu belegen ist das nicht, doch sind die Indizien überaus plausibel.

Wie im Text ersichtlich, verfügte der Autor des Nibelungenlieds über gute Ortskenntnisse (die Nibelungen ziehen mit so großem Heer durch Passau, dass sie auf der Landzunge zwischen Donau und Inn keinen Platz finden und in der Innstadt lagern). Und dass an Wolfgers Hof Dichter wie Walther von der Vogelweide verkehrten, ist historisch belegt. Wer tiefer einsteigen will in die literarischen Wurzeln, dem sei die Einführung der Passauer Literatur-Professorin Andrea Sieber am 23. Juni empfohlen.

Seit über 100 Jahren schon gibt es Sehnsucht und Versuche, in der Nibelungenstadt ein Passauer Nibelungenspiel zu etablieren, ein erstes Schauspiel in fünf Akten verfasste Martin Buchner 1912. Mit Enjott Schneiders „Kriemhild“ soll der „Meilenstein der Passauer Kulturgeschichte“ (Zitat Gerhard) auf die Festspielbühne kommen.

Wird „Kriemhild“ ein Erfolg, so wollen die Festspiele das Thema weiterentwickeln bis hin zu einer szenischen Aufführung. Wäre es Netflix, man würde sagen: Es gibt schon Ideen für die zweite Staffel.

Raimund Meisenberger


„Kriemhild“ am 1.7. in der Passauer Dreiländerhalle, Info und Karten auf ew-passau.de und telefonisch unter 0851/560 96-26