Mit dem deutschen Achter nach Belgrad
Streiche Uni, setze WM: Die unverhoffte Chance für die Passauer Ruderin Emilia Fritz

29.08.2023 | Stand 12.09.2023, 22:40 Uhr

Der Nachwuchs-Frauenachter mit Emilia Fritz (5. von links) vom Passauer Ruderverein kommt unverhofft zu Start-Ehren bei der A-WM kommende Woche in Belgrad. Bei der U23-WM hatten Fritz und Mitstreiterinnen mit Silber Hoffnungen auf eine große Perspektive geweckt. Foto: meinruderbild.de

Es ist halt alles ein bisserl anders gekommen dieses Jahr für Emilia Fritz (20). Statt wieder an ihrer Uni in den USA fürs Studium zu büffeln, bereitet sich die Athletin vom Passauer Ruderverein mit der deutschen Nationalmannschaft auf ihren ersten Einsatz bei einer A-Weltmeisterschaft vor.

Und statt zu diesem Zweck in Ratzeburg an der Akademie des Deutschen Ruder-Verbandes (DRV) Logis zu nehmen, hatten die hoffnungsvollen WM-Starterinnen aus dem deutschen Achter bis vergangene Woche Quartier auf einem Bauernhof in der Nähe bezogen. An der Akademie ist wegen laufender Modernisierungs- und Erweiterungsarbeiten kein Platz. „Waren halt Ferien auf dem Bauernhof“, sagte Emilia Fritz scherzend über das Trainingslager in Sichtweite von Stall und Feld. Der ungewöhnliche Ort passte ganz gut zur Situation, in die Emilia Fritz und ihre Mitstreiterinnen mehr oder minder unvermittelt gerutscht sind.

Eigentlich hatte der Deutsche Ruder-Verband aus personellen Gründen gar keinen Frauen-Achter zur WM in Belgrad (3. bis 10. September) entsenden wollen, doch dann ruderte die U23-Crew bei der Nachwuchs-EM zu Silber und zeigte dabei eine derart überzeugende Vorstellung, dass die Verantwortlichen unmittelbar nach dem Rennen an die junge Auswahl herantraten. „Für uns war eigentlich sofort klar, dass wir das machen wollen“, stellt Emilia Fritz fest. Es sagt schon etwas aus über den inneren Zusammenhalt der Truppe, dass zur Realisierung eines WM-Starts Urlaubspläne gestrichen und Studienpläne umgeworfen wurden. „Ich hab’ alle Professoren angeschrieben, die natürlich erstmal geguckt haben“, berichtet Emilia Fritz. „Aber es waren sich schnell alle einig, dass das eine coole Chance ist für uns.“ Neben der Passauerin, die an der Ohio State University Industrial and Systems Engineering studiert, verschoben auch Kommilitonin Olivia Clotten sowie Antonia Gallant ihre Rückkehr in die Staaten. Das Trio ist mit seinen Top-Ergometerwerten so etwas wie das Kraftzentrum des deutschen Achters, soll auf den mittleren Positionen dem Boot den nötigen Schub verleihen.

Beim Deutschen Ruder-Verband ist man jedenfalls überzeugt vom Potenzial der jungen Besatzung. „Wir freuen uns, dass die Mannschaft das für sie natürlich überraschende Angebot angenommen hat“, sagte Cheftrainerin Brigitte Bielig dem Verbandsportal „rudern.de“. Dabei hat man beim DRV weniger einen kurzfristigen Erfolg als vielmehr die Perspektive im Sinn. Die WM-Nominierung sei „als Entwicklungsmöglichkeit und als Teil des Teambuildings im Aufbau für die Olympischen Spiele 2028 zu verstehen“, erklärte Bielig. Aber wer weiß, was passiert, wenn Fritz und Co. tatsächlich, wie sie vorhaben, ihre Zeit von 6:13 Minuten aus dem Finale der U23-WM unterbieten. Sieben Boote gehen in Belgrad an den Start. Platz fünf bedeutet einen Startplatz 2024 in Paris. Natürlich wehrt Emilia Fritz derartige Erwartungen ab, die Passauerin sagt aber auch: „Wir sind hier viele unterschiedliche Typen im Boot, die sich gut ergänzen. Und wir sind jetzt seit zwei Monaten zusammen.“ Hört sich an, als ob sich da ein verschworener Haufen zusammengefunden hätte.

Manchmal muss sich Emilia Fritz in diesen Tagen selbst wundern über das Tempo, mit dem sich die Dinge für sie entwickeln: vor zwei Jahren U19-Vizeweltmeisterin, dann das Stipendium in den USA, im Juli WM-Silber im U23-Achter und jetzt ein Start bei der A-WM. „2019 war ich in Ottensheim und hab’ bei der WM all den Stars zugeschaut – und jetzt bin ich selbst da mittendrin“, stellt Emilia Fritz fast ein bisschen verwundert fest. Und wenn’s „Ferien auf dem Bauernhof“ sind.