Die Einrichtung der Wunderkammer im ehemaligen Jesuiten-Areal 2015 war der Anfang. Jetzt legen die Staatliche Bibliothek Passau und ihr Leiter Markus Wennerhold nach: Die 1612 gegründete Jesuitenbibliothek wurde als Schau- und Lehrsammlung des 17. bis 19. Jahrhunderts rekonstruiert.
Ab 23. November ist diese Imagination einer Historischen Jesuitenbibliothek geöffnet. Das Feuilleton der Passauer Neuen Presse durfte vorab einen Blick in die neue Attraktion werfen.
Jesuiten-Leben und Wissen auf 400 Quadratmetern
Neben Stucksaal und Wunderkammer gibt es jetzt ein Architekturkabinett mit rund 20 historischen Korkmodellen antiker Gebäude, den Antikensaal mit rund 16 Abgüssen wichtiger griechisch-römischer Großskulpturen, bekannter Porträts und eindrucksvoller Reliefs sowie ein physikalisches Experimentierkabinett. Auf rund 400 Quadratmetern wird die Lebens- und Wissenswelt der Jesuiten gezeigt. „Es geht auch darum, sich klar zu machen, dass alles Wissen eine Geschichte hat und es kein Wissen ohne Wissenskultur gibt. Eine Historische Jesuitenbibliothek war eine Form von Wissenskultur“, sagt der promovierte Bibliothekschef.
Wir stellen hier aus den verschiedenen Räumen Beispiele vor: Im Antikensaal kann man einen Idealtypus von Mann bewundern: Es ist der Doryphoros (Speerträger) aus Pompeji, eine Kopie nach Polyklet. An solchen Abgüssen studierte man die Proportionen und Haltungen, erklärt Markus Wennerhold. „Denn die historischen Jesuitenbibliotheken waren keine Museen, sondern Lern- und Studienorte.“ Ein weiteres dieser prachtvollen Objekte ist das Relief der Zeussöhne Amphion und Zethos, einer Schöpfung aus Zeit um 130 n. Chr. Die Abgüsse sind Geschenke des Abgusskünstlers und Sammlers Hermann Scharpf aus Isny im Allgäu.
Im physikalisches Experimentierkabinett gibt es neben vielen Gerätschaften z.B. eine Würfelsonnenuhr von David Beringer aus Nürnberg (Ende des 19. Jahrhunderts). Vielfachsonnenuhren auf geometrisch Körpern waren seit dem 16. Jahrhundert in Europa verbreitet. Dieses Beobachtungsinstrument diente im Bereich der Astronomie und Astrophysik und war universell einsetzbar als Tischuhr. Eines dieser seltenen Exemplare gibt es auch im Deutschen Museum in München.
Elefantenschädel mit 70 Kilo Gewicht
Das Architekturkabinett präsentiert eine Kunstform aus dem 18. Jahrhundert, wie beim Adel und im wohlhabenden Großbürgertum üblich war: Phelloplastik, Architekturmodelle aus Kork. Meist wurden antike Gebäude oder Kirchen dargestellt. Dieter Cöllen aus Wesseling ist in Deutschland der Einzige, der dieses Handwerk noch beherrscht. Einige Modelle sind Leihgaben von ihm. Zu sehen sind u. a. der Pont du Gard, das Colosseum, der Bel-Tempel in Palmyra, das Pantheon, die drei Tempel von Paestum und die Cheops-Pyramide. Gipsmodelle von wichtigen Gebäuden sowie die berühmten Piranesi-Stiche mit Stadtarchitektur machen den Eindruck des Saales vollkommen.
Die Wunderkammer ist um eine tolle Kuriosität reicher: einen Elefantenschädel von überdimensionalen Ausmaßen und mit 70 Kilo Gewicht – eine Dauerleihgabe der Zoologischen Staatssammlung in München. Die Wunderkammer ist eine Erfindung der Herrscher der Renaissancezeit. Sie versammelte Artefakte aus Natur, Kunst, Wissenschaft und fremden Kulturen. Die Objekte dienten der Erbauung, Erforschung und Diskussion.
Die Historische Jesuitenbibliothek ist geöffnet ab 23. November; Führung nach Anmeldung bei der Staatlichen Bibliothek Passau, Michaeligasse 11, 0851/7564400
Artikel kommentieren

Artefakt aus der Natur: Anschauungsobjekte aus der Tierwelt waren wesentlicher Bestandteil Teil einer Wunderkammer. Der Elefantenschädel wiegt 70 Kilo und stammt von einem asiatischen Tier.

Architektur im Kleinformat: Korkmodelle zeigen wichtige Bauwerke der Antike. Hier ist das Colosseum in Rom, das größte gebaute Amphitheater der Welt, zu sehen.